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„Was hast du, Rouhfaz?“

„Ich sterbe.“

„Bist du nicht bei Verstand? Was fehlt dir denn?“

„Herr Odo hat mich mit seinem Schwert erschlagen.“

„Noch lebst du ja.“

„Nicht mehr lange.“

„Ein Hieb mit der flachen Klinge … davon willst du gleich sterben?“

„Alle meine Rippen sind gebrochen, meine Gedärme verschlungen. Bald wird mein Herzschlag aussetzen.“

„Das ist die Strafe für deine Schändlichkeit. Für das, was du vorhattest … mit der Magd, die gewiss eine Jungfrau ist.“

Aber Rouhfaz zeigte keine Einsicht, jammerte nur noch lauter. Er verlangte nach einem Arzt, den es natürlich hier nicht gab.

„Nimm dich endlich zusammen, Rouhfaz“, zischte ich, „und störe nicht weiter.“

Plötzlich ließ sich Fulk vernehmen und sagte mit seiner heiseren Trinkerstimme: „Ich wüsste für den schon ein Heilmittel. Wenn Ihr es befehlt, erwürge ich ihn. Damit er nicht lange leiden muss und wir endlich unsere Ruhe haben.“

Rouhfaz war augenblicklich still. Kein Laut kam mehr über seine Lippen. Ich gestehe, dass ich die gottlose Drohung nicht rügte. Mich verlangte nach Schlaf und so bekam ich ihn.

4. Kapitel

Es war nur noch eine kurze Nacht. Mit dem ersten Hahnenschrei erwachte ich aus einem unruhigen Schlaf. Ich stand auf, warf die Kutte über das Hemd und trat hinaus. Im fahlen Morgenlicht krochen aus den Hütten ringsum elende Gestalten, um ihr Tagewerk zu beginnen. Fröstelnd rieb ich die Hände.

Ich suchte einen geeigneten Platz, um meine Morgenandacht zu halten. Mein Blick fiel auf die kleine Kirche. Unscheinbar duckte sie sich zwischen Saalhaus und Turm. An den Giebel waren zwei gekreuzte Äste genagelt. Die Tür stand offen, das heißt, sie hing in den Angeln.

Ich trat ein. Der Raum war fast leer. Aus den Wänden waren überall Steine herausgefallen, sie lagen haufenweise auf dem Fußboden. Auch hier gab es ein Kreuz, schief aufgehängt an der gegenüber liegenden Wand. Darunter stand ein roh gezimmerter Tisch mit einer schmutzigen Altarecke, deren Borten und Spitzen zerrissen waren. Bei meinem Eintritt flatterten Hühner auf und ergriffen die Flucht. Ich musste an die Worte des Königs denken: „An den Altären lagern Hunde.“ Hier waren es Hühner.

Ich ging noch einmal hinaus und rupfte Gras, um notdürftig den über und über beschmutzten „Altar“ zu reinigen. Auch das Kreuz hängte ich gerade. Dann säuberte ich ein Plätzchen vom Hühnerdreck, kniete nieder und hielt die Andacht. Ich bat Gott um Verzeihung für die Gleichgültigen und Nachlässigen, die seine Wohnung verkommen ließen, versprach, ihnen ins Gewissen zu reden und die Missstände zu beseitigen.

Plötzlich vernahm ich von draußen Schritte. Eine grobe weibliche Stimme rief: „Herr! Herr, wacht auf! Macht schnell! Kommt mit! Hört Ihr? Wacht auf, Herr! Kommt herunter! Beeilt Euch doch!“

Ich lag noch immer auf den Knien. Doch der Psalm, den ich gerade begonnen hatte, erstarb auf meinen Lippen.

Nun hörte ich die Stimme des Hauk.

„Was willst du, Celsa? Was fällt dir ein? Warum störst du mich mitten in der Nacht?“

„Kommt herunter, Herr!“

„Verschwinde! Oder ich lasse dich auspeitschen!“

„Die junge Herrin ist tot!“

„Was sagst du?“

„Umgebracht! Sie ist umgebracht!“

„Willst du mich foppen?“

„Es ist die Wahrheit!“

„So ist sie ermordet?“

„Ja doch!“

„Wer war das? Wer hat das getan?“

„Die Herrin sagt …“

„Was sagt sie? Nun, was? Was sagt die Herrin?“

„Sie sagt, dass es der Sänger war.“

Ich war aufgesprungen und unter die Tür getreten. Jetzt sah ich die Celsa genannte Magd, rotgesichtig, plump, mit lose geflochtenem Zopf. In zehn Fuß Höhe stierte Hauk aus der Einstiegsöffnung des Turms. Sein fetter, rötlich behaarter Leib war nackt unter dem Schafpelz, den er um sich geschlagen hatte.

