Dies sprach der König in freundlichem, doch auch etwas ironischem Tonfall und gleich erhob sich wieder Gelächter. Vielen Herren sah man an, dass sie dem Odo gönnten, statt ins kurzweilige Paris ins barbarische Sachsen geschickt zu werden.
Er selbst brachte kein Wort mehr hervor und sandte nur einen Seufzer zum Himmel, der einen Felsblock rühren konnte.
Auf einmal bedauerte ich ihn wieder und gleich machte ich mir Vorwürfe. Ich hatte, die Erlaubnis des Königs missbrauchend, einen Fremden, der mir nichts getan hatte, zu etwas genötigt, was ihm zuwider war. Ich warf mir vor, aus Bosheit und Eitelkeit gehandelt zu haben, um ihm sein spöttisches, abweisendes Benehmen heimzuzahlen. Am liebsten hätte ich den König gebeten, ihm das Mandat wieder abzunehmen. Aber das war natürlich nicht möglich.
Steif und sprachlos standen wir nebeneinander. Die letzten missatica wurden verteilt. Alle freuten sich auf das angekündigte Festmahl und es herrschte schon allgemeine Unruhe. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus und sprach Herrn Odo leise an.
„Ich habe den Eindruck, dass meine Wahl Euch verdrießt. Das war keineswegs meine Absicht. Wenn es so ist, dann bitte ich Euch um Verzeihung. Ich wünsche mir sehr, mit Euch in gutes Einvernehmen zu kommen.“
„Du blöder Pfaffe!“, zischte er. „Was hast du mir da eingebrockt! Warum hast du dir ausgerechnet mich ausgesucht? Hab ich dir nicht den Rücken zugekehrt?“
„Ich gestehe, das hat mir nicht gefallen. Deshalb wollte ich, dass Ihr mir Euer Gesicht zuwendet.“
„Nun, und was hast du davon?“
„Wir haben Bekanntschaft geschlossen. Ihr gefallt mir.“
„Darauf gebe ich einen Hundeschiss.“
„Das ist immerhin mehr als nichts.“
„Wart’s ab, du wirst es schon noch bereuen! Vor dem Alten hier großtun ist nicht schwer. Aber wie sich ein kleiner, schwächlicher Bierwanst im sächsischen Urwald zurechtfinden will, ist etwas anderes. Ich war schon dort, hab meine Erfahrungen. Willst du auch ein Märtyrer werden? Meinetwegen. Sollen sie dich fressen. Ich werde ihnen gute Verdauung wünschen!“
So sprach er zu mir, ließ mich stehen und ging fort. Die Versammlung war nämlich gerade beendet.
Um mich kümmerte sich niemand. Ich stand herum und haderte mit den heftigen Worten meines künftigen Amtsgefährten.
Mich klein und schwächlich und einen Bierwanst zu nennen! Was dem einfiel! Gewiss, mit meinen Körpermaßen kann ich nicht gerade mit den marmornen Säulen wetteifern, die der Herr Karl zur Ausschmückung seiner Pfalzen aus Italien herbeischaffen lässt. Aber bin ich nicht fest im Fleische und kräftig? Erinnerst Du Dich an unsere gemeinsame Fuldaer Zeit und an die beiden alten Chorherrn, deren Ochse im Schlamm stecken geblieben war? Bin nicht ich es gewesen, der ihn ausspannte, um ins Joch zu treten und der den Wagen mit den Chorherren zog … bis vor das Gästehaus?
Es gab nun viel Trubel und der Herr Seneschalk und der Herr Mundschenk rannten hinaus. Im nächsten Augenblick kamen sie wieder, gefolgt von Dienern, Köchen und Bäckern. Man trug Tische und Bänke herbei und Fässer mit Wein und Bier, ganze gebratene Ochsen und Wildschweine, Schüsseln mit Würsten, Körbe mit Backwerk und andere Herrlichkeiten. Musikanten spielten auf und die Lieblingshunde des Königs wuselten umher und schnappten sich Brocken, die man ihnen bereitwillig zuwarf.
Ach, und die Damen nicht zu vergessen! Unsere stolze Königin Fastrade rauschte herein. Sie ist sehr schön, doch macht sie stets ein Gesicht, als hätte sie gerade eine Kröte verschluckt. Und leichtfüßig hüpften die lieblichen Töchter des Herrn Karl in die Halle. Sie liefen zu ihrem Vater, der sie herzte und küsste und sie an seiner Seite Platz nehmen ließ.
Ich war ganz verwirrt von all dem Getümmel. Obwohl ich ja schon eine Weile bei Hofe war, hatte ich noch nie an einem so festlichen Schmaus teilgenommen. Ich empfing Rippenstöße und Nasenstüber. Ein Diener, der mich anrempelte, begoss mich mit heißer Brühe. Jemand, dem ich im Wege stand, stieß mich beiseite und im Fallen landete ich auf einer Bank, an einem der Tische. Ringsum schmatzte schon alles und da stand auch schon eine Schüssel vor mir und ich brauchte nur hineinzugreifen. Der Wein dazu war nicht so ein saures Gesöff, wie wir es als Messwein verwenden, sondern herrlicher, sonnengereifter Burgunder. Ich leerte den Becher, den eine Magd vor mich hinstellte, in einem Zuge.
