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Die Magd machte eine Bewegung, als wollte sie mich aufhalten. Angst und Unruhe waren in ihren kleinen Mausaugen.

„Ich danke dir, Celsa“, sagte ich. „Schade, dass du nur eine Unfreie bist. Dass du in der Gerichtsversammlung nicht zeugen darfst. Aber trotzdem hast du uns einen Dienst erwiesen. Ich gebe dir auch mein Wort, dass du dafür nicht leiden sollst, wenn wir fort sind. Gott mit dir!“

Grisel setzte sich in Richtung des Tors in Bewegung.

„Herr!“, rief Celsa.

„Meine Tochter?“

Sie lief hinter mir her, so schnell ihre Beine den schweren Körper tragen konnten.

„Herr!“, keuchte sie. „Er hat nichts getan, lasst ihn frei!“

„Das hängt nicht allein von mir ab.“

„Ich weiß! So sprecht mit dem Herrn Pontius Pilatus!“

„Wie? Mit wem?“

„Sprecht mit ihm, bitte! Er soll ihn begnadigen. Sagt ihm, Celsa, die Magd Gottes, hätte für ihn gezeugt!“

Sie stolperte in der Dunkelheit und fiel hin. Ich hörte hinter mir das dumpfe Geräusch und ihr Stöhnen.

„Herr! Herr!“

Ich drehte mich nicht mehr um und dachte missgestimmt: Sie wird doch nicht etwa verrückt sein? Dann wäre alles, was sie erzählt hatte, die Ausgeburt eines kranken Verstandes. Nicht brauchbar …

Doch unterwegs zum Castell verwarf ich diesen Gedanken. Ein Teil dessen, was ich von ihr gehört hatte, war immerhin schon von anderer Seite mitgeteilt worden. Am Nachmittag in der Gerichtsversammlung.

Vor dem Saal des Castells, einem niedrigen, flachen Steinbau, saß Rouhfaz im Mondschein auf einem Hackklotz und nagte an einer Rehkeule. Aus dem Haus tönten Stimmengewirr, Gelächter und Gepolter, der wüste Lärm einer lustigen Gesellschaft.

„Was ist da los?“, fragte ich.

„Das sind die Kerle, die der Graf mitgebracht hat. Ungehobelte Dörfler, ohne Benehmen. Erst fressen und saufen sie, dann prügeln sie sich und jetzt machen sie mit den Knochen Zielwerfen. Das ganze Stroh haben sie zusammengekehrt. Und wo schlafen wir nun?“

Ich seufzte. Gern hätte ich mich zur Ruhe gelegt, es ging auf Mitternacht. Ich ließ mich auf einem Baumstamm nieder, der als Bank diente, und befahl Rouhfaz, den Esel in den Stall zu bringen.

„Wir warten auf den Grafen. Er wird Ordnung schaffen.“

Als Rouhfaz zurück war, brachte ich die Rede auf Celsa. Die dralle Magd sei wohl nicht die Klügste, meinte ich, und von der Leidensgeschichte des Herrn so beeindruckt, dass sie lebende Personen mit den im Evangelium behandelten verwechsle.

„Ihr habt sie also befragt“, sagte Rouhfaz. „Und hat sie Euch alles mitgeteilt?“

„Ja, ich glaube, sie hat nichts verschwiegen. Und ich musste sie nicht einmal zu ihren Aussagen nötigen. Sie schien plötzlich so viel Achtung vor mir zu haben, dass es an Furcht grenzte.“

„Das liegt daran“, erklärte er ohne Zögern, „dass sie auch Euch für eine dieser Personen aus dem Evangelium hält.“

„Was sagst du? Für wen denn?“

„Den Hohepriester Kaiphas.“

„Wie? Ist ja unglaublich! Und wer ist Pilatus?“

„Herr Odo.“

„Aber … aber wie kommt sie nur darauf?“

„Weil Ihr und Herr Odo hinter dem Herrn Jesus Christus her seid.“

„Was erzählst du da für Unsinn! Und wer ist … doch nicht etwa der Sänger? Sie lag auf Knien vor seinem Gefängnis!“

„Findet Ihr nicht, dass er so aussieht, wie eine Kuhmagd sich den Herrn Jesus vorstellen könnte?“

Der selbstgefällige Ton, in dem er diese Frage stellte, ließ mich endlich etwas ahnen.

