Выбрать главу

Ich hatte jedoch den Eindruck; dass sie etwas wusste, was sie mir nicht sagen wollte. Sie mochte Angst haben, ich würde aus ihr herausfragen, was sie lieber für sich behalten wollte. Und vielleicht wäre mir das auch gelungen, wenn es nicht hinter uns plötzlich Bewegung gegeben hätte.

Im Galopp preschte Odo heran. Bei ihm waren Fulk und seine drei Männer. Celsa flüchtete unter die Bäume. Auch ich lenkte Grisel an die Seite.

„Weißt du es schon?“, schrie Odo. „Der Kerl ist geflohen. Aber ich hol ihn zurück!“

Und damit waren sie vorüber. Jetzt tauchte auch Hauk mit einem kleinen Gefolge auf. Er hatte es nicht ganz so eilig. Ich schloss mich ihm an und wir erreichten kurz darauf den Waldrand.

Eine freundliche Morgensonne beschien das Tal, in dem ein Mord geschehen war.

Ich hätte mir gewünscht, allein und als Erster am Ort des Geschehens eingetroffen zu sein. Vielleicht würde ich dieses oder jenes bemerkt haben, was uns klüger gemacht hätte. Doch wir gerieten in ein Gedränge. Das ganze Dorf war schon auf den Beinen und weit über hundert Menschen waren im Herrenhaus versammelt. Ein Teil von ihnen, krumme alte Weiber, kecke Burschen und sogar Kinder darunter, war bis in den Saal vorgedrungen. Hinter den Pfeilern, um das Treppchen zur Kammer, hatte sich eine Traube gebildet. Alles machte die Hälse lang. Wer etwas gesehen hatte, teilte es den hinter ihm Stehenden mit, die es raunend und wispernd weitergaben.

„Womit hat er es getan?“, hörte ich die fistelnde Stimme eines Greises. „Mit einem Strick“, brummte jemand zur Antwort. „Nein, mit einem Messer“, krächzte es. „Er hat ihr die Kehle durchgeschnitten.“

Mit den Armen rudernd bahnten wir uns einen Weg.

Hauk schlug rücksichtslos mit der Faust zu.

„Weg da, Gesindel! Dreckspack! Was gibt es zu gaffen? Fort, an die Arbeit!“

Er wies seine Gefolgsleute an, das Saalhaus zu räumen. Sobald wir uns der Kammer näherten, hörten wir das Jammergeschrei der Frau Begga, in das sich Odos zornige Reden mischten.

„Mein unglückliches Kind!“, schluchzte sie. „Er hat ihre Schwäche ausgenutzt, der Unhold! Dabei hatte ich so viel Vertrauen zu ihm. Hätte ich nur die Tür verschlossen! Ich bin schuldig, ich habe sie umgebracht! O Herr, vergib mir! Er sang wie ein Engel. Konnte ich ahnen, dass er ein Teufel ist?“

„Nein“, sagte Odo, „das konntet Ihr nicht. Doch seid gewiss, wir erwischen ihn. Er bekommt seine Strafe!“

Die Tote lag auf dem Ruhebett. Ihre Augen waren weit offen und schon etwas trübe, doch fand sich noch eine Spur von Furcht und Entsetzen darin. Sie war vollständig bekleidet, wie es zur Nachtzeit ja nicht üblich ist. Anscheinend trug sie noch dasselbe Gewand wie am Abend, doch war dieses jetzt an der Brust zerrissen und man sah am Hals die grässlichen Male der Gewalt, die der jungen Frau angetan worden war. Decken und Felle auf dem Ruhebett waren zerwühlt und das Gewand und das Hemd waren bis zur Mitte des Leibes hinauf geschoben. Die Beine waren in eine Stellung gebracht, welche keinen Zweifel daran ließ, dass es allein die böse Lust war, die den Täter in dieses Krankengemach gelockt hatte.

Der Anblick war so erschütternd, dass ich mich einen Augenblick abwenden und an den Türpfosten lehnen musste. Dies geschah mir nicht zum ersten Mal. Immer wieder packt mich ein Schauder angesichts eines Zerstörungswerks, das ein Gottesgeschöpf an seinesgleichen vollbracht hat. Und es beschleicht mich dann jedes Mal der Gedanke, dass der Herr uns so nicht hat machen wollen und dass auch er sich betroffen und schaudernd abgewandt hat.

Auf den Knien vor dem Ruhebett lag Frau Begga mit schmerzverzerrtem Gesicht, die blonde Mähne wild zerzaust, im Hemd, mit bloßen Armen und Beinen. Sie schrie immer dieselben Klagen heraus und Odo, der auf der anderen Seite des Bettes an der Wand lehnte, antwortete ihr in derselben Weise.

