„Ich wünsche dir Glück und Gottes Segen.“
„Sehr gut, das können wir beide brauchen. Auch du! Jetzt werden wir erst einmal große Taten vollbringen. Wir werden in diesem wüsten Sachsen eine mustergültige fränkische Rechtsordnung einführen. Und wenn wir ruhmbedeckt zurückkehren, muss mir de Alte endlich ein Benefiz geben. Oder besser gleich eine Grafschaft. Das wird er seinem künftigen Schwiegersohn schuldig sein. Und du … du bekommst auch deinen Anteil. Du wirst mindestens Bischof.“
Er lachte wieder und ich stimmte ein. Trotz unserer kurzen Bekanntschaft glaubte ich, ihn schon so weit zu durchschauen, dass ich ungefähr unterscheiden konnte, was der Wahrheit entsprach und was nur Geflunker war. An der Behauptung, er sei ein Nachkomme der Merowinger, mochte vielleicht etwas dran sein. Genaueres weiß ich bis heute nicht. Dass ihn aber die Tochter des Königs liebte, hielt ich für eitle Prahlerei, mit der er sich wichtig machen wollte. Die feixenden Mienen einiger Tischgenossen, die an dieser Stelle unseres Gesprächs ein paar Brocken aufgeschnappt hatten, bestärkten mich in dieser Ansicht.
Wie ernst es ihm aber damit war, sollte ich gleich darauf erfahren.
Zur Tür herein trat ein Sänger, ein bemerkenswert großer und schöner Mann mit auf die Schultern wallendem Blondhaar, im prächtigen, golddurchwirkten Gewand, die Harfe im Arm. Lächelnd, mit raschen, wiegenden Schritten durchmaß er die Halle. Sein seidener Umhang wehte ihm anmutig nach. Er neigte sich vor dem König und bedachte auch die königliche Familie und die wichtigsten Würdenträger mit vollendeten Reverenzen.
Der Lärm in der Halle ebbte rasch ab. Jeder wusste, wie sehr der König den Skops, den weit gereisten Dichtern und Sängern, zugetan war, wie aufmerksam er ihnen zu lauschen und wie missfällig er Störungen aufzunehmen pflegte. So beeilten sich alle, ihr Mahl zu beenden oder wenigstens zu unterbrechen. Da und dort wurden noch hastig ein paar Bissen verschlungen, Handrücken fuhren über Bärte und Münder, um das Fett abzuwischen. Odo füllte uns nochmals die Becher.
Ich war voller Vorfreude. Wann hat unsereiner schon mal Gelegenheit, andere Lieder zu hören statt, Gott verzeihe es mir, immer dieselben, die man in der Kirche singt?
Der Herr Karl richtete freundliche Begrüßungsworte an den Sänger und stellte ihm einige Fragen. Weil ich recht entfernt saß, verstand ich nicht alles. Nur soviel bekam ich mit, dass der Mann Siegram hieß und einem edlen angelsächsischen Geschlecht entstammte. Fast alle Gegenden des Frankenreichs und auch andere Länder habe er bereist, so erklärte er, weshalb er in der Lage sei, neben seinen eigenen Dichtungen manches vorzutragen, was man im Norden und Süden, Osten und Westen singe. Und er begann auch gleich mit einem Heldenlied, das sich der König ausdrücklich wünschte und dessen Vortrag wohl zuvor schon vereinbart war.
Das Lied stammte aus dem Langobardischen und war die Geschichte zweier Kämpfer, Vater und Sohn, die sich infolge eines widrigen Schicksals auf Leben und Tod gegenüberstanden, wobei der Vater den Sohn schließlich tötete.
Der Sänger verstand seine Sache, er wusste die Zuhörer zu fesseln. Seine hohe, doch kräftige Stimme drang bis in den letzten Winkel der Halle. Seine mimische und gestische Ausdruckskraft waren bewundernswert. Je nachdem, ob er den Vater oder den Sohn darstellte, wechselte er die Position. Mal war er mit verdüsterter Miene und herzergreifendem Sprechgesang der tragisch zerrissene, von der Last seines Schicksals gebeugte Hildebrand, dann wieder der kühne junge Hadubrand, der mit blitzendem Auge strahlende Töne schmetterte, die an Schlachttrompeten erinnerten. Seine wohl einstudierten Gebärden gefielen, anmutig hielt er die Harfe und ließ seine schlanken Finger flink über die Saiten hinweg gleiten.
