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Sein Gegner machte wieder ein paar Schritte auf ihn zu, offenbar bereit, ihm einen Aufwärtshaken ins Gesicht zu verpassen. Also trat Sherlock zurück und ließ seine rechte Faust vorschnellen. Wie durch ein Wunder traf er den Mann genau auf die Nase. Sherlock spürte, wie etwas unter seinen Fingern knackte und dann lief seinem Gegner auch schon Blut an Kinn und Brust hinab. Der Mann zuckte zurück, atmete explosionsartig durch die Nase aus und besprühte Sherlocks Hemd dabei mit einem Schwall von Blut. Fast gleichzeitig führte er eine gerade Rechte gegen Sherlocks Brust. Der Treffer ließ Sherlock nach hinten taumeln. Ein heftiger Schmerz durchfuhr seine Rippen. Einen Moment lang dachte er, sein Herz wäre stehengeblieben. Er versuchte Luft zu holen, aber wie es schien, hatte seine Lunge ihre Arbeit eingestellt. Zusammengekrümmt stand er da und versuchte verzweifelt, etwas Luft einzusaugen.

Eine Hand packte ihn hinten am Nacken und schleuderte ihn über die Grasfläche. Der Aufprall auf den Boden quetschte ihm das letzte bisschen Atemluft aus dem Körper, woraufhin jedoch sich sein Brustkorb reflexartig weitete und schlagartig wieder Luft in die Lunge strömte. Er rollte sich zur Seite – einen Wimpernschlag bevor sich ein Fuß an der Stelle in den Boden rammte, an der eben noch sein Kopf gewesen war. Taumelnd rappelte sich Sherlock wieder hoch.

Das Gesicht seines Gegners war eine einzige blutverschmierte Maske, die nur von zwei schmalen, wütend blitzenden Augen und einer Reihe gefletschter Zähne unterbrochen wurde. Der Mann machte ein paar Schritte auf Sherlock zu und schlug eine Links-Rechts-Kombination. Die Linke landete in den Rippen, die Rechte an der Schläfe. Grellroter brutaler Schmerz erfüllte Sherlocks Welt und auf einmal schien alles ganz weit entrückt. Er fiel, aber er spürte den Aufprall schon nicht mehr, als er auf den Boden aufschlug.

Dunkelheit umfing ihn und Sherlock ließ sich bereitwillig von ihr verschlingen.

10

Als Sherlock wieder aufwachte, hatte er das Gefühl, ihm würde der Schädel platzen. Der Schmerz schien sich um die rechte Schläfe herum zu konzentrieren und pulsierte auf unerträgliche Weise in Einklang mit seinem Herzschlag. Er hatte das irrationale Empfinden, als säße ein riesiger weicher pochender Klumpen mitten in seinem Kopf, an dem er nicht vorbeisehen oder vorbeiklettern konnte. Eine Weile lag er einfach nur so im Dunkeln. Er dachte an nichts, sondern ließ sich von dem Schmerz vor- und zurücktreiben, und wartete darauf, dass er nachließ. Was er schließlich auch tat.

Das Letzte, an das er sich erinnern konnte, war, wie er von dem Jahrmarktsboxer bewusstlos geschlagen worden war. Und nun lag er in einem bequemen Bett, und sein Kopf ruhte auf einem Stapel weicher Daunenkissen. Was bedeutete, dass er sich nicht mehr auf dem Jahrmarkt befand. Er lag weder im matschigen Grasring noch war er wie ein nasser Sack in irgendein Zelt verfrachtet worden, bis er wieder zu sich kam. Es sei denn natürlich, er war am Halluzinieren. Was durchaus möglich war, in Anbetracht der Tatsache, dass er eine Kopfverletzung erlitten hatte.

Nein, so sagte er sich energisch, er musste einfach davon ausgehen, dass das, was er fühlte, hörte und sah, der Realität entsprach und nicht einfach nur die Ausgeburt eines ramponierten Gehirns war.

Das diffuse Licht, das durch die zugezogenen Vorhänge drang, verriet ihm, dass es immer noch Morgen war. Er lag nicht in seinem Bett, so viel war jedenfalls klar. Sein eigenes Bett war härter, und die Kissen hatten eine klumpige unbequemere Füllung.

