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»Natürlich.«

»Könnten Sie Amyus Crowe einen Brief schreiben, in dem Sie erklären, was Ihrer Meinung nach die beiden Männer umgebracht hat? Ich nehme ihn dann für MrCrowe mit nach Farnham.« Er wandte den Blick vom Professor ab und spürte, dass er rot wurde. »Ich glaube, ich bekomme Schwierigkeiten mit meiner Tante und meinem Onkel, wenn ich zurück bin. Und vielleicht werde ich dann nicht bestraft.«

Der Professor nickte. Er schüttete das gelbe Pulver – das harmlose gelbe Puder, wie Sherlock sich noch einmal in Erinnerung rufen musste – vom Pergamentbogen auf das Löschpapier. Er zog einen Federkiel aus einem Tintenfass und begann, auf dem Pergament zu schreiben. Die Handschrift war etwas krakelig, aber Sherlock konnte die Wörter gerade noch entziffern.

Werter MrCrowe,

heute hatte ich das unerwartete Vergnügen, die Bekanntschaft Ihres Schülers …

»Wie ist dein Name, mein junger Freund?«, fragte er und wandte sich Sherlock zu.

»Holmes, Sir. Sherlock Holmes.«

Master Sherlock Holmes zu machen. Er hat mir eine Probe eines gelben Puders gebracht, das, wie er sagt, bei den unter so tragischen Umständen verstorbenen Männern gefunden wurde. Den Männern, deren Todesumstände Sie mir in Ihrem Brief beschrieben haben, welcher heute Morgen eingetroffen ist. Nach eingehender Untersuchung des Pulvers kann ich es als simplen Bienenpollen identifizieren und daraus schließe ich, dass die beiden Männer nicht an der Beulenpest oder einer vergleichbaren Krankheit gestorben sind, sondern durch Bienenstiche. Wenn Sie einen ortsansässigen Arzt darum bitten, die vermeintlichen »Beulen« zu untersuchen, wage ich zu behaupten, dass er in jeder »Beule« kleine Stachel finden wird … oder zumindest Male, die von Stacheln stammen.

Ich muss diesem jungen Mann ein großes Lob dafür aussprechen, dass er mir die Pulverprobe gebracht hat. Wäre das nicht geschehen, hätten die Gerüchte über ein sich im Land ausbreitendes tödliches Fieber eine große Panik auslösen können.

Ich würde mich sehr freuen, wenn wir unsere Bekanntschaft zu einem Ihnen genehmen Zeitpunkt erneuern.

Hochachtungsvoll

Arthur Winchcombe, (Privatdozent)

Er faltete den Bogen zusammen und ließ ihn in einen Umschlag gleiten, den er aus einer Schreibtischschublade hervorholte. Dann nahm er einen Tropfen Wachs von der Kerze, die er für die Beleuchtung des Mikroskops verwendet hatte, versiegelte damit den Umschlag und händigte Sherlock das Schreiben aus.

»Ich hoffe, dass dich das vor allzu schmerzhafter Bestrafung bewahren wird«, sagte er. »Bitte richte deinem Lehrer meine Empfehlungen aus.«

»Werde ich machen.« Sherlock rang kurz nach Worten, ehe er fortfuhr. »Danke.«

Professor Winchcombe läutete eine kleine Glocke, die neben dem Mikroskop auf dem Löschpapier bereitstand. »Mein Butler wird dich hinausbegleiten. Wenn du irgendwann noch mehr über tropische Krankheiten oder die Bienenhaltung in China wissen willst, zögere nicht, mich wieder zu kontaktieren.«

Als Sherlock wieder auf der Straße stand, stellte er überrascht fest, dass die Sonne ihre Position nicht mehr als um ein paar Grade verändert hatte. Dabei war es ihm so vorgekommen, als hätte er Stunden bei Professor Winchcombe verbracht.

Matty saß auf der Gartenmauer und aß irgendetwas aus einer Papiertüte. »Hast du erledigt, was du wolltest?«, fragte er.

Sherlock nickte. Dann wies er auf die Papiertüte. »Was hast du da?«

»Muscheln und Schnecken«, kam die Antwort. Er hielt Sherlock die offene Tüte hin. »Willste was?«

Sherlock blickte hinein und sah einen Haufen Meeresmuscheln. »Sind die gekocht?«, fragte er.

