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Sherlock brummte der Schädel vor lauter Details, mit denen auf die Meisterleistungen der Ingenieurskunst und die vielen Jahre Arbeit eingegangen wurde, die erforderlich gewesen waren, um den Fluss dem menschlichen Willen zu unterwerfen.

Da er wusste, dass ein langer Tag vor ihm lag, versuchte er schließlich zu schlafen, und obwohl ihm der Kopf vor lauter Ideen, Bildern und Fakten nur so schwirrte, glitt er, ehe er es sich versah, in einen traumlosen Schlaf. Als er wach wurde, war es immer noch dunkel, doch eine frische Brise wehte durchs Fenster, und die Vögel in den Büschen und Bäumen hatten schon mit ihrem Frühkonzert begonnen. Es war vier Uhr morgens.

Er hatte sich angezogen schlafen gelegt, und so glitt er schon wenige Augenblicke später durch das dunkle Haus. Er schlüpfte hinaus auf den Korridor und schlich die enge Holztreppe vom Dachgeschoss hinunter. Sorgfältig achtete er darauf, dass er auf den äußeren Rand der Stufen trat, um ein Knarren zu vermeiden. Anschließend pirschte er sich vorsichtig auf dem Korridor im ersten Stock voran, wobei er versuchte, nicht zu schwer zu atmen. Er kam am Schlafzimmer seines Onkels und seiner Tante vorbei, am Ankleideraum und dem Badezimmer. Dann ging es die Haupttreppe hinunter, die im Bogen zur Eingangshalle im Erdgeschoss hinabführte. Dicht an die Wand gedrängt machte sich Sherlock an den Abstieg. Er meinte das Gewicht der über ihm hängenden Gemälde förmlich auf den Schultern zu spüren, vor allem, wenn er an die mit üppigem Schnitzwerk verzierten mächtigen Holzrahmen dachte, die die Bilder an sich zu relativer Bedeutungslosigkeit degradierten. Der einzige Laut, den er vernahm, war das Ticken der großen Uhr, die unten neben der Treppe in einem Winkel stand.

Als er die Halle erreicht hatte, blieb er stehen. Nun musste er noch die mit Fliesen bedeckte Weite bis zur Eingangstür überqueren. Kein Entlanggeschleiche an der Wand mehr. Wenn jetzt jemand aus einer der Türen kam oder oben von der Galerie herabblickte, wäre er auf der freien Fläche schutzlos den neugierigen Blicken ausgesetzt. Er kniete sich einen Moment hin, um zu sehen, ob unter einer der Türen Licht hindurchschien. Aber es war alles dunkel. Schließlich nahm er all seinen Mut zusammen und huschte über die Fliesen.

Als er die Eingangstür erreicht hatte, hatte er das Gefühl, dass das Pochen seines Herzens doppelt so schnell war wie das Ticken der Uhr.

Die Tür war zugesperrt. Aber nachdem er den Riegel beiseite geschoben hatte, ließ sie sich problemlos öffnen. Möglicherweise würde jemandem in den Morgenstunden auffallen, dass sie nicht verriegelt war. Aber mit ein bisschen Glück würde der- oder diejenige einfach vermuten, dass schon jemand anderes aufgeschlossen hatte.

Sherlock hatte die Tür fast schon wieder zugedrückt, als ihm einfiel, dass er noch seine Nachricht hinterlassen musste. Er stemmte sich mit seinem ganzen Gewicht gegen die Tür und schob sie wieder auf. Dann glitt er rasch hinein. Neben dem Hutständer in der Halle, auf dem normalerweise die Morgen- und Abendpost deponiert wurde, stand ein kleiner Beistelltisch. Sherlock legte die Nachricht darauf und ging wieder hinaus.

Verglichen mit der stickigen Luft im Haus war es draußen kühl und erfrischend. Und dort, wo über den Baumwipfeln das Blau der Morgendämmerung die Dunkelheit der Nacht vertrieb, kündigte sich schon zaghaft der Schein der Morgensonne an. Sherlock sprintete, so schnell er konnte, über den Zufahrtsweg. Er hörte, wie die Kieselsteinchen auf dem Weg unter seinen Tritten knirschten, bevor er den Rasen erreichte und die weiche Grasfläche seine Schritte verschluckte.

