Выбрать главу

Odo, der vor Empörung und Ungeduld schäumte, forderte mich durch ein Zeichen auf, ihm nach draußen zu folgen.

„Du bist doch auch der Meinung, dass wir jetzt nicht einfach weiterreisen können“, sagte er, als wir auf einen Baum zu schritten, an dem Impetus festgebunden war. „Eine Untat, die nach Vergeltung schreit! Ich schlage vor, dass du hier wartest, während ich den Kerl verfolge. Er könnte einen beträchtlichen Vorsprung haben. Falls er gewagt hat, in der Nacht aufzubrechen, hat er vielleicht schon ein paar Meilen gewonnen. Aber es nützt ihm nichts, er entkommt mir nicht!“

„Willst du etwa allein reiten?“

„Ich fürchte mich nicht vor feigen Mordbuben.“

„Und wie willst du ihn herbringen?“

„Wird das nötig sein?

„Was heißt das? Du hast doch nicht etwa vor, an Ort und Stelle mit einem Zweikampf …“

„Er verdient nicht, dass lange gefackelt wird!“

„Du bist nicht bei Verstand! Du musst Geduld haben. Zuerst muss er vor Gericht gestellt werden. Nur wenn das Urteil auf Zweikampf lauten sollte, ist so etwas statthaft. In dem Fall aber müsste der Kläger oder ein Vertreter des Klägers das Schwert führen. Das alles weißt du genau. Also bezähme dich!“

„Bezähmen! Geduld! Alles Pfaffengeschwätz!“ Er packte mich am Arm und blickte mir zornig in die Augen. „Haben wir den Auftrag, für Ordnung zu sorgen?“

„Gewiss …“

„Die Verbrecher zu bestrafen? Antworte!“

Ich befreite sich von seinem eisernen Griff.

„Den Auftrag haben wir. Aber ob Siegram einer ist … das wissen wir nicht. Noch ist seine Schuld nicht erwiesen.“

„Aber wie kannst du zweifeln?“, rief Odo entrüstet. „Eher würde ich König Karl für einen Zaunkönig halten als diesen Vogel für einen harmlosen Schnäpper. Ein Geier ist das, der zartes Fleisch reißt!“

Ich machte ein skeptisches Gesicht. Odo redete sich in Eifer.

„Hast du Augen im Kopf? Dann konntest du sehen, wie er das Wild beschlich … das arme Ding, das da auf dem Totenbett liegt. Schon als er sang, hatte er nur Blicke für sie. Warum ist er uns nicht gefolgt, als es hieß, dass die Ärmste Schonung brauchte? Weil er nur an sein Verbrechen dachte! Er nutzte die Gunst der Zentgräfin, um im Saalhaus zu bleiben. Hast du bemerkt, wie dieses lüsterne Weib ihn anschwärmte? Vermutlich entsprach sie aber nicht seinem Geschmack und sie hätte sich auch nicht so leicht umbringen lassen. Aber genug davon! Noch klüger sind wir, wenn wir ihn haben. Er wird gestehen, dafür sorge ich! Wenn ich nur wüsste, wann etwa er sich davongemacht hat.“

„Immerhin ließe sich feststellen, ob die junge Frau bereits längere Zeit …“

„Ist schon geschehen. Wir hatten viel Umgang mit dem Tod, mein Freund, wir kennen seine Geheimnisse. Sie ist starr wie ein erfrorener Sperling. Hast du die trüben Augen und die Flecke in ihrem Gesicht bemerkt? Sie wurde vor Mitternacht umgebracht, so viel steht fest. Nun, hast du etwas erfahren?“, rief er Fulk entgegen, der mit mürrischer Miene herankam.

„Nichts. Das Bauernpack schläft einen Totenschlaf.“

„Und die Torwächter?“

„Die verlassen sich auf die Wanzen. Das sind die Einzigen, die hier wachen. Er muss selbst den Riegel zurückgeschoben haben. Das Tor war heute Morgen offen.“

„Verflucht“, sagte Odo, „so müssen wir damit rechnen, dass er sich schon vor Mitternacht verdrückt hat.“

Durch einen Zufall, der einen Pferdeknecht über unseren Weg führte, erfuhren wir Näheres.

Odo hatte Impetus gerade losgebunden, als dieser weißbärtige, krumme Alte vorüber zuckelte. Er führte eine Stute zur Tränke. Die machte sich plötzlich los, kam näher und das Pferdepärchen beschnupperte sich freudig.

Der Alte wollte die Stute wegzerren.

„Ist das seine Braut?“, fragte Odo.

„Er hat hier viele Bräute“, erwiderte der Alte verschmitzt.

„Wir sind in Cordoba!“, lachte Odo und klopfte dem Hengst anerkennend auf den Hals. „Ich sollte ihn Emir nennen.“.

