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So nahm Herr Siegram seine Aufgabe überaus ernst. Mit einer Schreibtafel in der Hand fragte er mich aus. Er lief auch, von Fulk begleitet, herum und erkundigte sich bei den Leuten des Castells nach allem, was sie nur irgendwie zum Thema beitragen konnten. Sehr unzufrieden war er mit den Angaben zur Herkunft der Heldin des Liedes. Beinahe wäre daran alles gescheitert, denn es gehört zur Berufsehre eines Skops, nur über Menschen zu berichten, die sich schon von Geburt her vor gewöhnlichen Sterblichen auszeichnen. Er hätte wohl lieber für immer geschwiegen und gelitten, als sich mit dem Makel belastet, jemals ein Heldenlied über einen Mann oder eine Frau aus dem Volke gedichtet zu haben.

So mussten zusätzliche Nachforschungen angestellt werden. Ich wandte mich an den alten Arnfried, der von Hrotbert vorübergehend zum Zentgrafen und Verwalter des Haukschen Benefizes ernannt worden war. Er kam nun oft zum Castell herüber, um die gröbsten Missstände zu beseitigen. Zum Glück war er gut unterrichtet. Frau Begga hatte keine Gelegenheit ausgelassen, den neuen Verwandten ihre vornehme Herkunft vorzuhalten und die schlimmen Wechselfälle zu beklagen, die sie hierher verschlagen hatten. Der alte Uhu, der in drei Tagen drei jüngere Verwandte verloren hatte, erzählte mir alles, was er wusste, traurig mit den Augen zwinkernd, doch ohne eine einzige zornige Aufwallung, mit der unendlichen Nachsicht des Weisen.

Was ich erfuhr, gab ich an Siegram weiter, der sich nun unverzüglich ans Werk machte.

10. Kapitel

Der dritte Tag kam heran. Das Wetter war umgeschlagen. Grau wölbte sich der Himmel und schwarze, bizarr geformte Wolken zogen tief und eilig vorüber.

Sonst war alles fast wie bei der ersten außerordentlichen Versammlung. Hrotbert war mit seinen Schöffen gekommen. Odo, der noch schwach war und seine verletzte Schulter und den unbeweglichen Arm unter einem weiten Mantel verbarg, hatte sich am Stock zu seinem Platz unter der Esche geschleppt. Siegram trug sein golddurchwirktes Gewand, doch wehte der Umhang diesmal stärker. Bei der Klägerpartei fehlte Hauk, der inzwischen auch unter der Erde lag. Aber die knorrigen Alten waren da und es war wieder die Fibel mit dem Vogelkopf, die Frau Beggas Umhang am Halse zusammenhielt. Es mochten wohl auch an die hundert Männer mehr sein, die diesmal ringsum im Wiesengras hockten.

Hatte es jemals eine Gerichtsversammlung gegeben, auf der der Angeklagte sich singend verteidigte? Ich glaube nicht. Dies war wohl die erste und einzige und würde die erste und einzige bleiben.

Zu Anfang gab der Graf mir das Wort, damit ich das Ergebnis der inquisitio bekanntgab. Natürlich hatten wir uns vorher verständigt. Ich erhob mich und sagte etwas von der unendlichen Weisheit Gottes, der dem Menschen die Gabe verliehen habe, sich nicht nur mit Worten, sondern, wenn diese nicht ausreichten, auch in Tönen zu äußern. Der Angeklagte habe bedauert, beim ersten Mal, als er nur mit Worten plädierte, nicht in der Lage gewesen zu sein, alles auszudrücken, was er zu sagen habe. Er wolle dies jetzt nachholen, doch bitte er, singend plädieren zu dürfen. Die Untersuchung, schloss ich, habe ergeben, dass dies der sicherste Weg sei, die Wahrheit zu finden.

Ich setzte mich. Ein Blick der Frau Begga traf mich, scharf wie ein Schwerthieb. Hatte sie verstanden? Durchschaute sie mich?