„Der Sänger also!“, rief er. „Verfluchte Satansbrut! Nun, haben sie ihn? Wo ist er jetzt?“

„Fort! Er ist fort. So kommt doch, helft! Die Herrin ist außer sich, die schreit sich die Seele aus dem Leib. Ihr müsst sie beruhigen!“

Jetzt erschien Odo hinter Hauk, auch er fast nackt, mit Stroh im Haar.

„Was ist los?“

„Ein Mord. Meine Brudertochter. Der Sänger war es, er ist aber über alle Berge. Lauf zurück, Celsa! Sag der Herrin, dass ich gleich dort sein werde. Wenn Ihr mitkommen wollt, Herr Odo … Aber Ihr müsst Euch nicht beeilen. Helfen können wir doch nicht mehr.“

Die Magd rannte davon. Ich besann mich nicht lange, eilte zurück in das Saalhaus, weckte Rouhfaz.

„Hol mir den Esel! Schnell!“

Rouhfaz knurrte, zog aber sein Hemd an und torkelte hinaus. Wenig später ritt ich durch das Tor. Ein paar Bewaffnete lungerten dort.

„Du kommst zu spät, Vater!“, rief mir einer nach. „Sie ist schon in der Hölle!“

Ich hörte sie noch ein zweideutiges Gelächter anstimmen. An dem zugeschütteten Graben erreichte ich die Magd. Sie war barfuß und trat vorsichtig auf, um auf den Steinen nicht auszugleiten. Ich saß ab und führte Grisel am Zügel. Die Magd sah sich scheu nach mir um, ließ ihre hoch gerafften Röcke fallen und zog den Kopf ein.

„Warte, Celsa!“, sagte ich und beeilte mich, an ihre Seite zu gelangen. „Ich habe alles gehört, was du Herrn Hauk mitgeteilt hast. Warst du es, die die Tote gefunden hat?“

„Ja, das war ich“, antwortete sie, ohne mich anzusehen.

Ihre Füße fanden Halt an der Böschung. Sie erreichte den Waldweg und stapfte mit großen Schritten, den Blick gesenkt, vor mir her.

„Hast du gleich bemerkt, dass sie tot war?“

„Ja.“

„Hast du sie angerührt?“

„Ich hab nichts getan!“

„Schon gut. Aber sag, war es deine Aufgabe, Frau Chrodelind zu bedienen?“

„Ja.“

„Hast du das auch gestern Abend getan?“

„Nein.“

„Warum nicht?“

„Die Herrin wollte es nicht.“

„Aber heute Morgen bist du zu ihr hineingegangen.“

Celsa antwortete nicht gleich. Dann presste sie hervor: „Ich hab Angst gehabt, weil sie so still war.“

„Was meinst du damit?“

„Sie war immer früh auf und sang.“

„Wir hörten, dass sie sich gestern nicht wohl befand.“

Die Magd zögerte wieder.

„Die junge Herrin war immer gesund“, sagte sie trotzig. „Das gab es nicht, dass sie krank war.“

Wir durchquerten das Wäldchen. Celsa war meist drei Schritte mir. Es schien, dass sie meinen Fragen zu entkommen suchte. Ich schwang mich wieder auf Grisels Rücken und ritt an ihre Seite.

„Du bist aufgeregt, Celsa. Ich bin ein Fremder für dich, doch hab Vertrauen zu mir. Wir müssen die Wahrheit herausbekommen, um den Schuldigen zu bestrafen. Du sahst also gleich, dass Frau Chrodelind tot war. Sahst du auch, dass sie umgebracht wurde?“

„Ja.“

„Und was tatest du?“

„Ich lief fort.“

„Zu Frau Begga, vermute ich.“

„Ja.“

„Und wo fandest du sie?“

„Im Schlafhaus.“

„Wo sie gewöhnlich übernachtet.“

„Nein, sonst schläft sie im Seli.“

„Ich nehme an, zu dieser Kammer im Saalhaus hat nur sie einen Schlüssel.“

„Der Herr hat auch einen.“

„Aber die Tür war nicht verschlossen, als du heute Morgen nach Frau Chrodelind sahst.“

„Nein.“

„Es konnte jeder bei ihr eintreten.“

„Ja.“

„Warum sagtest du, dass es der Sänger war?“

„Er hat ja im Seli geschlafen.“

„Und glaubst du auch, dass er sie umgebracht hat?“

„Die Herrin sagt es!“, stieß Celsa hervor. Sie begann zu laufen. Keuchend, mit rotem Gesicht und aufgelösten Haaren, schleppte sie ihren schweren Körper. Das Verhör war ihr unangenehm. Sie mochte befürchten, in etwas verwickelt zu werden, was sie als Magd nichts anging. Es war stets misslich und konnte übel ausgehen, wenn sich Unfreie in die Angelegenheiten ihrer Herren einmischten.