Er brauchte zehn Minuten, bis er mit Hilfe von Mattys Instruktionen das Flussufer erreicht hatte. Sherlock konnte eine lange schwarze Kontur auf dem silbrig glitzernden Wasser ausmachen. Träge dümpelte sie auf den Wellen hin und her. Das merkwürdige Gefährt sah aus, als hätte man eine lange, zylinderförmige Hutröhre einfach auf einen schmalen Schiffskiel gelegt. Die Röhre endete hinten abrupt kurz vor dem Heck und machte dort einer Plattform mit genügend Raum für zwei Leute Platz, von denen einer die Ruderpinne bediente.

Vorn am Bug des Bootes war ein Tau festgeknüpft. Sanft senkte es sich auf die Wasseroberfläche hinab. Doch gleich darauf straffte es sich wieder etwas, als das Pferd, an dessen Geschirr das andere Tauende befestigt war, sich gemächlich und zufrieden weiter am grasigen Ufer entlangfraß. Im Gegensatz zu Virginia Crowes prächtigem schwarzem Hengst handelte es sich bei diesem Tier um eine schwere, gedrungene Kreatur mit stämmigen Beinen und zotteliger Mähne. Ohne großes Interesse, hob es kurz den Kopf, um Sherlock zu beäugen. Dann fraß es unbeeindruckt weiter.

Matty stand vorne am Bug und wartete. Vor dem langsam heller werdenden Himmel sah seine dunkle Silhouette aus wie die Galionsfigur eines Schiffes oder eine Wasserspeierskulptur an einer Kathedrale. Er hielt einen Bootshaken, eine lange Holzstange mit einem Metallhaken am Ende.

»Dann mal los!«, sagte er, als Sherlock auf das Boot kletterte. »Ach übrigens, das ist Albert.« Er machte einen schnalzenden Laut mit seiner Zunge, woraufhin sich das Pferd mit einem bedauernden Ausdruck auf dem langen Gesicht zu ihm umblickte und sich entlang des Uferrandes in Bewegung setzte. Das zwischen Boot und Pferd befestigte Tau straffte sich und, gezogen von Albert, setzte sich das Gefährt langsam in Bewegung. Gleichzeitig stieß Matty mit dem Bootshaken den Kahn vom Ufer fort, damit er sich nicht im Schilf verfing.

»Weiß er eigentlich, wohin er geht?«, fragte Sherlock.

»Was muss er da denn schon groß wissen? Er trottet einfach am Ufer entlang und zieht das Boot hinter sich her. Kommt er an ein Hindernis, bleibt er einfach stehen und ich kümmere mich drum. Du bleibst hinten am Heck und bedienst die Ruderpinne. Wenn wir auf die Flussmitte hinaustreiben, steuerst du wieder zurück in Ufernähe. Falls dir kalt wird, kannst du die Decke nehmen, die an Deck liegt. Ist nur ’ne alte Pferdedecke, aber sie hält genauso warm wie so’n Nobelteil.«

Das Boot trieb auf dem Fluss davon. Das im regelmäßigen Rhythmus gegen die Planken plätschernde Wasser versetzte Sherlock allmählich in einen schläfrigen, fast hypnotischen Zustand. Abgesehen von gelegentlich vorbeischwimmenden Enten oder Gänsen lag der Fluss einsam und verlassen vor ihnen.

»Was hast du über den Mann rausgefunden, der gestorben ist?«, rief Sherlock nach einer Weile nach vorne. »Den ersten Mann. Den aus dem Haus.«

»War ’n Schneider«, rief Matty zurück. »Hat für ’ne Firma gearbeitet, die Uniformen für die Armee in Aldershot herstellt. War offenbar ’n riesiger Auftrag, denn die Firma hat alle Leute in der Umgebung angeheuert, die Tuche zuschneiden oder Teile zusammennähen können.«

»Wie hast du das herausgefunden?«

Matty lachte. »Hab gesagt, dass ich sein Sohn bin und meine Mom rauskriegen will, ob er noch von irgendeinem Arbeitgeber Geld zu bekommen hat. Wie’s aussieht, hätte er tatsächlich noch ausstehenden Lohn zu bekommen, aber sein Vermieter hat da schon den Daumen drauf, weil er ihm noch Miete schuldete.«