Выбрать главу

„Und nun meinst du, der Neid, dieser tückische Nager …“

„Ist das verwunderlich? Sieh dir diesen Hauk an: früher ein stolzer Krieger, jetzt ein Krüppel. Abgefunden mit einem elenden Benefiz, diesem verfallenen früheren Castell und etwas Land drum herum. Wie zum Hohn in der Nachbarschaft seines Bruders. Ein lahmer Raufbold, ein Fisch im Sand. Der vom Wirtschaften so viel versteht wie die Kuh vom Spinnen. Früher durfte er befehlen, nun musste er den Mund halten, weil ein anderer das Wort führte. Aber schlau ist er trotzdem. Mommo hat keine männlichen Erben, er ist der nächste Verwandte …“

„Und da erinnert er sich auch der gemeinsamen Ahnen und kommt auf den heiligen Ponz.“

„Ein fragwürdiger Heiliger und ganz unbekannt. Vielleicht gab es ihn gar nicht. Aber es gibt die einsam gelegene Höhle im Wald, wo vielleicht mal jemand gehaust hat und wo ein paar Knochen herumliegen. Wie war das, wenn du in den Krieg zogst? Hattest du dir da nicht auch gewünscht, dass sich im Himmel jemand um dich kümmerte?“

„Das ist wahr. Aber leider hatte ich dort keine Bekannten.“

„Solche Bekanntschaften kann man in jeder Kirche machen, man muss nur hineingehen. Aber Jugend ist leichtfertig! Mommo war im gesetzten Alter, wohlhabend, ein behagliches Leben gewöhnt … er hatte Angst. Doch der König rief und er musste folgen. Am Abend vor dem Aufbruch packt ihn der Jammer. Da flüstert ihm jemand ins Ohr: ‚Warum fürchtest du dich? Du hast doch einen Heiligen in der Familie. Was, du erinnerst dich nicht an ihn? Das könnte er aber übel nehmen. Reite lieber vorher noch hin, bitte ihn um seinen Schutz! Das wird ihn freuen und er wird sich erkenntlich zeigen.‘“

„Man könnte glauben, du selbst wärst dieser Jemand gewesen, so überzeugend kannst du ihn nachahmen“, sagte Odo lachend. „Ist das der trübe Bodensatz in deiner Pfaffenseele?“

Ich ließ mich nicht ablenken.

„Der Rest ist klar: Mommo bricht noch in der Nacht auf, um Ponz zu besuchen. Aber dort irgendwo erwartet ihn Hauk. Und Kain erschlägt Abel, die alte Geschichte. Die Leiche liegt unauffindbar im Wald. Anschließend reitet Hauk zum Markt und verkauft das wertvolle Pferd. Dass er ausgerechnet an einen Königsboten gerät, erschreckt ihn, er macht sich eilig davon. Um das zweite Pferd zu besteigen, das er seinem Opfer vorsorglich mitgegeben hat. Vielleicht tauscht er es gegen ein anderes ein, um ganz sicher zu gehen. Und abends ist er zurück, sitzt hier im Saal und lauscht dem Sänger.“

„Und dann meuchelt er noch seine Brudertochter. Das nenne ich ganze Arbeit.“

Mich ärgerte Odos unernster Tonfall und ich erwiderte unnötig rechthaberisch:

„Ausgeschlossen wäre es nicht! Bist du wirklich sicher, dass er die ganze Nacht mit dir oben im Turm zugebracht hat?“

„Ich hatte einen längeren Traum. Da verlor ich ihn zeitweilig aus den Augen.“

„Du warst reisemüde. Wir alle waren es. Er konnte vom Turm gestiegen sein und das Castell verlassen haben. Seine Torwächter sind Galgenvögel, sie werden schweigen. Vielleicht hat es auch einer von denen getan. Wer immer es war … Er drang in den Herrenhof ein, schlich durch den Saal in die offene Kammer zu der Kranken, erdrosselte und schändete sie – denn sie war tot, als sie geschändet wurde, sonst hätte der alte Pferdeknecht einen Schrei gehört – und verschwand wieder. Vielleicht wurde die Schändung auch nur vorgetäuscht, um den Sänger zu belasten. Und weißt du, warum auch das Kreuz mit dem Opal verschwunden ist? Es hing, das sah ich deutlich, an einem Band aus ineinander gefügten goldenen Ringen. Mit diesem Band wurde sie erdrosselt! Danach riss es ihr der Mörder vom Halse. Du hast Recht, er muss Satan sein, er selbst! Er benutzte das heiligste aller Symbole, um zu morden.“

Nach dieser, wie mir schien, sehr schlüssigen Darlegung, die ich in temperamentvoller Rhetorik und mit lebhaften Gebärden vorbrachte, machte ich eine Pause und sah Odo erwartungsvoll an. Wir blieben stehen.

