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Was für ein Unterschied zu der anderen weiblichen Person, die hier anwesend war, allerdings nicht im Saal. Sie befand sich in der erwähnten Kammer hinter der Pfeilerreihe, deren Fußboden höher lag als der des Hauptraums und deren Eingang man über drei Stufen erreichte. Die Tür stand offen und dahinter sah man diese Frau, halb sitzend, halb liegend auf einem Ruhebett, in dem schummrigen Licht, das aus dem Saal dort hinein drang. Ich sage „Frau“, obwohl man sie auf den ersten Blick auch für eine Jungfrau halten konnte. Es war eine zarte, schmale, zerbrechlich wirkende Schönheit. Mit großen, weit geöffneten Augen blickte sie Herrn Siegram an … oder an ihm vorbei? Das war von meinem Standpunkt aus nicht genau festzustellen. Auch sie war geschmückt, doch weniger aufwendig, dafür erlesener als die andere. Ihr schlicht zurück gekämmtes kupferrotes Haar wurde von einer Nadel gehalten, an der kleine Diamanten glänzten. Auf dem hoch geschlossenen dunklen Gewand trug sie am Hals ein goldenes Kreuz, in dessen Mitte ein feuriger Stein funkelte. War die Ältere der beiden Frauen auf eine gröbere Art eindrucksvoll, wirkte die Jüngere edler und vornehmer. Sie strahlte engelhafte Ruhe, Würde, Zartheit, Reinheit und Frömmigkeit aus.

Das schien auch der Sänger zu empfinden, denn er wandte sich mit seinen Versen ausschließlich an sie. Auch diesmal improvisierte er und tat manches hinzu, um der Figur seiner Dichtung die Züge der leiblich vor ihm sitzenden Schönheit zu geben. Nun hatte das Haar seiner Heldin „des Abendrots purpurnen Schimmer“ und „der Ewigkeit stiller Glanz“ lag in ihren Augen. Auch das Kreuz mit dem feurigen Stein fehlte nicht, denn „frommen Sinn verriet ihr köstlich Geschmeide“.

Während er sang und die Harfe schlug, versuchte Herr Siegram einige Male, noch näher an die Schöne in der Kammer heranzutreten. Doch es gelang ihm nicht, weil die andere dann jedes Mal wie zufällig einen Schritt zur Seite machte und mit ihrer üppigen Leiblichkeit ein Hindernis bildete. War sie eifersüchtig? Wollte sie seine Aufmerksamkeit auf sich selbst lenken? Oder wollte sie die Junge, die aber kaum ihre Tochter sein konnte (denn sie selbst hatte wohl noch keine drei Dezennien) vor einer zu aufdringlichen Huldigung schützen?

Ich tauschte einen Blick mit Odo, der nur die Augenbrauen bedeutsam hochzog. Gleich reckte er wieder den Hals. Die schönen Frauen hatten ihn schon verzaubert.

Als Siegram seinen Vortrag beendete, trat die Ältere rasch auf ihn zu. Begeistert blickte sie ihm in die Augen. Sie ergriff seine Hand, um sie mit ihren beiden Händen zu drücken. Diese Geste wirkte etwas befremdlich, der Beifall gewohnte Sänger selbst war verlegen. Es war einen Augenblick lang vollkommen still. Dies nutzte Odo, um die Männer, die vor ihm standen, zur Seite zu schieben und in die Mitte zu treten.

„Seid gegrüßt, begnadete Nachtigall!“, rief er. „Wir zogen vorüber und hörten Eure lieblichen Töne. Da konnten wir nicht widerstehen und mussten herkommen. Schöne Damen, unsere Ehrerbietung! Und auch ihr Männer … seid alle gegrüßt! Ich bin Odo von Reims, ein Nachkomme Chlodwigs, des Merowingers, und Vasall des Königs, und dort steht Lupus, aus edlem Frankengeschlecht, ein bedeutender Rechtsgelehrter. Wir sind als Königsboten unterwegs, als Kommissare unseres erhabenen Herrschers. In seinem Namen erbitten wir Nachtquartier. Ist der Hausherr zugegen?“

Odos überfallartiger Auftritt löste einige Aufregung aus. Herr Siegram machte ein saures Gesicht, verneigte sich steif und murmelte einen Gruß. Die hoch gewachsene Dame erschrak zunächst, doch fasste sie sich gleich wieder.

„Der Hausherr, mein Gemahl, ist leider abwesend“, sagte sie, wobei sie Odo mit einem hoheitsvollen Blick musterte. „Er ist dem Ruf des Königs gefolgt. Erlaubt deshalb, dass ich Euch in seinem Namen begrüße.“

„So seid Ihr Frau Begga, die Zentgräfin. Weithin berühmt für ihre Schönheit und Gastfreundschaft.“

„Ihr versteht es zu schmeicheln. Doch erwartet nicht zu viel. Natürlich werdet Ihr bei uns Kost und Herberge finden. Nehmt zuvor einen Trunk zur Begrüßung. Es ist eine Ehre für uns, so hohe Gäste zu empfangen.“

Inzwischen war auch ich eingetreten. Hinter mir drängten Fulk, der jüdische Kaufmann und die Pilger herein, die ungeduldig geworden waren. Frau Begga, winkte Knechten und Mägden und gab Befehle. Ich sah sie auch kurz mi Herrn Siegram sprechen. Die junge Schönheit war nicht im Saal, sie musste noch in der Kammer sein, deren Tür jetzt geschlossen war. Vielleicht verbarg sie sich vor den Augen so vieler Fremder.