Er erhielt kräftigen Beifall. Der König, von dem man weiß, dass er recht unwirsch sein kann, wenn ihm ein Vortrag nicht gefällt, rief:
„Großartig! Wunderbar!“
Auch ich war begeistert. Odo dagegen saß mit saurer Miene da und seufzte. Im ersten Augenblick dachte ich, dass er wie die meisten unserer biederen Franken wenig Sinn für Poesie und Sangeskunst hatte. Doch schnell begriff ich, was ihn störte. Nicht entgangen war ihm die hingebungsvolle Aufmerksamkeit, die Prinzessin Rotrud dem Künstler widmete.
Als Siegram nun ein zweites Lied vortrug, musste dies jedem in der Halle auffallen. Das Lied handelte von der Liebe eines edlen, aus seiner Heimat vertriebenen Schutzflehenden zu der schönen Tochter seines Gastgebers, eines mächtigen Fürsten. Der Sänger schwelgte in der Beschreibung der Vorzüge dieser jungen Dame, wobei er kein Auge von Rotrud ließ, die ihn ihrerseits mit schmachtenden Blicken verschlang. Das Versmaß holperte an diesen Stellen ein wenig, was zweifellos daher kam, dass Herr Siegram kräftig improvisierte, um mit seiner Dichtung der vor ihm sitzenden Schönen zu huldigen. Er verglich Rotruds Haar mit dem Strahlenkranz der Sonne, ihr Mündchen mit einer Rosenknospe und vergaß auch alles andere nicht. Der König nahm es heiter, doch die Königin, die ja selbst noch sehr jung ist und vielleicht nur gekränkt war, weil in ihrer Gegenwart die Vorzüge ihrer Stieftochter gerühmt wurden, zog ein noch saureres Gesicht als gewöhnlich und wandte sich ab. Viele Gäste tauschten Blicke und grinsten unverhohlen. Ich vermied es, Odo anzusehen, hörte ihn aber mehrmals entrüstet schnaufen.
Dann kam es noch besser. Nachdem der Sänger in jubelnden Tönen den Sieg der Liebe und die Vereinigung des edlen Schutzflehenden mit der Prinzessin verkündet hatte, sprang Fräulein Rotrud von ihrer Bank auf, trat ohne Scheu auf ihn zu, reckte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn. Alles blickte auf den König, der aber nur wohlwollend lachte und einem Diener winkte. Dieser brachte dem Sänger einen Silberpokal, den Lohn für seine Kunst. Siegram lächelte strahlend, schwenkte den Pokal wie eine Trophäe und dann beugte er sich zu Rotrud herab und küsste sie seinerseits. Sie spielte ein wenig die Empörte, fuhr mit der Hand in sein Lockenhaar und zauste es, lachte aber gleich wieder und eilte leichtfüßig an ihren Platz zurück.
„Was sagst du dazu, Odo? Er hat deine Braut geküsst“, stichelte einer am Tisch.
„Das durfte er“, bemerkte sein Nachbar. „Der Herr Karl hatte nichts dagegen.“
„Warum soll er denn seinen Töchtern nicht eine Liebschaft erlauben?“, sagte der Erste. „Das ist besser, als wenn sie heiraten und ihn verlassen.“
Im selben Augenblick purzelten Krüge, Kannen und Becher durcheinander, und ihr Inhalt, Wein und Bier, floss über den Tisch. Mit einer heftige Geste war Odo aufgesprungen.
„Was hast du? Wo willst du hin?“, rief ich.
Er antwortete nicht. Mit Riesenschritten, gefolgt vom Gelächter unserer Tischgenossen, stürmte er zur Tür und hinaus.
Odos jäher Abgang war nur von den in der Nähe Sitzenden bemerkt worden. Da der Vortrag beendet war, stürzte sich alles wieder auf Speisen und Getränke. Lautstark ergossen sich die zurückgehaltenen Maulströme in die Halle.
Der schöne Herr Siegram machte die Runde bei den Großen des Reiches. Man beehrte ihn mit einem Lob, einem freundlichen Abschiedswort, einer Einladung oder sogar – wenn man schon betrunken und großzügig war – einem Goldstück. Er lächelte auch noch einmal zu Fräulein Rotrud hinüber, die ihn aber bereits vergessen hatte und sich mit ihren jüngeren Geschwistern zankte. Nach einer letzten Verbeugung gegen den König, der ihn ebenfalls nicht mehr beachtete, wandte er sich zum Ausgang.
Ich hatte kein Auge von ihm gelassen und da Odo nicht zurückgekommen war, zweifelte er nicht, dass den Sänger draußen ein unangenehmer Empfang erwartete. Mich packte die Sorge, mein neuer Freund und Amtsgefährte könnte sich eine Torheit leisten und damit alles verderben, was gerade so gut begann. Ich sprang auf und lief dem Sänger nach. Draußen geschah tatsächlich, was ich befürchtet hatte.