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Die Marktstände waren auf einem kleinen Platz verteilt, der von drei Seiten von Gebäuden umgeben war.

Es gab Stände mit Bergen von Zwiebeln, Pastinaken, Kartoffeln, Rote Bete sowie Gemüsearten in den unterschiedlichsten Farben, die Sherlock nicht einmal kannte. An anderen Ständen konnte man Schinken kaufen, die am Haken hingen und von Fliegen umschwirrt wurden, und Fisch, der auf Stroh ausgelegt war.

Einige Händler boten diverse Werkstoffe und Tuche aus Seide, Wolle oder Baumwolle an. In einem provisorischen Pferch war eine Schafherde zusammen mit zwei Schweinen untergebracht, die es sich auf dem Boden gemütlich gemacht hatten und unbeeindruckt von dem Radau ringsumher ein Nickerchen machten. Die zahlreichen Gerüche und Düfte, die ihm in die Nase stiegen, waren fast überwältigend, jedoch noch nicht unangenehm. Doch bei Sonnenuntergang würde es auf dem ganzen Platz, so Sherlocks Vermutung, nach fauligem Gemüse und vergammeltem Fisch riechen. Dann wären die meisten Käufer jedoch schon wieder verschwunden, und nur die Armen der Stadt würden noch zwischen den Ständen umherstreifen, in der Hoffnung, dass die Händler ihre Preise reduzierten, um ihre Ware noch loszuwerden.

Eine gedämpfte Atmosphäre schien in der Luft zu liegen. Denn es ging nicht so lebhaft zu, wie es Sherlocks Erinnerung nach sonst der Fall war. Normalerweise war der Markt nicht einfach bloß ein Ort, an dem man die Dinge des täglichen Bedarfs besorgen konnte. Vielmehr stellte er für die Leute auch ein wichtiges gesellschaftliches Ereignis dar. Aber heute war vom üblichen Trubel und Gedränge nicht viel zu merken. Die meisten Käufer schienen gezielt die jeweiligen Stände anzusteuern, wo sie dann nicht mehr handelten als unbedingt nötig, um anschließend gleich wieder zu verschwinden.

»War Crowe da?«, fragte Matty, als Sherlock ihn aufgestöbert hatte. Er saß auf einer umgedrehten Holzkiste und beobachtete gespannt, ob nicht irgendeiner der Händler einmal in seiner Achtsamkeit nachließ.

»Zuerst nicht, aber ich habe seine Tochter kennengelernt.«

»Ja, die hab ich auch schon mal hier gesehen.«

»Du hättest mir ruhig von ihr erzählen können«, beschwerte Sherlock sich. »Ich war völlig überrascht, als sie so plötzlich vor mir stand. Ich muss wie ein Idiot ausgesehen haben.«

Matty musterte ihn rasch von oben bis unten. »Ja, so ziemlich«, sagte er dann.

Verlegen versuchte Sherlock, das Thema zu wechseln. »Mir ist da was eingefallen und …«

Er brach ab, als Matty plötzlich in die Menge davonflitzte. Wie ein Aal zwischen Felssteinen schlängelte er sich zwischen den Marktbesuchern hindurch, und Sekunden später war er auch schon wieder zurück. »Is von ’nem Stand gefallen«, verkündete er stolz, während er den Dreck von einer Schweinefleischpastete abputzte. »Hab nur darauf gewartet, dass das passiert. Die haben viel zu viel von dem Zeugs aufeinandergeschichtet. Irgendwann musste einfach eine runterfallen.« Er nahm einen riesigen Bissen und reichte seine Beute dann an Sherlock weiter. »Hier, probier mal.«

Sherlock knabberte ein bisschen von der Kruste am Rand ab. Es schmeckte salzig und buttrig. Er biss noch einmal ab und erwischte diesmal etwas von dem rosafarbenen Fleisch und dem durchsichtigen Gelee. Das leckere Fleisch war mit kleinen Fruchtstücken gespickt, bei denen es sich Sherlocks Vermutung nach um Backpflaumen handelte. Aber was auch immer es war, die Geschmackskombination war einfach unglaublich.

Er gab Matty die Pastete wieder. »Ich hab schon ein paar Äpfel und etwas Käse gehabt«, sagte er. »Iss du auf.«

»Du hast gesagt, dass dir was eingefallen ist.«

»Ich muss irgendwie nach Guildford kommen.«

»Mit dem Rad wird das einige Stunden dauern«, sagte Matty, ohne die Augen vom Marktgeschehen abzuwenden.