„Ihr müsst ein sehr hoher Herr sein“, sagte der Pferdeknecht ehrerbietig. „Sonst hätte Herr Mommo ihn Euch nicht geschenkt.“

„Du glaubst, er hätte ihn mir geschenkt?“

„Herr Mommo hat immer gesagt: Nur wenn ein sehr hoher Herr, ein Graf oder Bischof, ihn darum bitten sollte … dann würde er ihn hergeben, aus Freundschaft.“

„Und wenn ich ihn gekauft hätte?“

„Gekauft?“ Der Alte lachte wie über eine Ungeheuerlichkeit. „Ein Mann, der so reich ist wie Herr Mommo … der sollte sein bestes Pferd verkaufen?“

Odo und ich wechselten einen Blick.

„Hast Glück gehabt, Impetus“, sagte der Alte. „Musst nicht in den Krieg, dienst einem Großen. Dabei musste ich ihn Herrn Mommo noch satteln, als er gestern Nacht aufbrach, um in den Kampf zu ziehen.“

„Und er ritt selbst auf Impetus fort?“, fragte ich gespannt.

„Freilich. Er ritt doch nie ein anderes Pferd. Er nahm aber noch ein zweites mit.“

„Ein zweites?“

„Den Wiz. Er gehört Herrn Hauk. Ist aber nur noch als Lastpferd gut.“

„Warst du dabei, als Herr Mommo aufbrach … mit Impetus und dem Lastpferd?“

„Das nicht. Aber ich sah es von weitem. Eigentlich hörte ich es nur, denn meine Augen sind schon sehr schwach. Aber ich höre alles, alles! Nachts sitze ich vor dem Stall da draußen, denn schlafen kann ich nicht mehr. Da höre ich das Eichhorn, den Igel, den Maulwurf, den Dachs …“

„Augenblick!“, sagte Odo und packte den Alten am Bart. „Und was hast du heute Nacht gehört?“

„Heute? Wartet, ich will es Euch sagen. Wenn Ihr mich loslasst, Ihr tut mir weh!“

„Also?“

„Ich hörte den Kauz, das Wiesel, auch die Natter im Gras …“

„Teufel, verschone uns mit deinem Viehzeug!“, unterbrach ihn Odo. „Du weißt doch, was heute Nacht geschehen ist. Hast du Schreie gehört?“

„Was? Schreie?“

„Die junge Herrin … hat sie geschrien?“

„Geschrien? Nein …“

„Was hast du sonst gehört? Zwei Reiter vielleicht?“

„Die hörte ich, ja.“

„Wann ritten sie fort? Früh oder spät in der Nacht?“

„Spät, hoher Herr. Es war fast Morgen. Die ersten Sänger waren schon munter.“

„Wie Recht du hast!“, rief Odo erfreut. „Und einen von ihnen werde ich jagen! Weit kann er noch nicht sein!“

Er wollte sich in den Sattel schwingen. Aber ich hielt ihn entschlossen zurück.

„Hör zu, Odo! Ich bestehe darauf, dass du Fulk und ein paar andere von unseren Leuten mitnimmst. Du kannst ihn allein nicht zurückbringen. Falls er Widerstand leistet, gefährdest du ihn und dich selbst. Bedenke auch, dass sie zu zweit sind. Für einen Hieb oder Pfeilschuss aus dem Hinterhalt ist auch ein Junge gut. Im Übrigen … woher willst du wissen, in welche Richtung er sich gewandt hat? Falls er wirklich die Tat verübt hat, könnte er seine Pläne geändert haben.“

„Daran habe ich nicht gedacht“, murmelte Odo. „Was also tun?“

„Ich weiß nicht …“

„Auf jeden Fall dürfen wir keine Zeit mehr verlieren. Sonst bleibt uns nur die Kraft deines Gebetes, Bruder Lupus, um unseren Mörder zu bekommen.“

In aller Eile stellte Odo aus unseren Leuten zwei Trupps zusammen. Er selbst brach mit zwei Begleitern in Richtung Fulda auf. Diesen Weg musste Siegram ziehen, falls er bei seinem Reiseziel blieb. Fulk ritt mit einem der Männer den Weg zurück, den wir gekommen waren.

Ich konnte nichts tun und musste warten. Mit langsamen Schritten, die Hände auf dem Rücken verschränkt, folgte ich dem alten Pferdeknecht, der die Stute hinunter zum Fluss führte. Offen gestanden war mir ein wenig bange davor, dass sie den Sänger zurückbringen würden. Einer Mordanklage konnte er dann nicht mehr entgehen. Für die Verwandten der Toten und für das ganze Dorf war er schuldig. Doch war er es wirklich? Ich hatte Zweifel. Ich konnte mir nur schwer vorstellen, dass ein so edler, gebildeter Herr, der kurz zuvor noch vor dem König aufgetreten war, eine so scheußliche Tat verübt hatte. Dagegen sprach auch die offenkundige Sorglosigkeit des Sängers. Er war erst kurz vor Tagesbeginn davongeritten, wie er es sich vorgenommen hatte. Hätte er es so lange, immer der Entdeckung gewärtig, im Saalhaus ausgehalten, wenn er vor Mitternacht den Mord begangen hätte? Ich musste diese Frage verneinen. Mir fielen auch wieder die Auskünfte der Magd Celsa ein. So ängstlich und vorsichtig sie mir geantwortet hatte, war doch unüberhörbar gewesen, dass auch sie an eine Schuld des Sängers nicht glaubte.