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„Wir sind nicht beleidigt“, sagte Odo. „Aber warum machtet Ihr eine Ausnahme? Wenn Euch das Betragen des Herrn Siegram gegen Eure Tochter so missfiel … warum habt Ihr sie allein mit ihm im Saalhaus gelassen?“

„Ich bemerkte zu spät, dass er geblieben war“, sagte sie, wiederum ohne lange nachzudenken. „Ich hatte Euch, wie Ihr Euch wohl erinnert, ans Tor begleitet. In der Dunkelheit übersah ich, dass er Euch nicht gefolgt war. Später konnte ich ihn ja nicht mehr wegschicken.“

„Sie hatte mich eingeladen zu bleiben!“, rief Siegram, der mit dem lebhaftesten Mienenspiel seine Empörung zeigte.

„Geduldet Euch doch!“, ermahnte ihn Hrotbert.

„Ich hatte ihn vorher eingeladen, bevor die Herren Königsboten kamen!“, widersprach Frau Begga.

„Nein!“, entgegnete Siegram. „Ihr wolltet ausdrücklich, dass ich blieb, während sie aufbrachen!“

Es gab ein heftiges Gemurmel und einige Zwischenrufe. Der Graf musste mehrmals Ruhe anmahnen.

„Kommt nun zum Schluss, Frau Begga!“

„Was sollte ich tun? Ich musste ihn unterbringen. Er hatte sich ja auch schon eingerichtet. So vertraute ich auf seinen Anstand als Edelmann. Der König hatte ihn ausgezeichnet – konnte er denn ein schlechter Mensch sein? Natürlich hätte ich Chrodelind auf die Arme nehmen und ins Schlafhaus hinüber tragen können. Doch sie war endlich eingeschlummert und ich wollte nicht, dass sie noch einmal erwachte. Also deckte ich sie mit Pelzen zu und ging leise hinaus. Ich überlegte auch, ob ich die Tür zur Kammer verschließen oder offen lassen sollte. Aber dann dachte ich, sie könnte sich fürchten, wenn sie vielleicht in der Nacht wach würde. Es könnte ja auch ein Feuer ausbrechen … Wir hatten schon Gäste im Seli, die nach Mitternacht noch ein Schwein brieten. Außerdem hatte ich die Absicht, später noch einmal nach ihr zu sehen. Dies unterblieb, das gebe ich zu. In der Nacht zuvor, als mein Gemahl zum Heer aufbrach, hatte ich kein Auge zugetan. Ich war todmüde. So verließ ich also das Saalhaus. Der Fremde lag schon auf der Bank, in seine Decken und Felle gewickelt, und schien zu schlafen. Das beruhigte mich. Ich ging hinaus und legte mich im Schlafhaus nieder. Eine Magd war es, die mich am Morgen weckte, nachdem sie die schreckliche Tat entdeckt hatte.“

Frau Begga machte eine Pause und ließ einen langen, ernsten Blick über unsere Richterbank gleiten.

„Das ist alles, meine Herren, mehr kann ich nicht sagen. Wahrscheinlich hatte er sich nur schlafend gestellt. Er war allein im Saal, sein Diener übernachtete draußen bei den Pferden. Er hatte die ganze Nacht Zeit, um sein Verbrechen zu begehen und sich dann heimlich davonzumachen. Wie wir sie morgens fanden, ist Euch bekannt. Nur eines noch: Das goldene Kreuz, das sie am Hals trug, ist verschwunden. Wer könnte es haben, wenn nicht der Mörder? Sucht es bei ihm! Und dann fällt Euer Urteil!“

„Erlaubt, edle Frau, dass ich Euch noch eine Frage stelle!“, sagte ich, indem ich rasch aufstand.. „So wie Ihr das Saalhaus verlassen habt, während Herr Siegram schon schlief, so konnte doch auch jeder hinein und durch die unverschlossene Außentür durch den Saal in die Kammer gelangen. Könnte es also nicht ein anderer gewesen sein, der den Mord beging? Jemand vom Hof, vom Dorf oder vom Castell?“

„Das könnte wohl sein“, entgegnete sie. „Nur ist er uns unbekannt und wir haben auch keinen Verdacht. Habt Ihr einen, so bringt uns Beweise. Ich wiederhole: Findet das Kreuz bei ihm!“

Frau Begga trat auf die Seite.

Hrotbert neigte sich uns zu und raunte: „Wollen wir ihn durchsuchen lassen?“

„Wozu?“, erwiderte Odo. „Wir werden nichts finden.“

„Es wäre auch demütigend für einen Edlen vor all diesen Männern.“

„Wenn er sich für unschuldig erklärt, mag er es dort in der Kirche auf das Evangelium schwören“, schlug ich vor.