»Gesiedet«, erwiderte Matty knapp. »Bin einem Fischhändler begegnet, der sie an seinem Stand verkauft hat. Ist vermutlich heute Nacht aus Portsmouth rübergekommen. Hab ’ne Weile bei ihm ausgeholfen. Kisten sauber scheuern, mehr Eis besorgen und all so was. Im Gegenzug hat er mir die hier gegeben. Als Bezahlung.« Er langte in die Tüte und fischte eine Muschel raus. Dann legte er die Tüte auf der Mauer ab und holte ein Klappmesser aus seiner Tasche hervor. Mit der Klingenspitze stocherte er im Inneren der halb geöffneten Muschel herum, bis er das, was auch immer sich darin befand, aufgespießt hatte. Sekunden später zog er etwas Dunkles und Glibberiges heraus und steckte es sich in den Mund.

»Herrlich«, stöhnte er genüsslich und strahlte über das ganze Gesicht. »Die kriegste nicht oft, wenn du nicht am Meer lebst. Ist dann jedes Mal fast so wie ein Festessen.«

»Ich glaube, ich verzichte«, sagte Sherlock. »Lass uns nach Hause gehen.«

Auf dem Weg zum Fluss ging es diesmal die High Street bergab. Unten angekommen, folgten sie dem Flussufer, bis sie wieder auf das Boot stießen. Wie Matty vorhergesagt hatte, waren sowohl das Boot als auch das Pferd noch da.

Sherlock fragte sich, wie es ihnen gelingen sollte, das Boot in die andere Richtung zu drehen. Aber Matty führte das Pferd in Stadtrichtung am Ufer entlang, bis sie zu einer Brücke kamen, auf der er mit Albert den Fluss überquerte. Da Albert noch per Leine mit dem Boot verbunden war, schwang dabei dessen Bug herum, während Sherlock mit dem Bootshaken dafür sorgte, dass der Kahn nicht gegen das Ufer stieß. Und dann ging es auch schon in gemächlichem Tempo auf die Rückreise. Diesmal allerdings postierte Sherlock sich vorne an den Bug, um Albert in Bewegung zu halten, und Matty bediente hinten die Ruderpinne.

Während das Boot langsam flussabwärts fuhr, berichtete Sherlock, was er erlebt hatte. Er erzählte von Professor Winchcombe und dessen Schlussfolgerungen bezüglich der Bienen und Stiche. Matty war zunächst skeptisch, aber schließlich konnte Sherlock ihn davon überzeugen, dass es keiner übernatürlichen Erklärung für die Todeswolke bedurfte. Matty schien in seinen Gefühlen hin- und hergerissen zu sein. Einerseits war er erleichtert, dass Farnham nicht von einer Seuche heimgesucht wurde, andererseits irritierte es ihn, dass sich die Lösung als so simpel herausstellte. Sherlock sagte nichts weiter, doch als sie so auf dem Fluss dahinfuhren, wurde ihm immer klarer, dass sie ein Geheimnis gelüftet hatten, nur um jetzt vor weiteren Fragen und Rätseln zu stehen. Warum hatten die Bienen an zwei verschiedenen Orten diese beiden Männer gestochen, aber niemanden sonst? Und vor allem: Wie kamen afrikanische Bienen überhaupt nach England? Und was hatte das alles mit dem Lagerschuppen, dem mysteriösen Baron und den Kisten zu tun, die von den Schlägertypen auf dem Wagen verstaut worden waren?

Nach einer Weile bemerkte Sherlock, dass sich am Flussufer ein weiteres Pferd zu Albert gesellt hatte. Es war ein Hengst mit schwarzem, glänzendem Fell und einem braunen Fleck am Hals. Und auf seinem Rücken saß Virginia Crowe.

Sie hatte ihre enge Reithose an und trug außerdem eine kurze Jacke über der Bluse.

»Hallo!«, rief Sherlock. Sie winkte zurück.

»Matty, das ist Virginia Crowe«, rief er über seine Schulter nach hinten. »Virginia, das ist Matthew Arnatt. Matty.«

Matty nickte Virginia zu, und Virginia nickte zurück. Aber keiner von ihnen sagte etwas.

Sherlock stellte sich auf die Bugkante, balancierte einen Moment lang unsicher auf der Stelle, während die Bootsspitze unter ihm auf- und abdümpelte, und sprang dann ans Ufer. Er packte Albert am Seilhalfter und führte ihn am Ufer entlang, während er neben Virginia und ihrem Pferd herging.

»Das ist Albert«, brachte er schließlich hervor.

»Das ist Sandia«, erwiderte Virginia. »Du solltest wirklich reiten lernen, weißt du.«

Er schüttelte den Kopf. »Hatte nie die Gelegenheit dazu.«

»Es ist ganz einfach. Aber ihr Jungs macht immer so ein Gewese darum, wie schwierig es doch angeblich ist. Führ’ das Pferd einfach mit den Knien, nicht mit den Zügeln. Nimm die Zügel nur, um das Pferd langsamer gehen zu lassen.«