Hinter der Hausherrin standen mehrere alte Frauen und Männer, stumm, starr, knorrig und trocken wie grob geschnitzte Germanenidole. Es waren wohl Verwandte der Toten. Fulk und die anderen hielten sich, Odos Befehle erwartend, in der Nähe der Tür auf.

Als Frau Begga Hauk bemerkte, der mit mir eintrat, sprang sie auf und warf sich ungestüm und unter heftigem Schluchzen in seine Arme. Doch gleich darauf stieß sie ihn wieder von sich und schrie: „Mommo! Warum ist Mommo nicht hier? Er würde das Scheusal an die Wand spießen!“

Und abermals stürzte sie vor dem Ruhebett nieder. Sie wälzte sich vor uns auf dem Fußboden, rang die Hände, beschwor Gottes Gerechtigkeit. Die herzzerreißende Klage der Herrin, die nicht einmal ihrer leiblichen Tochter galt, rührte auch das Gesinde zu Tränen. Draußen erhob sich Wehgeschrei und dazwischen wurden immer wieder Drohungen laut, die dem flüchtigen Mörder galten.

Seltsamerweise war es gerade die Heftigkeit, mit der Frau Begga ihren Jammer und ihre Anklagen herausschrie, die mich etwas ernüchterte. Ich habe schon oft an mir bemerkt, dass ich jede Art von Übermaß schwer ertrage. In solchen Fällen strebe ich beinahe unbewusst danach, den Dingen, die sich verwirren und aus den Fugen zu geraten drohen, wieder irgendwie Klarheit und Stabilität zu geben. Meine Betroffenheit verwandelte sich in teilnehmende Neugier und ich begann wieder zu beobachten.

Gleich fiel mir auf, dass mir schon beim ersten Blick auf das Opfer etwas gefehlt hatte. Ich vermisste das Kreuz mit dem feurigen Stein, das die Tote am Hals getragen und das sich so auffällig und vollendet zu ihrer edlen, frommen, stillen Erscheinung gefügt hatte. Wo war es? Auf dem Ruhebett und der Bank, den einzigen Möbeln im Raum, war nichts zu entdecken. Es gab hier nicht einmal eine Truhe. Die Wände waren bis unter das Dachgebälk mit bunt gemusterten Teppichen behängt. Lediglich unterhalb der winzigen Fensteröffnung fehlte einer, von dem an einem dicken Nagel nur noch ein Fetzen hing.

Man konnte nun allerdings leicht feststellen, dass die Kammer höchstens ein Drittel des Raumes einnahm, den man jenseits der vom Saal aus sichtbaren Wand, welche sich hinter der Pfeilerreihe in ihrer ganzen Breite erhob, vermuten musste. Hinter einem der Teppiche war daher wohl eine Tür versteckt, die in eine zweite, größere Kammer führte. Diese konnte dann nur von dem Raum aus erreichbar sein, in dem wir uns gerade befanden. Ich hatte bisher selten Gelegenheit gehabt, mich in Saalhäusern wie diesem umzusehen. Nach allem, was ich gehört hatte, waren solche gewissermaßen unsichtbaren Räume die Schatzkammern der Besitzer. Man schlief im Vorzimmer, um persönlich zu wachen.

Ich hatte mich so weit gefasst, dass ich nun auch die Tote genauer ansehen konnte. Ich trat an das Ruhebett und beugte mich über sie. Auf meiner Pilgerreise nach Rom habe ich viele Menschen gesehen, denen Gewalt angetan wurde, Opfer von Wirtshausstreitereien, Raubüberfällen und sogar von Eifersucht und Hass unter Pilgern. Manchem auf solche Weise Gestorbenen konnte ich vor seinem Ende noch christlichen Beistand leisten.

Ich erkannte nun, dass die schöne junge Frau Chrodelind womöglich erdrosselt worden war, denn ein breiter, blutunterlaufener Streifen, an dessen Rändern die Haut beschädigt war und Kratzer und Schrammen aufwies, war der tödliche Schmuck ihres Halses. Das kupferrote Haar, in dem noch die Diamantenspange steckte, das aber jetzt ungeordnet herab wallte, ließ die Verletzung nur zum Teil sehen. Ich hätte es gern beiseite gestrichen und auch das Kleid über die Schultern zurück gestreift, um sie genauer untersuchen zu können. Doch das wagte ich nicht, weil ich fürchtete, man könnte mich, der ich die Mönchskutte trug, eines unreinen Gelüsts verdächtigen. So nahm ich ein Fell und breitete es über den Leib und die Beine der Toten. Und dann löste ich ein kleines bronzenes Kreuz, das ich am Hals trug, und legte es anstelle des anderen, das ich vermisste, auf die Brust der Toten.