Plötzlich war Herr Odo neben mir. Er nötigte mich und meinen Tischnachbarn, etwas beiseite zu rücken und zwängte sich in die Lücke. Er hatte einen ganzen Krug Wein erbeutet, aus dem er mir und sich einschenkte. Mit Erleichterung bemerkte ich, dass mir mein neuer Amtsgefährte nicht mehr böse zu sein schien und dass seine Heiterkeit und Spottlust zurückgekehrt waren.
„Ich sehe, du lässt es dir noch einmal wohl sein“, sagte er, „bevor wir beide gemeinsam zur Hölle fahren.“
„Warum sollten wir?“, erwiderte ich ebenfalls heiter „Da ist nicht die geringste Gefahr, denn wir werden ja gottgefällige Werke tun.“
„Meinst du? Aber ich hoffe, du bist nicht kleinlich, wenn auch mal ein paar Sünden dabei sind. Die sächsischen Weiber …“
Er kniff ein Auge zusammen und lachte lauthals. Ich fiel mit Gekicher ein, weil ich ihn nicht wieder verärgern wollte. So kam zwischen uns eine Unterhaltung in Gang. Dabei sprachen wir dem Braten und den anderen Köstlichkeiten zu, unter deren Last die Tische fast brachen. Ein ernstes Gespräch war bei dem Lärm der fröhlichen Esser und Zecher ringsum natürlich nicht möglich. So redete jeder von dem, was ihm in den Sinn kam: Odo von Frauen, Pferden und Waffen, ich von Büchern, Reliquien und einer römischen Pilgerfahrt. Vom Essen verstanden wir beide etwas und so konnten wir alle Gerichte, die aufgetragen wurden, sachkundig beurteilen. Nach kurzer Zeit fühlten wir uns wie alte Bekannte, und Odo zog mich in sein Vertrauen.
„Nimm es mir nicht übel, dass ich dich vorhin beschimpft habe“, sagte er, indem er den Arm um meine Schultern legte. „Nicht du bist schuld daran, dass ich in diese Einöde muss. Der König kann mich nämlich nicht leiden. Er hätte mich auch dorthin geschickt, wenn du nicht gewesen wärst.“
„Aber was sollte er gegen dich haben?“
„Ich bin Merowinger – das reicht! Ein Spross vom alten fränkischen Königsgeschlecht. Zwar von einer Nebenlinie, aber ein echter, kein Bastard. Das weiß er genau, auch wenn er immer so tut, als sei es neu für ihn. Soll ich dir etwas verraten?“ Jetzt kitzelte mich sein Schnurrbart am Ohr. „Ich hätte mehr Anspruch auf den Thron als er selbst! Seine Sippe, die Karolinger … die waren ja, wie jeder weiß, nur Hausmeier. Auch noch Pippin, sein Vater. Der hat den Thron usurpiert und den letzten rechtmäßigen König, meinen Onkel, den schickte er ins Kloster und …“
„Und ich bin überzeugt, dass dich trotzdem eine große Zukunft erwartet!“, unterbrach ich ihn, um das heikle Thema zu wechseln.
„Eine große Zukunft? Das will ich meinen!“, sagte er ernst. „Siehst du die junge Prinzessin dort an seiner Seite? Die Hübsche mit den hellblonden Locken und dem goldenen Stirnreif? Sie heißt Rotrud und sie liebt mich.“
„Sie liebt dich?“, fragte ich verblüfft.
„Erst kürzlich hat sie es mir gestanden. Wir haben auch schon Küsse getauscht, heimlich natürlich, während eines Jagdausflugs. Aber einer dieser widerlichen Ohrenbläser, von denen es hier wimmelt, muss es gesehen und dem Alten hinterbracht haben. Auch das ist ein Grund für ihn, mich zu entfernen, und zwar möglichst weit. Vielleicht hofft er sogar, dass mir etwas zustößt. Vergebens natürlich! In ein paar Monaten, wenn wir zurück sind, werde ich um sie anhalten.“
„Aber ist sie nicht noch ein Kind? Erst dreizehn Jahre alt?“
„Alt genug, um zu heiraten. Ihre Mutter, die selige Hildegard, war dreizehn, als sie zum ersten Mal niederkam. Was der König kann, kann ich auch! Zum Glück ist Rotrud nun wieder frei. Sie war schon einmal verlobt, mit dem byzantinischen Thronfolger. Der Alte hat die Verlobung platzen lassen … aus purem Eigennutz, weil er seine Töchter nicht hergeben will. Aber er hat nicht mit Odo von Reims gerechnet. Was ist? Du siehst mich so seltsam an. Glaubst du mir etwa nicht?“