Gleich darauf stolperte oder besser flog eine dünne, schlotternde Gestalt zur Tür heraus. Es war unser Rouhfaz. Hinter ihm erschien Hauk, der ihm fluchend einen Sack nachwarf und gleich wieder im Stall verschwand. Rouhfaz rappelte sich auf, nahm den Sack, sah sich nach allen Seiten um und schien zu überlegen, wohin er sich wenden sollte.
Ich rief ihn an. Sofort kam er raschen Schrittes näher und erst auf halbem Wege fiel ihm ein, das Gesicht vor Schmerz zu verzerren, den Buckel zu krümmen und sich die Seite zu halten. Belustigt war Odo stehen geblieben, um zu erfahren, was es gegeben hatte.
Ich lasse die Schnörkel von Empörung und Wehleidigkeit weg, mit denen Rouhfaz seinen Bericht garnierte. Er enthielt im Kern folgendes.
Nachdem er mich auf dem Gang über den Herrenhof und durch das Dorf begleitet und ich ihn entlassen hatte, war er nicht nach dem Castell zurückgekehrt, sondern in diesem Stall gelandet. Angeblich weil er Durst verspürte und einen Trunk Milch erbitten wollte. Die dort waltende Magd, keine andere als Celsa, erfüllte die Bitte und es kam, laut Rouhfaz, zu einer „Unterhaltung“, zu der er sich nicht näher äußern wollte. Sie wurde durch Hauk gestört, der „hinkend und stinkend wie der Teufel hereinfuhr“, sodass Rouhfaz sich gerade noch in einem Verschlag hinter einer Krippe verbergen konnte. Von hier aus bekam er nun mit, was zwischen Hauk und Celsa gesprochen wurde.
Es handelte sich um ein scharfes Verhör, bei dem der Herr nicht mit Schlägen sparte. Hauk wollte vor allem wissen, was Celsa mir am Morgen auf dem Waldweg vom Castell zum Hof des Zentgrafen erzählt hatte. Ob sie mir etwas von einem Streit berichtet hatte, dessen Ohrenzeugin sie am Tag zuvor gewesen war, einem heftigen Auftritt zwischen Frau Begga und Frau Chrodelind. Unter Tränen beschwor die Magd, mir davon kein Sterbenswörtchen gesagt zu haben. Hauk glaubte ihr nicht und zückte die Peitsche. Sie sollte ihm nun gestehen, was sie unter den Mägden herumerzählt hatte. Von schweren Vorwürfen der Frau Chrodelind gegen Frau Begga, wobei das Wort „Diebin“ noch das zahmste gewesen sein sollte. Hauk wollte wissen, ob Chrodelind ihren Vater Mommo oder gar ihn selbst erwähnt hatte. Ob sie etwas gesehen oder gehört hatte von den Vorgängen in der Nacht davor, als ihr Vater zum Heer aufgebrochen war. Celsa wollte jedoch nur mitbekommen haben, dass von Frau Muthgard die Rede war, der Mutter Frau Chrodelinds. Die junge Herrin hätte Frau Begga beschuldigt, ihre Mutter beim Wäschebesorgen ertränkt zu haben. Da beruhigte sich Hauk, sagte, das seien alte Geschichten, und steckte die Peitsche wieder hinter die Wadenbinde.
Ausgerechnet in diesem Augenblick geriet dem hinter der Krippe kauernden Rouhfaz ein Strohhalm in die Nase, der ihn zum Niesen veranlasste. Die Entdeckung war unvermeidlich und Rouhfaz wollte die Flucht ergreifen. Doch Hauk erwischte ihn und erkannte den dürren Kahlkopf, der den ganzen Vormittag an meiner Seite gewesen war. Wo immer wir beide aufgetaucht waren, hatte sich ja auch Hauk in der Nähe herumgetrieben, ob an der Mühle, in der Schmiede oder sonstwo, entweder misstrauisch aus dem Hintergrund beobachtend oder beflissen um uns herum dienernd. Wahrscheinlicher war also, dass er sich hütete, unseren Schreiber zu prügeln, sondern dass er sich damit begnügte, ihn mitsamt dem Sack, in dem sich unsere Schreibtafeln mit den Notizen über Missstände befanden, hinauszusetzen.
„Jetzt hör mir gut zu, du Held!“, sagte Odo, als Rouhfaz seinen Bericht beendet hatte. „Ich habe zwei Aufträge für dich, die du prompt erledigen wirst. Der erste: die ‚Unterhaltung‘ mit dieser Magd wird fortgesetzt. Und dabei wirst du herausbekommen, was bei dem Streit der beiden edlen Frauen noch so zur Sprache kam. Vielleicht hat Frau Chrodelind doch etwas gesagt, was Celsa dem Hauk lieber nicht weitererzählen wollte.“
„Und Ihr glaubt, sie würde es mir erzählen?“, fragte Rouhfaz zweifelnd.
„Einem feurigen Liebhaber sind die Weiber verfallen“, sagte Odo ernsthaft, „sie haben vor ihm keine Geheimnisse. Und du bist doch so einer … oder täusche ich mich?“
„Oh nein, Herr Odo, Ihr täuscht Euch nicht“, sagte der Tölpel stolz.
