»Du hast da noch was von ihrem Zeugs an dir. Wints Bude ist bestimmt auch damit beschmiert. Der Baron wird wollen, dass du sie abfackelst. Genauso wie diese Hütte hier. Sieh zu, dass du alle Beweise vernichtest.«
Der Neuankömmling blickte an seiner Weste hinab. »Was ist das für ein Zeugs?«, fragte er.
Sein Kumpan gab ein Lachen von sich, das wie eine Mischung aus Schnauben und Husten klang. »Besser man weiß nicht alles«, erwiderte er.
Der Neuankömmling betrachtete zunächst seine Hände. Dann sah er wieder den Mann an. Sein Gesicht war auf einmal verkrampft und kreidebleich. »Hey, Clem, heißt das, dass das mit Wint auch mir passiert?«
Clem schüttelte den Kopf. »Nicht wenn de es ordentlich abwäschst, wie der Baron gesagt hat.« Er blickte zu den anderen Männern hinüber, die nun, nachdem alle Kisten auf dem Wagen verstaut waren, untätig herumstanden und sich miteinander unterhielten. »In Ordnung, Leute. Zeit abzuhauen. Martin und Joe, ihr fahrt den Wagen. Ihr wisst, wo ihr hinmüsst. Stouffer und Flynn, ihr macht euch zum Baron auf.« Er drehte sich zu dem Neuankömmling um. »Denny, wir beide kümmern uns um die Bude hier. Brenn sie ab. Sie ist viel zu groß, um hundertprozentig auszuschließen, dass wir vielleicht nicht doch die ein oder andere Spur hinterlassen haben.«
Der Neuankömmling – Denny – sah sich in der Scheune um. »Muss das sein?«, fragte er mit Bedauern in der Stimme. »Denk doch mal dran, was sich aus dem Schuppen hier machen ließe, sobald der Baron ihn nicht mehr braucht. Könnten zum Beispiel Geschäfte hier abziehen oder vielleicht die größte Kneipe im ganzen Umkreis aufmachen. Wir könnten Mädels zum Singen und Tanzen herholen und so was. Ist irgendwie ’ne Schande, das Ding einfach so abzufackeln.«
Clems Gesicht nahm einen bedrohlichen Ausdruck an. Finster starrte er seinen Kumpan an. »Wenn du zum Baron gehen und ihm das verklickern willst, nur zu. Was mich anbelangt, werde ich einfach meine Anweisungen befolgen.«
Denny schien unter dem drohenden Blick des anderen förmlich zu schrumpfen. »Hab ja nur gefragt«, antwortete er kleinlaut.
Einer von den Männern, die am Wagen herumstanden, hob seinen Arm, um Clem auf sich aufmerksam zu machen. »Wann werden wir bezahlt?«, wollte er wissen.
»Wenn die Klamotten abgeliefert worden sind«, knurrte Clem. »Wir treffen uns morgen in Mollys Kneipe. Ich krieg das Geld vom Baron und verteil’s dann.«
»Und woher wissen wir, dass du da sein wirst?«, fragte ein anderer Mann, der halbherzig die Hand gehoben hatte.
Clem starrte den Fragenden an, bis er den Blick abwandte. »Weil der Baron unser Schweigen kauft«, antwortete er dann. »Eures und meins, vergesst das nicht. Wenn ihr nicht bezahlt werdet und dann jemandem erzählt, was wir gemacht haben, wird sich der Baron meine Wenigkeit vorknöpfen. Und das ist etwas, was ich absolut nicht will. Jeder wird bezahlt. Fair und anständig, kapiert?«
Der Mann nickte zufriedengestellt. »In Ordnung.«
Sherlock drängte sich noch dichter an den Kistenstapel, als die Männer sich zerstreuten. Zwei stiegen auf den Wagen und zwei andere öffneten die beiden massiven Torflügel, damit der Wagen hinausfahren konnte. Clem hingegen blieb zurück, um die Leute zu beaufsichtigen, während Denny verloren in der Gegend herumstand. Der Mann, der den Wagen lenkte, schnalzte mit der Zunge und gab dem Pferd mit einer langen Gerte einen Klaps auf den Rücken. Immer noch Heu aus dem Nasenbeutel vor sich hinfutternd, setzte sich das Tier langsam in Bewegung.
