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Der Graf machte mich dann auch gleich mit einigen älteren Männern bekannt, die er als Rechtskundige, insbesondere als Kenner des alten Volksrechts bezeichnete. Es waren solche, die man früher Rachinburgen genannt hatte, die neuerdings aber scabini, Schöffen, heißen, also Leute, die als Beisitzer bei der Urteilsfindung behilflich sind. Der Kanzleivorsteher des Grafen war ebenfalls anwesend und auch den knieerweichenden Händedruck einiger gräflicher Vasallen musste ich aushalten. Kurz gesagt, Hrotbert war mit großem Gefolge, gewissermaßen im vollen Glanz seines „Hofstaats“ erschienen.

Zunächst glaubte ich, dass er damit nur uns, die Königsboten, beeindrucken wollte. Doch rasch wurde mir klar, was wirklich dahinter steckte.

Offensichtlich wollte der Graf unsere Anwesenheit nutzen, um in der Zent die Macht des Königs und damit die seinige zu demonstrieren. Dies schien dringend nötig zu sein. Als er eintraf, war gerade das neueste Beispiel gesetzlosen Treibens in diesem Tal bekannt geworden. Odo hatte seinen Ärger über den Diebstahl von Impetus nicht zurückgehalten. Beim Verlassen der Schänke – das heißt wohl der Petrissa in einem der Grubenhäuser – hatte er von einem Bauern gehört, was geschehen war, auch dass ich mich an die Verfolgung der Diebe gemacht hatte. Nun musste ich zugeben, nichts erreicht zu haben.

Da erhoben sich zornige Rufe über die Zustände in der Zent. Nachts werde gemordet, am Tage gestohlen. Nicht einmal die Ankunft von Königsboten könne die Missetäter noch zügeln und es sei höchste Zeit, für Ordnung zu sorgen. Etwas weniger laut fielen auch Worte wie „Weiberherrschaft“ und „aquitanische Hure“. Und der Zentgraf sei der „größte Gauner und Dieb“ und sein Bruder ein „halb verrückter Schlagetot“.

Die so redeten, waren Männer aus anderen Teilen des Gaus. Die vom Herrenhof und vom Dorf hielten sich zurück. Sie waren auch in der Minderheit. Vom Castell schien überhaupt niemand da zu sein. Darauf kam es allerdings auch nicht an. Die außerordentliche Gerichtsversammlung, die ich gleich vorschlug, wurde durch unsere Anwesenheit in den Rang einer Hofgerichtsverhandlung gehoben, denn wir handelten ja ad vicem nostram. Ein solches Gericht kann notfalls auch ohne Zuhörer stattfinden.

Der Graf hatte damit gerechnet, dass wir den Fall gleich verhandeln würden und deshalb vorgesorgt. Die Anklage war schon erhoben. Nachdem Hrotbert die Tote geehrt und sich bekreuzigt hatte, war ihm ein Blatt Pergament überreicht worden, das er mir nun in die Hand gab. Arnfried, der alte Gutsverwalter, der Onkel Mommos und Hauks, bezeichnete einen „Herrn Chramn Scop aus Francia“ des Verbrechens an seiner jungen Verwandten. Da Hrotbert nicht lesen kann, hatte er sich von seinem Kanzleivorsteher über den Inhalt des Schriftstücks unterrichten lassen.

Nichts war mir lieber, als dass wir gleich zu Gericht saßen. Die Stimmung nicht nur der Zuhörer, sondern auch des Grafen und seiner Berater schien dem Sänger günstig zu sein. Ich bin auch der Meinung, dass es der Wahrheitsfindung nur zuträglich sein kann, wenn ohne langes Zögern verhandelt wird. Eine frisch unter dem Eindruck der Untat vorgebrachte Anklage und Verteidigung ist meiner Ansicht nach ehrlicher und glaubwürdiger als eine nach endloser Verschleppung des Verfahrens im Abstand von Monaten ausgeklügelte. Wie oft muss man sich dann auf Gottesurteile verlassen!

Die Gerichtsverhandlung, die nun folgte, mein lieber Volbertus, nahm einen so ungewöhnlichen Verlauf, dass ich es kaum erwarten kann, in meiner Erzählung auf die entscheidenden Ereignisse zu kommen. Was Brauch und Sitte betrifft, werde ich deshalb nicht allzu breit ausführen und auch alles weniger Wichtige weglassen. Ich komme gleich zur Sache.

Alles ließ sich so an, wie es sich gehört. Da aber die Tageszeit schon vorgeschritten war, mussten wir uns mit der Hegung des Gerichts beeilen. Odo hängte seinen Schild an den untersten Ast der Esche, die Richter und Schöffen nahmen unter dem Baumriesen Platz, die Zuschauer lagerten sich auf der sanft vom Flussufer aufsteigenden Wiese. Einige zwanzig Allodbauern aus dem Dorf, die man rasch herbeigerufen hatte, waren noch hinzugekommen. Hrotbert legte Wert auf große Öffentlichkeit und wir hatten natürlich nichts dagegen.