„So mach dich ans Werk!“
„Jetzt gleich?“, fragte Rouhfaz besorgt und schielte nach dem Stallhaus, aus dem der erzürnte Bruder des Zentgrafen noch nicht herausgekommen war.
„Überstürzen musst du nichts“, sagte Odo verständnisvoll. „Deshalb erledige gleich meinen zweiten Auftrag. Geh dort hinein und frage Herrn Hauk im Auftrag der Königsboten, wann bei ihm gespeist wird.“
„Ich soll dort noch einmal …?“
„Geh nur!“, sagte ich. „Du wirst ihm sogar eine Freude bereiten.“
Damit sollte ich Recht behalten. Rouhfaz machte sich zaghaft auf den Weg. Mehrmals blickte er sich um, zuletzt an der Stalltür. Wir gaben ihm ermunternde Zeichen. Er verschwand und tatsächlich erschien kurz darauf Herr Hauk vor dem Stall, verbeugte sich, an der Gürtelschnalle nestelnd, mit breitem Lächeln und winkte uns zu, wobei er uns zu verstehen gab, es werde alles geschehen, um die Herren Königsboten zufrieden zu stellen. Erst beim eiligen Davonhinken gelang es ihm, die Gürtelschnalle fest zu machen.
„Unser kahler Hahn hat Recht“, bemerkte Odo. „Dieser Hauk kommt mir vor wie Herr Satan persönlich. Er stinkt, er hat einen Pferdefuß … was fehlt noch? Der feurige Schweif. Der hängt ihm unter der Nase. Auch sonst scheint er ein paar satanische Eigenschaften zu haben.“
„Vielleicht hat er einen Mord begangen“, sagte ich.
„Jetzt gehst du in deinem Eifer, das Gedächtnis des Volkes zu retten, wohl etwas zu weit.“
„Ich spreche ja nicht von diesem Mord. Obwohl man nicht wissen kann, ob Hauk …“
„Vergiss nicht, dass ich heute Nacht sein Gast war.“
„Aber nicht in der Nacht davor. Da müssen seltsame Dinge geschehen sein. Warum hat er die Magd gefragt, ob Frau Chrodelind etwas bemerkt hätte?“
„Willst du jetzt auch noch dem Zentgrafen nachspüren, der vielleicht lebendig und munter zum Heer unterwegs ist?“
„Wenn er aber nicht mehr lebendig und munter sein sollte, handelte es sich um den Mord an einem Beauftragten des Königs. Da müssen wir etwas unternehmen!“
Odo seufzte.
„Bei dieser Hitze! Wir sollten wenigstens vorher unsere Kehlen befeuchten.“
Wir verließen den Herrenhof. Hinter uns versiegte der jämmerliche Klagegesang. Ein Bauer, der uns mit einem Ochsenkarren entgegen kam, wies uns den Weg nach der Schänke. Wir gingen außen am Zaun entlang, auf einem von Viehherden breit getrampelten Weg. Unsere Reittiere führten wir am Zügel.
„Kein Zweifel, dass Mommo es nicht nötig hatte, dieses Pferd zu verkaufen“, sagte ich, auf unser Thema zurückkommend. „Ich habe mich heute hier umgesehen. Prächtiges Vieh, wohlgefüllte Scheunen und Vorratskammern, die Häuser und Hütten in gutem Zustand. Wahrscheinlich ist das weniger Mommos Verdienst als das seiner Verwalter, eines alten Onkels namens Arnfried und seines Schwiegersohns, des Farold. Alle, mit denen ich sprach, lobten die beiden. Kein Wort von Hauk, der behauptet, ihm sei dies zu verdanken. Was Mommo betrifft, so werden ihm zwei Leidenschaften nachgesagt: den Frauen nachzustellen und zu Gericht zu sitzen. Die Frauen soll er schon immer geliebt haben, seine Leidenschaft für das Gericht hat er aber erst vor ein paar Jahren entdeckt. Willst du wissen, wie das kam? Eine Alte hat es mir zugeflüstert. Ich musste aber schwören, sie nicht zu verraten.“
„So verrate sie nicht. Ich kenne das Geheimnis.“
„Dann sprich.“
„Er hat die Riesendame geheiratet.“
„Tatsächlich. Wie bist du darauf gekommen?“
„Sehr leicht. War sie nicht über und über mit Ketten, Armbändern und goldenen Glücksbringern behangen? Dergleichen verdient ein Dorfvorsteher, auch wenn er über ein Benefiz verfügt, nur durch eifriges Rechtsprechen.“
„So ist es! Tagelang saß er zu Gericht. Angeblich hat sie ihn dazu angestiftet. Um jedes Scheit Holz, um jeden Krug Bohnen wurde hier prozessiert. Er hatte sogar seine Spitzel, die alles ausschnüffelten, was nach Streit roch. Er selbst soll die Parteien gegeneinander gehetzt haben. Und er nahm alles: Geld, Waffen, Gürtel, Ringe, Zaumzeugbeschläge, auch Felle, Tücher, Gewänder. Drei bis zum Rand gefüllte Truhen sollen im Saalhaus in der Schatzkammer stehen. Alles Geschenke. Der Mann war reich.“