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Das Land dort draußen war flach und öde, und auf der rötlich braunen, trockenen Erde wuchsen weder Gras noch sonstige Pflanzen. Stattdessen war das Grundstück, so weit das Auge reichte, mit Holzkisten übersät, die jeweils auf einer Bodenplatte mit vier massiven Beinen standen. Sie sahen ein wenig wie Hühnerställe aus, waren aber viel kleiner. Jede Kiste wies unten – kurz oberhalb der Stelle, wo sie auf der Bodenplatte ruhte – ein kleines Loch auf.

Die Kisten waren in einem regelmäßigen Muster aufgestellt. Eine rasche Multiplikation im Kopf verriet Sherlock, dass er auf etwa fünfhundert Kisten starrte.

Rauchschwaden schienen sich über einigen Kisten zu kräuseln. Allerdings musste der Wind hier auf ziemlich merkwürdige Weise verwirbelt werden, denn die Rauchwolken über den einzelnen Kisten wehten in ganz unterschiedliche Richtungen davon. Einige schwebten nach oben, einige nach links oder rechts, während andere einfach nur vor den Öffnungen in den Kisten umherzuschweben schienen, als würden sie versuchen heraus- oder hereinzukommen.

Hinter einer der Kisten kam eine Gestalt hervor. Sie war in einen locker sitzenden Overall gekleidet, der aus Leinen zu bestehen schien. Der Kopf war vollständig von einer Maske aus Musselinstoff bedeckt, der durch hölzerne Streben vom Gesicht abgehalten wurde und so dünn war, dass der Träger hindurchsehen konnte. Die Gestalt ging zu einer anderen Kiste und hob vorsichtig den Deckel an. Noch mehr Rauch quoll nach draußen und umhüllte den Kopf der Gestalt, was ihr jedoch nichts auszumachen schien. Vielmehr beugte sie sich noch näher heran, um nach einem Blick in die Kiste den Deckel schließlich wieder zu schließen. Daraufhin zog sie aus dem Boden der Konstruktion etwas heraus, das wie ein hölzernes Tablett aussah. Die Gestalt musterte das Tablett ein paar Sekunden lang. Dann machte sie ein paar Schritte und legte es auf einen Stapel gleichartiger Tabletts ab.

Plötzlich war Sherlocks Hirn wieder hellwach, und schlagartig wurde ihm klar, was er da gerade beobachtete. Die Wolke, die er von der Männerleiche im Wald nahe Holmes Manor hatte aufsteigen sehen; der Rauch, den Matty beobachtet hatte; die Pollen, die er zu Professor Winchcombe gebracht hatte: Endlich ergab das alles einen Sinn.

Sie hatten es nicht mit Rauch, sondern mit Bienen zu tun. Kleine schwarze Bienen. Und das bedeutete, dass es sich bei den Kisten um Bienenstöcke handelte, und der Mann in der Maske ein Imker war.

Aber was waren das für Bienen und wozu brauchte man sie? Um Honig zu produzieren? Zur Verteidigung? Oder für etwas anderes? Aber noch wichtiger: Wo zum Teufel war er eigentlich?

Hinter ihm ging die Tür des Zimmers auf. Rasch drehte er sich um. Zwei Männer standen im Türrahmen. Ihre schwarze Samtkleidung aus kurzem Überrock, Weste, Kniehose und Beinlingen war makellos rein, aber von altmodischem Schnitt. Die Gesichter steckten hinter schwarzen Samtmasken mit Sehschlitzen.

Einer der Männer wies über die Schulter nach hinten. Die Bedeutung war klar: Sherlock sollte mit ihnen kommen. Einen kurzen Moment lang spielte er mit dem Gedanken zu rebellieren. Schließlich war er noch nie besonders gut darin gewesen, Befehlen zu gehorchen, die ohne Erklärungen erteilt wurden. Aber nachdem er eine Sekunde darüber nachgedacht hatte, kam er zu dem Schluss, dass sie ihn einfach packen und mit sich fortschleppen würden, wenn er ihren Anordnungen nicht Folge leistete. Und irgendwie hatte er das Gefühl, dass sie dabei auch nicht gerade zimperlich vorgehen würden.

Außerdem, so wurde ihm bewusst, war das wohl die einzige Möglichkeit herauszufinden, was da vor sich ging.

Obwohl ihm das Herz bis zum Hals klopfte, gelang es Sherlock, eine ruhige, ja sogar gelangweilte Miene an den Tag zu legen, als er auf die Tür zuging. Die beiden Diener traten zurück, um ihn durchzulassen.

Die Tür führte auf einen weiten, opulent geschmückten Korridor hinaus, der in satten Rot- und Violetttönen gehalten war. In die Tapete war ein markantes Wappen eingewebt, das als Stickmotiv auch auf den Samtvorhängen zu sehen war.