Odo ergriff seinen Speer und mit drei dumpfen Schlägen gegen den Schild eröffnete er die Verhandlung. Wir überließen jedoch deren Führung dem Grafen, zu dem wir Vertrauen hatten. Er kannte die Leute und die Verhältnisse besser. Im Übrigen konnten wir jederzeit eingreifen.

Man brachte den Angeklagten. Herr Siegram erschien jetzt gefasst und keineswegs niedergeschlagen. Anscheinend hatte er mitbekommen, dass seine Sache nicht schlecht stand. Vielleicht lag es auch daran, dass Odo sich eine Weile mit ihm unterhalten hatte. Um seinen Rang zu betonen, hatte der Sänger sich kostümiert wie zwei Wochen zuvor in der Halle des Königs. Sein langes gelocktes Blondhaar wallte herab auf den im leichten Frühlingswind wehenden Umhang, der das golddurchwirkte Gewand darunter sehen ließ. Er trug den Kopf hoch erhoben und seine Miene hatte schon fast wieder den üblichen heiteren Stolz angenommen. Frei blickte er auf die Versammlung, als wollte er sagen: „Wie kann man von einem Schwan erwarten, dass er versteht, warum Gänse über ihn zu Gericht sitzen?“

Von der anderen Seite rückte die Gegenpartei in den Halbkreis zwischen Richtern und Zuhörern. An der Spitze der vorgeschobene Kläger, der ja ein männlicher Verwandter sein muss, jener alte Onkel Arnfried, ein schmales Männchen mit dem Gesicht eines müden Uhus. Hinter ihm, ihn um zwei Häupter überragend, schritt Frau Begga. Hinkend und schwitzend folgte Hauk. Schließlich kamen noch die knorrigen Alten. Eine Greisin fiel mir besonders auf, die während der folgenden Reden und Gegenreden kein Auge von Siegram ließ und unentwegt vor sich hin brabbelte, wohl heidnische Zaubersprüche und Verwünschungen murmelnd.

Graf Hrotbert gab dem Kläger das Wort. Der alte Uhu stotterte unter heftigem Augenzwinkern ein paar Sätze, womit der Form Genüge getan war. Frau Begga trat in die Mitte und schob ihn beiseite. Streng gebändigt war ihre Mähne unter dem Schleier, über ihren mächtigen Schultern und Brüsten spannte sich ein einfacher Umgang, der von einer altgermanischen kostbaren Fibel in Form eines Vogelkopfs gehalten war. Ihre Augen waren auch ohne römische Schminkkünste groß und glühend von Angriffslust und südlicher Leidenschaft. Die Männer gafften sie an, die einen neugierig, die anderen lüstern, viele beunruhigt.

 Sie begann mit einer kurzen pathetischen Schilderung ihres mütterlichen Schmerzes und einer Anrufung des Herrn Jesus Christus, damit er dieses Gericht erleuchte und ein gerechtes Urteil finden lasse. In ihrer eigenartigen, etwas singenden, von romanischen Brocken durchsetzten Sprache gab sie zur Sache dann das Folgende an.

Am Tag zuvor, bei schon sinkender Sonne, sei Herr Siegram mit seinem jungen Begleiter auf dem Herrenhof erschienen. Sie habe mit einer Stickerei unter der Linde vor dem Saalhaus gesessen, voller schwerer Gedanken wegen der langen Trennung von ihrem geliebten Gemahl. Der Fremde sei höflich gewesen, habe seinen Namen, seinen Stand und sein Reiseziel angegeben und gebeten, ein wenig rasten und zur Abkühlung und Reinigung nach einem langen Ritt auf staubiger Straße unten im Flüsschen baden zu dürfen.

Natürlich habe sie die Bitte gewährt, den Gast aber aufgefordert, zunächst bei ihr Platz zu nehmen und einen Becher Wein zu genießen. Selten seien ja die Gelegenheiten, mit weit gereisten Leuten zu sprechen und etwas vom Treiben der Welt zu erfahren. Sie habe sich dabei auch ein wenig Ablenkung von ihrem Kummer versprochen. Zu ihrer Freude hatte der Gast erst kürzlich Orte in Neustrien besucht, die sie selbst aus ihrer Jugend kannte. So sei das Gespräch bald lebhaft geworden und sie habe, um es zu verlängern, Herrn Siegram vorgeschlagen, nach dem Bade ein Mahl zu sich zu nehmen und vielleicht auch im Saalhaus zu übernachten. Dieses in allen Ehren vorgebrachte Angebot habe er jedoch abgelehnt, da er die angenehme Kühle des Abends nutzen und noch ein paar Meilen zurücklegen wollte.