Sherlock dachte daran zurück, wie er auf der Reise von der Deepdene-Schule nach Farnham durch Guildford und anschließend Aldershot gekommen war. Den ganzen Weg nach Guildford und wieder zurück mit dem Rad zu fahren, war kein sehr verlockender Gedanke. Und er war nicht sicher, ob das an einem Tag zu schaffen war. Einmal abgesehen davon, dass er auch noch einen Experten finden musste, der sich sowohl mit Giften als auch mit Seuchen auskannte.

Er seufzte. »Vergiss es«, sagte er. »War nur eine blöde Idee.«

»Nicht unbedingt«, antwortete Matty. »Es gibt andere Wege, nach Guildford zu kommen.«

»Ich kann nicht reiten, und ein Pferd habe ich auch nicht.«

»Und was ist mit dem Zug?«

»Ich würde die Aktion lieber unbemerkt durchziehen, ohne dass jemand davon erfährt. MrsEglantine scheint den Stationsvorsteher zu kennen, und ich will nicht, dass sie weiß, was ich die ganze Zeit über so mache.«

MrsEglantine ist keine Freundin der Familie. Urplötzlich musste er wieder an die Worte aus Mycrofts Brief denken und ihm fröstelte.

»Es gibt noch einen Weg«, sagte Matty zögernd.

»Und zwar?«

»Auf dem Wey

»Auf dem was?«

»Auf dem Wey. So heißt der Fluss, der von hier nach Guildford fließt.«

Sherlock dachte einen Augenblick über den Vorschlag nach. »Wir würden ein Boot brauchen.« Dann fügte er, bevor Matty noch etwas sagen konnte, hinzu: »Und du hast eines, zumindest ein kleines Kanalboot.«

»Und ein Pferd, um es zu ziehen.«

»Wie lange würden wir brauchen?«

Matty überlegte einen Moment. »Vermutlich genauso lange wie mit dem Rad. Aber es ist sehr viel bequemer. Heute schaffen wir es wahrscheinlich nicht mehr. Wir könnten uns morgen bei Sonnenaufgang treffen. Wir wären allerdings die meiste Zeit auf dem Wasser unterwegs. In Guildford wirst du nicht sehr viel Zeit haben.«

»Wie wär’s dann, wenn wir noch vor Sonnenaufgang losfahren?«, fragte Sherlock.

Matty blickte ihn skeptisch an. »Werden sich deine Tante und dein Onkel keine Sorgen machen?«

In Sherlocks Kopf surrte es wie in einer Standuhr, die kurz vor dem Schlagen war. »Nachher beim Abendessen werde ich erzählen, dass ich gleich ins Bett gehe. Wenn es später dunkel ist und alle schlafen gegangen sind, kann ich mich aus dem Haus schleichen. Ich bin sicher, dass das klappt. Nach mir hat noch nie jemand gesehen. Und ich kann eine Nachricht im Speisezimmer hinterlassen, in der ich mitteile, dass ich schon vor dem Frühstück aufgestanden bin, um mit Amyus Crowe rauszugehen. Die Botschaft werden sie erst am Morgen finden. Das funktioniert garantiert!«

»Der Fluss fließt dicht am Haus deines Onkels vorbei«, sagte Matty. »Ich kann dir eine Karte zeichnen und dich dann dort abholen. Wir können schon morgens in Guildford und noch vor Sonnenuntergang wieder zurück sein.«

Matty nahm einen spitzen Stein vom Boden auf und ritzte damit rasch eine Karte auf ein Holzstückchen, das er aus seiner Sitzgelegenheit herausgebrochen hatte. Sherlocks Vermutung nach konnte der Junge weder lesen noch schreiben, aber seine Karte war perfekt und so gut wie maßstabsgetreu. Sherlock konnte sich genau vorstellen, wo sie sich treffen würden.

»Ich brauche dich, damit du was erledigst«, sagte Sherlock.

»Was?«

»Hör dich mal um. Sieh, ob du was über den toten Mann rausfinden kannst. Der, vor dessen Haus du gestanden hast. Krieg raus, was er so gemacht hat.«

»Wie meinst du das?«

»Was er beruflich gemacht hat. Womit er sein Geld verdient hat. Ich hab das Gefühl, das könnte wichtig sein.«