„Fahren wir also fort“, sagte Hrotbert und rief: „Sprecht Ihr nun, Herr Siegram! Verteidigt Euch!“

Einen Augenblick sah der Sänger zum Himmel empor, um sich zu sammeln.

„Ihr Herren“, begann er mit leiser Stimme, „erlaubt, Euch erst dies zu sagen: Ist der Sänger überall zu Hause, so ist er doch gleichzeitig überall ein Fremder. Rastlos zieht er umher, nie kommt er endgültig an. Angewiesen ist er auf Gastlichkeit und Vertrauen, das man ihm gewähren, aber auch verweigern kann. Für seine Kunst wird er geehrt und bewundert, seiner Unrast wegen wird er beargwöhnt. Er kommt aus der Ferne und er zieht in die Ferne, man kann ihn nicht festhalten. Man muss ihn schon eines Verbrechens bezichtigen, um das zu tun!“

Er sah Frau Begga voll an, die, wie mir schien, leicht errötete.

Der Sänger führte uns nun in seine Heimat, das Königreich Wessex. Fing mit den Heldentaten seiner Vorfahren an. Schilderte die Nöte des siebenten Sohnes eines Edlen, der nur die Wahl zwischen dem Kloster und unsteter Wanderschaft hatte. Er wählte das Letztere: Länder, Städte, Meere, Herzöge, Grafen, Bischöfe. Aber auch staubige Straßen, dumpfe Herbergen, versinkende Fähren, brennende Brücken. Sechsmal war er überfallen und beraubt worden. Da hatte er es aufgegeben, eine teure Gefolgschaft zu unterhalten. Er hatte seine Besitztümer in die Hände eines vertrauenswürdigen Freundes gelegt und war nur noch mit dem Jungen gereist, Gott und seinem Glück vertrauend. Ja, auch der König habe sich seines Gesangs erfreut, sagte er stolz, wie dessen hier anwesende Abgesandte bestätigen könnten. Und nun sei er unterwegs nach Thüringen.

Nachdem er dies alles ausgeführt hatte, wandte er sich seiner Kunst zu. Schon in seiner Kindheit habe er voller Inbrunst den Barden gelauscht, welche, von Norden kommend, seine angelsächsische Heimat durchzogen. Dann habe er seine eigene Begabung entdeckt und …

An dieser Stelle unterbrach ihn Graf Hrotbert ungeduldig. „Sprecht nun zur Sache, Herr Siegram! Ihr braucht nicht Euern Gesang zu verteidigen. Wie ich höre, hat niemand etwas an ihm auszusetzen. Aber Ihr seid eines Mordes angeklagt!“

Der Sänger schluckte die Zurechtweisung. Er lächelte sogar, um Entschuldigung bittend, und schwieg einen Augenblick. Dann begann er mit seiner Darstellung der Ereignisse.

Wie die Zentgräfin seine Ankunft beschrieben hatte, entsprach nach seinen Worten der Wahrheit. Der dringende Wunsch nach einem Bad, der Hinweis eines Bauern, es gebe hier einen Bach oder Fluss, allerdings hinter Zäunen und Toren, habe ihn auf den Salhof geführt. Frau Begga habe ihn begrüßt und ihn gebeten, über sich Auskunft zu geben. Zunächst habe er nicht den Eindruck gehabt, sagte Siegram, dass sie über seine Ankunft besonders erfreut war. Doch als er sagte, er sei ein Skop, da sei sie wie umgewandelt gewesen. Sie habe Rufe der Überraschung ausgestoßen und überschwänglich Freude bekundet. Seltsam seien ihre Aussprüche „An so einem Tag!“ und „Ein Abgesandter des Himmels!“ gewesen. Jedenfalls sei ihm noch niemals durch eine Gutsherrin in einem abgelegenen Tal ein solcher Empfang bereitet worden. Frau Begga habe gleich Wein kommen lassen und ihn mit Fragen nach dem Woher und Wohin bestürmt. Dann seien sie auf jene neustrischen Comitate zu sprechen gekommen, wo auch sie einen Teil ihres Lebens verbracht hatte. Bald habe sich herausgestellt, was ihr Verhalten einigermaßen erkläre: dass sie einst die Frau eines Sängers gewesen war, bevor sie Umstände, die sie nicht näher bezeichnen wollte, in ihre jetzige Lage gebracht hatten. Mehrmals habe sie ihre Genugtuung darüber geäußert, dass ihr jetziger Gatte, der Zentgraf, abwesend war. Und dann habe sie ihm vorgeschlagen, die Nacht auf dem Salhof zu verbringen.

„Wollt Ihr uns damit sagen, Herr Siegram“, warf Hrotbert ein, „dass Euch die Zentgräfin diesen Vorschlag machte, weil sie Gefallen an Euch fand? Weil sie vielleicht bestimmte Absichten hatte?“

Frau Begga warf ihm einen empörten Blick zu.