Clem ging auf die großen Torflügel zu und störte sich nicht daran, dass die Öllaterne, die an seinem Gürtel hing, permanent gegen seinen Oberschenkel stieß. Ohne sich umzusehen, wies er mit dem Daumen nach hinten zu der Stelle, wo Sherlock sich versteckt hielt. »Schließ die Seitentür ab«, knurrte er. »Dann komm nach vorn zum Tor.«
Sherlock blieb vor Entsetzen das Herz stehen, als Denny auf sein Versteck zusteuerte. Wenn er um den Kistenstapel herumkam, würde er Sherlock zwangsläufig entdecken. Und wenn das geschah, war es um seine Überlebenschancen schlecht bestellt. Sherlock nahm eine andere Körperstellung ein und spannte die Muskeln an, bereit loszurennen. Könnte er es zur Seitentür schaffen, bevor Denny ihn erwischen würde? Sherlock war sich da nicht so sicher, aber noch weniger sicher war er, ob er überhaupt eine Alternative hatte.
Denny war nun fast auf gleicher Höhe mit dem Kistenstapel, und Sherlock kam in den Genuss des sauren Schweißgeruchs, den seine Kleidung verströmte. Sherlock warf rasch einen Blick auf Clem, um zu sehen, ob der korpulente Riese noch nahe genug war, um Denny eventuell dabei helfen zu können, ihn zu schnappen. Clem hatte jetzt fast das Eingangstor erreicht. Sherlock glitt schnell um den Stapel herum. Als Denny an den Kisten vorbeiging, rückte Sherlock noch einmal ein Stück weiter herum. Wenn Clem sich noch einmal umdrehte, bevor er aus dem Tor hinausging, würde er Sherlock sehen. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Aber er tat es nicht. Mit stockendem Atem beobachtete Sherlock, wie Clem draußen in der hellen Nachmittagssonne verschwand. Einen Augenblick später schwang der erste Torflügel langsam nach innen. Seine raue Holzunterkante schleifte durch den Dreck und die rostigen Angeln gaben ein nervenzerreißendes Quietschen von sich.
Sherlock blickte über den Kistenstapel hinweg. Denny hatte sich gerade davon überzeugt, dass die Tür, durch die Sherlock gekommen war, richtig geschlossen war. Nun machte er sich daran, die Riegel vorzuschieben. Niemand würde dann mehr von außen reinkommen können. Aber sobald Denny weg war, würde es kein Problem sein, die Riegel wieder rauszuziehen, die Tür zu öffnen und zu verschwinden.
Doch es sollte anders kommen. Denn Denny hob ein Vorhängeschloss vom Boden auf. Dann führte er den Bügel des Schlosses zunächst durch eine Öse am obersten Türriegel und anschließend durch einen Eisenring, der am Türrahmen angebracht war. Mit einem unmissverständlichen Klick rastete der Bügel im Schloss ein. Denny zog den Schlüssel aus dem Schloss und ließ ihn in seine Tasche gleiten. Daraufhin drehte er sich pfeifend um und ging durch die Scheune zum Tor zurück, während Sherlock wieder vorsichtig um den Stapel herumschlich, um nicht entdeckt zu werden.
Sherlock spürte, wie ihm das Herz bis zum Hals klopfte und seine Handflächen ganz feucht wurden. Er warf einen kurzen Blick über die Schulter zurück und musterte das Schloss. Es sah ziemlich stabil aus. Auf diesem Weg würde er nicht mehr herauskommen. Zumindest nicht schnell und ohne eine Menge Krach zu machen. Er würde eben einfach warten müssen, bis Denny und Clem verschwunden waren, vorsichtshalber noch fünf Minuten verstreichen lassen und dann auf demselben Weg hinausgehen, den die beiden Schurken genommen hatten.
Denny erreichte das Tor gerade in dem Moment, als der zweite Flügel nach innen schwang. Der Lichtstreifen, der draußen vom Hof hereinschien, wurde schmaler und schmaler, schrumpfte zu einem Balken, zu einer Linie und dann … Schwärze und ein dumpfer Rums, als sich die Torflügel endgültig schlossen.
Sherlock rutschte das Herz in die Hose und seine Stimmung wurde noch trüber als das Licht, als er einen unmissverständlichen Laut vernahm. Draußen wurde ein Sperrbalken in die dafür vorgesehene Halterung geschoben. Es gab keinen Weg mehr hinaus!
Einige Augenblicke konnte er hören, wie sich die beiden Männer draußen unterhielten, ohne dass er mitbekam, was genau sie sprachen. Er richtete sich auf, um zum verschlossenen Tor hinüberzugehen. Vielleicht konnte er ja ein paar Worte aufschnappen. Aber ein plötzliches Geräusch ließ ihn erstarren.
Clem hatte seine Öllaterne gegen das Tor geschmettert.
Glas zerbrach und Flüssigkeit spritzte über das Holz. Stille. Dann ein Unheil verkündendes Knistern, als die Dochtflamme auf das ölgetränkte Holz übergriff.
Clem und Denny hatten die Scheune tatsächlich angesteckt.