Hrotbert forderte Siegram auf zu beginnen. Der Sänger trat in die Mitte. Er griff kräftig in die Saiten der Harfe und seine helle, klare, Stimme erhob sich mühelos über das Windsausen und Blätterrascheln.

Während die schwarzen Wolken über uns hin jagten, hörten wir das Lied von der Rache der Demetria.

Sie war eine aquitanische Jungfrau, weithin berühmt für ihre Schönheit und ihren Edelmut.

Obwohl sie fast noch ein Kind war, übertraf sie alle Mädchen an Liebreiz und alle jungen Männer an Kraft und Geschicklichkeit.

Ihr Vater, ein großer und edler Herr, war Gefolgsmann des mächtigen Fürsten Hunold.

In Treue hielt er fest an seinem Vasalleneid, auch dann noch, als sich der Fürst rebellisch gegen den König wandte.

Der große Karl vertrieb den Fürsten und seinen treuen Vasallen.

Die schöne Demetria wurde heimatlos.

Loup, der Herzog der Gascogne, nahm die Fliehenden auf.

Doch er erwies sich als Verräter.

Er lieferte Hunold und seinen treuen Vasallen dem König aus.

Demetrias Vater wurde hingerichtet, sie selbst als Sklavin verkauft.

Siegram machte eine Pause und sah zu Frau Begga hin. Betroffen und angerührt von der Erinnerung stand sie reglos am Rande des Gerichtsplatzes. Sie atmete schwer, doch war dies das einzige sichtbare Zeichen ihrer Teilnahme. Offenbar war sie bemüht, sich zu beherrschen. Ja, sie ahnte wohl, was wir vorhatten, und sie kannte ihre Schwäche.

Aus der Ferne hörten wir dumpfes Gewittergrollen. Der Skop schlug die Saiten und fuhr fort.

Nun musste die schöne Demetria dienen.

Niedere Arbeiten wurden ihr zugemutet.

Sie teilte das Lager mit schmutzigen Mägden.

Dennoch erblühte sie immer mehr und übertraf alle reich geputzten jungen Damen an Anmut und vornehmer Haltung.

Grafen und andere Edle bemerkten dies und versuchten, sich ihr zu nähern.

Doch alle wies sie voller Entrüstung ab.

Sie wartete auf ihren Befreier.

Nur er war es, den sie mit heißem Herzen herbeisehnte.

In Soissons, wo sie im Haus eines Bischofs diente, erschien eines Tages ihr Held.

Er hieß Adalmar.

Frau Begga stieß einen schweren Seufzer aus. Ein Blitz zuckte hinten am Horizont. Die blonden Haare des Sängers flatterten. Die Männer auf der Wiese erhoben sich einer nach dem anderen und traten näher, um nichts zu verpassen.

Frau Beggas Blick hing an Siegrams Mund und nun erklomm er mit seiner Stimme strahlende Höhen.

Er war der herrlichste Mann, den es je gab.

Er konnte die Sonne ersetzen, wenn sie nicht schien.

Sie liebten sich und er bot ihr die Hand zum Ehebund.

Aufgrund von untrüglichen Zeichen erwies sich nun auch ihre hohe Geburt.

Die schöne Demetria war glücklich.

Alles hatte sich zum Guten gewendet.

Sie begleitete ihren Geliebten und Gatten auf seinen Reisen von Land zu Land.

Die Großen bewunderten seine Kunst und huldigten ihrer Schönheit.

Kein edleres Paar ward je gesehen als Adalmar und Demetria.

Aber die bösen Mächte ruhten nicht.

Sie neideten den beiden ihr Glück.

In einem finsteren Winkel, wo sie herbergen mussten, ereilte den herrlichen Mann sein Schicksal.

Eine Zauberin lockte ihn in einen Hinterhalt.

Ein Unhold erschlug ihn mit seinem Beil!

Jetzt schrie die Frau auf. Ein Blitz beleuchtete grell ihr Gesicht. Ein Windstoß riss ihr den Schleier vom Kopf, der davon wehte, über die Reihen der Männer hinweg.

Der Sänger wartete nur den Donnerschlag ab.

So wurde die schöne Demetria wieder ins Unglück gestoßen.