„Rouhfaz!“, sagte ich. „Sprich die Wahrheit! Warst du es, der diesem einfältigen Geschöpf solchen blasphemischen Unfug eingegeben hat?“

„Warum werdet Ihr gleich so wütend?“, erwiderte er. „Ich wollte Euch und Herrn Odo nicht enttäuschen. Also musste ich mir etwas ausdenken.“

„Und was, bei allen Heiligen, hast du dir ausgedacht?“

„Dass unser Herr Jesus vom Himmel zurückgekehrt ist und nun auch die Franken erlösen will. Aber die Juden und die Römer sind wieder hinter ihm her und wollen ihm diesmal einen Mord anhängen. Alle verleugnen und verraten ihn, nur eine reine Magd ist auserwählt, für ihn zu zeugen und ihn zu retten. Zur Belohnung ist ihr die ewige Seligkeit sicher.“

Als ich das hörte, wusste ich im ersten Augenblick nicht recht, ob ich lachen oder zornig werden sollte. Er entschied sich für das Letztere.

„Gottloser!“, grollte ich. „Für diese freche Verhöhnung der heiligsten Dinge wird dich der Himmel strafen!“

„Warum denn?“, begehrte Rouhfaz auf. „Habe ich damit nicht der Gerechtigkeit und der Wahrheit gedient?“

„Das hast du. Trotzdem ist es eine Sünde. Ich nehme an, du selber hast dich auch auf wundersame Weise in eine Gestalt des Evangeliums verwandelt.“

„Ich bin Josef von Arimathia“, sagte der Spitzbube.

„Der heimliche Freund des Herrn. Sonst wäre die reine Magd wohl nicht zu Heimlichkeiten bereit gewesen.“

Rouhfaz, der seine gute Absicht verkannt sah, schwieg beleidigt.

Die Männer im Saal hatten sich etwas beruhigt, schwatzten und lachten aber noch immer. Die Nacht war mild, kein Lüftchen wehte. Ich entdeckte hinter dem Haus einen Moosteppich. So ließ ich Rouhfaz unsere Felle und Decken aus dem Wagen holen. Wir legten sich nebeneinander nieder. Es gab noch einmal Unruhe, als Hrotbert, Hauk und andere vom Salhof herüber kamen. Doch das nahm ich nur noch aus weiter Ferne wahr.

Verzeih, Odo, dachte ich vor dem Einschlafen. Du wolltest, dass auch ich in dieser Nacht tätig sei …

8. Kapitel

Das Erste, was ich beim Erwachen wahrnahm, hatte noch keine Gestalt. Es war ein Gemisch der verschiedenartigsten Laute, ein Quietschen, Ächzen, Rumpeln und Grollen. Gleich darauf wurden Geräusche und Stimmen daraus: das Poltern eines Fuhrwerks, ein knarrendes Rad. Jemand stöhnte, ein anderer gab Befehle. Ich öffnete sie Augen. Wenige Schritte von mir entfernt stand ein Bauernkarren, von dem zwei dünne Männerbeine herabhingen. Das eine war nackt, schmutzig, mit verkrustetem Blut bedeckt, das andere steckte in einem zerrissenen Schuh und einem ebenso löchrigen, mit Wadenbändern umwickelten Strumpf. Ein hellblonder, struppiger junger Kerl hielt die Deichsel des Karrens.

Bevor ich noch richtig zu mir kam, stieß Odos Nase wie ein Keil in mein Blickfeld. Seine braunen Augen bohrten sich in mein verschlafene Gesicht.

„Steh auf, Lupus! Es gibt Arbeit. Wir haben die Pferdediebe. Dazu für Hauk eine Überraschung. Hoch mir dir! Fulk, geh hinein und wecke den Grafen!“, rief er nach hinten.

Natürlich war ich sofort auf den Beinen. Ich hatte in der Kutte gelegen und brauchte nur die Decken und Felle abzuwerfen. Auch Rouhfaz rappelte sich von unserem Mooslager auf. Es war bereits heller Morgen, wir hatten den Sonnenaufgang verschlafen.

Ich sah nun die Männer unseres Trupps, die Odo bei seiner nächtlichen Unternehmung begleitet hatten, auch den unter seinem Unterrockumhang fröstelnden Witzlaw. Der Verletzte auf dem Karren war ein Bauer, ein dürres Männchen, das grässlich stöhnte. Ein Pfeil oder eine Lanze hatte seinen Oberschenkel durchbohrt und man hatte ihn notdürftig verbunden. Neben ihm lagen ein zusammengerollter schmutziger Teppich, Bogen und Köcher, ein Spaten und Netze, wie sie Wilderer verwenden.

„Warum bleibst du stehen?“, fuhr Odo den Burschen an, der die Deichsel hielt. „Vorwärts! Stelle ihn unter den Turm!“

Der Karren rumpelte weiter und wir folgten mit etwas Abstand. Aus dem Saalhaus trat Fulk, gefolgt von Hrotbert. Der Graf war nur schnell in seine Hose gefahren, seine mit grauen Zotteln bedeckte Brust und seine Füße waren nackt. Hinter ihm taumelten noch ein paar andere aus dem Stroh hoch gefahrene Gestalten heraus, die im Gehen ihre Kittel überstreiften, die Gürtel schlossen und Schwerter und Beile zu sich steckten.