Einer der Diener geleitete Sherlock eine breite Treppe hinab, während der andere ihm auf den Fersen folgte. Bis auf Sherlocks Schritte, die von den weißen Marmorstufen widerhallten, war kein Laut zu hören. Denn die Schuhe der Diener waren umwickelt und erzeugten kaum mehr als den Hauch eines Scharrens.

Am Fuß der Treppe angekommen, führte der erste Diener Sherlock auf eine geschlossene Tür zu, die sich neben einem wuchtigen Teakholzschrank befand. Er zog die Tür auf und bedeutete Sherlock mit einer Geste hindurchzugehen.

Mit einem dumpfem, endgültig klingendem Ton schloss sich die Tür hinter ihm.

Der Raum, in dem er nun stand, war groß, kalt und lag fast vollständig im Dunkeln. Sämtliche Fenster waren mit dicken Vorhängen bedeckt. Lediglich ein paar wenige, diagonal verlaufende Lichtstrahlen durchdrangen die Finsternis, und in ihrem spärlichen Licht konnte Sherlock unmittelbar vor sich gerade eben noch die vorderen Konturen eines riesigen Holztisches erkennen, vor dem ein massiver Stuhl stand. Alles andere war im Dunkeln verborgen, mit Ausnahme einiger glitzernder Flecken, bei denen es sich um metallene Gegenstände handeln mochte, die an den Steinwänden hingen.

Es schien offensichtlich, was man von ihm erwartete. Er spürte, wie ihm vor Nervosität und Anspannung Schweißperlen den Nacken hinabrannen, als er auf den Stuhl zuging und sich setzte.

Eine ganze Weile herrschte absolute Stille. Nur das rasche Schlagen seines Herzens dröhnte in seinen Ohren. Er strengte die Augen an, um die Dunkelheit zu durchdringen. Aber außer der Tischfläche unmittelbar vor ihm war nichts zu erkennen.

Doch dann, ganz allmählich, begann er ein feines Geräusch wahrzunehmen: ein rhythmisches Knarren und Knarzen, ähnlich wie es die Takellage eines Schiffes erzeugt, das von den Wellen irgendeines imaginären Ozeans hin- und hergeworfen wird. Das Geräusch schien an- und abzuschwellen. Fast so, als würde eine schwache Brise in regelmäßigen Abständen in ein Leinensegel fahren und an nassem Tauwerk zerren, um es dann sogleich wieder fahren zu lassen. Er kam einfach nicht darauf, um was es sich dabei handelte. Er konnte doch unmöglich auf einem Schiff sein? Der Blick vorhin aus dem Zimmerfenster hatte ihm gezeigt, dass er sich an Land befand, und der Boden unter ihm hob und senkte sich nicht. Was also war das für ein Geräusch?

»Du warst im Lagerhaus.« Die Männerstimme, die aus der Dunkelheit von der anderen Tischseite her zu ihm drang, war kaum mehr als ein Flüstern. Sherlock meinte, die Spur eines Akzentes herausgehört zu haben – der Buchstabe »H« im Wort »Lagerhaus« hörte sich irgendwie fast verschluckt an –, doch er kam einfach nicht darauf, aus welchem Land der Sprecher stammen könnte. »Warum warst du im Lagerhaus?«

»Wer sind Sie?«, fragte Sherlock entschieden, wobei er eine großspurige Entschlossenheit in seine Stimme legte, die er eigentlich überhaupt nicht empfand.

»Warum warst du im Lagerhaus?«, beharrte die Stimme. Sherlock musste angestrengt hinhören, um die Worte bei dem Geknarre und Geknarze im Hintergrund zu verstehen.

»Mein Onkel wird sich Sorgen um mich machen«, polterte Sherlock. »Sie werden Suchmannschaften ausschicken.« Er wusste nicht, ob das stimmte, aber es kam ihm schlau vor, das zu sagen. Vielleicht würde er seinen mysteriösen Befrager damit aus dem Konzept bringen.

»Ich werde dich nur noch einmal fragen. Und dann wirst du die Konsequenzen tragen müssen. Also, warum warst du im Lagerhaus?«

»Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«

Etwas kam aus der Dunkelheit auf ihn zugeschossen: etwas Dünnes, Schwarzes, das wie eine zustoßende Kobra vorschnellte und ihn an der rechten Wange traf, bevor es sich gleich darauf wieder in die Finsternis zurückzog. Er zuckte zusammen und spürte noch einen winzigen Augenblick, ehe ihm der Schmerz wie ein Messerstich ins Fleisch fuhr, wie ihm das Blut über die Haut tropfte.