Plötzlich rief Odo: „Da ist ja noch ein guter Bekannter!“

Dieser hatte sich schon erhoben und trat hinkend auf Odo zu. Wahrhaftig, es war der Herr vom Pferdemarkt! Wir hatten ihn vorher nicht bemerkt, denn er hatte in einer schattigen Ecke gesessen. Er streckte uns seine große, rot behaarte, schwitzende Hand hin.

„Ich bin Hauk. Der Bruder des Zentgrafen.“

„So erfahre ich doch noch Euern Namen“, sagte Odo. „Ich hatte vergebens hinter Euch her gerufen.“

„Verzeiht, ich war heute Mittag in Eile. Wenn man schon mal den Weg zum Markt zurücklegt, hat man manches zu erledigen. Und wie Ihr seht, bin ich nicht mehr der Schnellste.“

„Was ist Euch passiert?“

„Ein Schwerthieb, im Sattel empfangen. Unter Herrn Audulf, in der Bretagne.“

„Ein kurzer, aber ruhmreicher Waffengang.“

„Das kann man wohl sagen. Doch leider der letzte, in dem ich Heldenschweiß vergießen durfte. Jetzt vergieße ich nur noch Bauernschweiß. Seid Ihr zufrieden mit dem Pferd?“

„Ein prächtiges Tier.“

„So reut es mich nicht, es gleich verkauft zu haben. Mein Bruder, dem es vorher gehörte, wird sich freuen, wenn er nach seiner Rückkehr erfährt, dass ein großer Herr wie Ihr es nun reitet. Erlaubt jetzt, dass ich Euch diese Männer vorstelle …“

Er rief einige der Graubärte heran, die sich respektvoll verneigten. Es waren der Gutsverwalter, der Priester des Dorfes und ein paar Bauern, die in der Nachbarschaft ihre Höfe hatten.

„Wir sind Herrn Farold und den anderen begegnet“, sagte ich.

„Ach, wirklich?“, entgegnete Hauk.

„Auch Ihr müsst sie getroffen haben, als Ihr Euch nach Hause begabt.“

„Nein, das habe ich nicht. Ich benutze meine eigenen Wege. Auf der Straße ist zuviel Gesindel unterwegs und überall lauern die Schnapphähne.“

„Führt einer Eurer Wege vielleicht am Grab des Eremiten vorbei?“

„Woher wisst Ihr von diesem Grab?“, fragte Hauk, die kleinen, schlauen Augen argwöhnisch zusammen kneifend.

„Herr Farold sagte uns, dass Euer Bruder dort beten wollte, bevor er mit den anderen zum Rhein zog. Leider verfehlten sie sich.“

„Sie verfehlten sich?“

„Herr Mommo kam nicht.“

„Seltsam. Hoffentlich ist ihm nichts zugestoßen.“

„Ihr selbst habt ihn heute nicht mehr gesehen?“

„Wie sollte ich! Bin ja viel später aufgebrochen.“

„Habt Ihr denselben Weg benutzt?“

„Es gibt viele Wege, wenn man sich auskennt.“

„Wusstet Ihr, dass Euer Bruder noch zu dem Grab reiten wollte?“

„Warum fragt Ihr?“ Wieder sah er mich misstrauisch an. „Ja, ich wusste es … seit heute Morgen. Gestern Abend, beim Abschiedsgelage, hat er uns nichts davon gesagt. Wann ist es Mommo eigentlich eingefallen, noch unseren Heiligen zu besuchen?“, wandte er sich an Frau Begga, die sich geschäftig gab, doch in der Nähe hielt und dem Gespräch zu folgen versuchte.

„Warum langweilst du unsere Gäste mit dieser Geschichte?“, sagte sie herantretend in ihrem romanisch gefärbten Diutisk. „Ganz plötzlich fiel es ihm ein, reichlich spät. Eine Aufregung war das heute Nacht! Auf einmal erhob er sich vom Lager und sagte: ‚Es ist besser, wenn ich vorher noch zu Ponz reite. Es geht in den Kampf, da kann man nie wissen, wozu der Schutz eines Heiligen gut ist.‘ Natürlich war alles vorbereitet … Helm, Brünne, Waffen, Gepäck. Wir nahmen Abschied … ach, es war schrecklich. Ich tat kein Auge zu. Bei Sonnenaufgang musste ich ja auch am Tor sein, um den anderen zu sagen, wo sie ihn treffen würden.“