Auch er sah mich an und fragte: „Und weiter?“

„Und weiter? Das sieht man ja. Hauk spielt schon den Herrn, schilt und prügelt die Leute. Da Mommo niemals beim Heer und schon gar nicht wieder zu Hause ankommen wird, glaubt er, sich das erlauben zu können. Und da nun auch Frau Chrodelind tot ist, wird ihm selbst Farold nicht mehr ins Gehege kommen. Als tüchtiger Mann und vielleicht bald Vater eines Enkels des Zentgrafen hätte ja dieser Farold Ansprüche. Warum sollte er nicht eines Tages zum vassus regis aufsteigen und das Benefiz und das Amt übernehmen? Dem galt es vorzubeugen. Der Zeitpunkt war günstig. Nun ist es vollbracht. Hauk wird alles bekommen. Zuerst das erledigte Benefiz, um das er sich nur zu bewerben braucht, und dann die Frau Begga mit all ihrem Goldschmuck und ihren Kleidertruhen. Noch springt sie rüde mit ihm um und verachtet ihn. Aber er erträgt es geduldig, denn er weiß, eines Tages wird sie einsehen, dass es das Beste sein wird, ihn zu heiraten. Schluss der Geschichte. So wird es kommen, wenn wir nichts tun.“

Odo schwieg und blickte hinunter auf das Flüsschen. Mit hoch gebundenen Röcken standen dort Mägde bis zu den Knien im Wasser, schrubbten Wäsche und bearbeiteten sie mit Schlägeln. Andere breiteten die gewaschenen Stücke auf der Uferwiese zum Trocknen aus. Ihr Geschnatter tönte herauf. Sie stritten und eine schlug einer anderen ein nasses Tuch um die Ohren.

„Sieh dir das an“, sagte Odo. „Wir wollen warten, was daraus wird. Vielleicht zeigen sie uns eine hübsche Kehrseite. Du kannst dich ja so lange abwenden, mein frommer Freund. Ah, sie beruhigen sich! Ist auch besser so. Würden sie sich etwas weiter zur Mitte drängen, könnten sie den Grund unter den Füßen verlieren. Und sie können natürlich nicht schwimmen. Siehst du die kleinen Strudel da hinten? Dort muss es recht tief sein. Wahrscheinlich ist das die Stelle, wo Frau Muthgard ertrunken ist.“

Ich hörte kaum zu und wollte den Faden meiner Betrachtungen nicht abreißen lassen.

„Natürlich wird es zu einer Anklage gegen Hauk nicht reichen. Es genügt daher, wenn wir einen Bericht über Missstände im Castell an den Pfalzgrafen schicken und auch dem hiesigen Grafen unsere Eindrücke mitteilen. Ich habe dem Hauk schon seine Kirche vorgehalten. Er geriet sofort in Verwirrung … natürlich aus Sorge, die ganze Mordarbeit könnte umsonst gewesen sein. Ich tat so, als wäre ich bestechlich, und er bot mir gleich hundert Solidi an. Mein Vorschlag ist also: Für den Fall, dass Mommo sich nicht beim Heer meldet, das heißt mit Sicherheit nicht mehr am Leben ist, sollten wir dem Hof empfehlen, dass der König sein Benefiz sofort einzieht und einem anderen überantwortet. Vasallen ohne Benefiz gibt es genug, Anwesende eingeschlossen, aber du strebst ja Höheres an. Der neue Mann muss sich unverzüglich hierher begeben! Dann kann Hauk auch nicht Zentgraf werden. Benefiz und Amt sind zwar nicht zwangsläufig miteinander verbunden, aber gewöhnlich wird ja der größte Grundherr … Du hörst mir nicht zu!“

„Sie fangen wieder an, diese Weibsstücke“, sagte Odo, der halb belustigt, halb besorgt noch immer die streitenden Mägde beobachtete.

Jetzt hatten sich zwei von ihnen an den Schultern gepackt und versuchten, einander ins Wasser zu werfen. Schon standen sie bis zum Gürtel drin – und plötzlich war eine versunken. Sie tauchte kreischend und Luft schnappend auf und verschwand abermals. Im Nu hatte sich Odo über den Zaun geschwungen. Er rannte zum Ufer hinunter. Doch er brauchte nicht einzugreifen. Hilfreiche Arme wurden ausgestreckt und zogen die Verunglückte ins flache Wasser zurück. Prustend stolperte sie ans Ufer und wrang ihre Röcke aus. Odo rief den Mägden ein paar Scherzworte zu, die sie dankbar belachten, und kehrte zu mir zurück.