Jemand von Holmes Manor musste ihn gefunden und dorthin zurückgebracht haben. Allerdings hatte man ihn in ein bequemeres Bett gesteckt, wahrscheinlich eines, das für den Doktor und die Dienstmädchen leichter zu erreichen war. Er lauschte angestrengt, ob draußen vor dem Fenster irgendwelche Bewegungen zu hören waren. Aber abgesehen von einem Geräusch, bei dem es sich um entferntes Vogelgezwitscher handeln mochte, war da nichts.

In welchen Schwierigkeiten mochte er wohl nun schon wieder stecken? Bei dem Gedanken daran entfuhr ihm unwillkürlich ein Stöhnen. Er hatte gegen die klaren Anweisungen seines Onkels verstoßen, und er hatte das dumpfe Gefühl, dass jeder Versuch, das Ganze mit einem Hinweis auf ein vermeintliches Treffen mit Amyus Crowe zu erklären, mit rigoroser Härte beantwortet werden würde. Schlimmer noch: Er war in einen ordinären Faustkampf verwickelt worden. Und sogar schlimmer noch als das: Er hatte verloren. Das würde zwar Sherrinford und Anna Holmes wahrscheinlich nicht sonderlich berühren, aber wenn Sherlocks Vater jemals etwas davon mitbekäme, würde er außer sich vor Zorn sein. War doch eine seiner beliebtesten Redensarten: »Ein Gentleman beginnt niemals einen Kampf, sondern beendet ihn stets.«

Wenn er Glück hatte, würde ihn sein Onkel für den ganzen nächsten Monat zu Stubenarrest verdonnern und seine Mahlzeiten auf Brot und Wasser beschränken. Wenn er Glück hatte. Wenn er keines hatte, dann … na ja, da war er sich nicht so sicher. Aber seiner Vermutung nach würde die Strafe schrecklich ausfallen. Eine Tracht Prügel vielleicht? Oder eine Züchtigung mit dem Rohrstock oder dem Ledergürtel? Sein Onkel würde das wahrscheinlich eher mit Bedauern als mit Wut machen. Aber gab es da nicht irgend so einen Spruch in der Bibel, der »Wer die Rute spart, verzieht das Kind!« oder so ähnlich lautete?

Es würde übel werden.

Sherlock hob die Hand, um seinen Kopf zu berühren. Seine Finger ertasteten eine riesige Beule, und als er vorsichtig dagegen drückte, hatte er das Gefühl, ihm würde jemand einen glühenden Nagel durch den Kopf treiben.

Vorsichtig setzte er sich auf. Weder Kopf noch Magen reagierten sehr dankbar auf die Bewegung.

Die Wände des Raumes, in dem er sich befand, waren mit Holz getäfelt. Er selbst lag in einem Himmelbett, über dem sich ein mit kunstvollem Stickwerk verzierter Baldachin wölbte. Weder das Bett noch sonst etwas an der Einrichtung kam ihm von Holmes Manor her bekannt vor. Er sah an sich hinab. Er war immer noch angekleidet, auch wenn man ihm die Jacke ausgezogen hatte. Er blickte sich um und sah sie schließlich an einem Kleiderhaken hängen, der an der Innenseite der Tür angebracht war.

Er warf die Decke zurück, unter der er gelegen hatte, und drückte sich langsam in die Höhe. Einige Augenblicke lang schien die ganze Welt wie Wasser hin- und herzuschwappen, das in einem gerade abgestellten Eimer allmählich zur Ruhe kam. Man hatte ihm die Schuhe ausgezogen. Aber wie er feststellte, waren sie nebeneinander ans Fußende des Bettes gestellt worden. Er wankte ans Bettende und gab sein Bestes, um in die Schuhe zu schlüpfen, ohne sich nach vorne zu beugen. Denn das, sagte ihm ein untrügliches Gefühl, wäre eine äußerst schlechte Idee.

Er ging zum Fenster hinüber und zog den Vorhang zurück. Aber der Ausblick, der sich seinen Augen bot, hatte keinerlei Ähnlichkeit mit der Landschaft, die Holmes Manor umgab.