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Der Sänger ging über den Hof auf eines der Gästehäuser zu. Odo trat von der Seite an ihn heran, sein Schwert am Gürtel. Das schien den Sänger jedoch nicht sehr zu beeindrucken.

Ein Ochsengespann, das auf dem belebten Hof vorüber getrieben wurde, hinderte mich einen Augenblick daran, mich den beiden zuzugesellen. Als ich bei ihnen ankam, standen sie sich gegenüber – ein wütender Odo und ein hochmütig lächelnder Siegram.

„Euer Betragen war unverschämt!“, schnauzte Odo. „Nicht einmal die höchsten Würdenträger dürfen sich solche Freiheiten herausnehmen. Ihr werdet noch heute die Pfalz verlassen!“

„Ach, und wie käme ich dazu?“, entgegnete der Sänger. „Ist Euch entgangen, wie erfolgreich ich war? Man wird mich noch öfter zur Tafel rufen.“

„Da täuscht Ihr Euch aber sehr. Man wünscht nur eines: dass Ihr so schnell wie möglich abreist!“

„Und wer befiehlt das?“

„Hier hat nur einer zu befehlen.“

„Der eine hat mir gerade diesen Pokal geschenkt.“

„Weil er mit Euerm Gesang zufrieden war. Mit Euerm Betragen ganz und gar nicht.“

„Aber was habe ich denn verbrochen?“

„Da fragt Ihr noch?“

„Ich bitte Euch, klärt mich auf.“

„Man küsst nicht in aller Öffentlichkeit eine königliche Jungfrau, die einem Edelmann bestimmt ist!“

„Zuerst hat die Jungfrau mich geküsst.“

„Damit hättet Ihr Euch begnügen müssen.“

„War denn der Edelmann, dem sie bestimmt ist, anwesend?“

„Er war es.“

„Seid Ihr es etwa?“

„Und wenn ich es wäre?“

Herr Siegram lächelte nachsichtig wie über einen misslungenen Scherz und ließ herausfordernd langsam seinen Blick an Odo hinab gleiten. Ich erwähnte bereits, dass der äußere Eindruck, den mein neuer Gefährte machte, von oben nach unten zunehmend ungünstiger wurde. Bei den zerrissenen Stiefeln angekommen, verweilte der Blick des Sängers mit genüsslicher Ruhe.

„Ich gratuliere Euch!“, sagte Herr Siegram. „Zweifellos werdet Ihr Eure Braut sehr glücklich machen. Aber wollt Ihr etwa in diesen Stiefeln auf Eurer königlichen Hochzeit tanzen?“

Der elegante Sänger ließ ein kurzes verächtliches Lachen hören, warf die Lockenmähne zurück und ging mit wehendem Mantel weiter. Odos Hand fuhr nach dem Schwertgriff. Doch nun sah ich den Augenblick zum Eingreifen gekommen.

„Bei allen Heiligen! Lass das Schwert stecken!“

„Hast du gehört, wie mich der Laffe beleidigt hat? Ich werde ihn zum Zweikampf fordern!“

„Das wirst du nicht tun. Du bist nicht mehr nur für dich selbst verantwortlich. Vergiss nicht, ab heute hast du ein Amt. Du bist ein Stellvertreter des Königs!“

„Also hat er den König beleidigt. In mir, seinem Stellvertreter!“

„Wenn schon. Von einer solchen Höhe aus lässt man sich nicht auf Zweikämpfe ein.“

„Und was soll ich deiner Meinung nach tun?“

„Ich würde mir ein paar neue Stiefel anmessen lassen.“

Einen Augenblick starrte er mich an. Dann blickte er auf seine Füße und plötzlich begann er zu lachen. Er schlug mir die Hand auf die Schulter und rief: „Recht hast du! Ich gehe sofort in die Schusterwerkstatt. Zwar hab ich kein Geld im Beutel, aber dafür gehört mir ja jetzt die Staatskasse!“

Odos Lachen schallte über den weiten Hof. Herr Siegram, der gerade das Gästehaus betreten wollte, sah sich noch einmal verwundert um.

Odo bemerkte es, lächelte gallig und murmelte: „Und dich erwische ich noch, mein Goldkehlchen. Irgendwann sehen wir beide uns wieder!“

Wie recht er hatte. Keine drei Wochen sollten vergehen, bis sie sich wiedersahen.

2. Kapitel

Die nächsten Tage waren mit Reisevorbereitungen angefüllt. Natürlich war ich ab sofort von meinen Aufgaben in der Kanzlei entbunden. Schnell wies ich noch meinen Nachfolger ein, ein blasses Mönchlein, das sich eifrig über das Pult beugte und zu schreiben begann, während ich mitleidig seinen gekrümmten Rücken betrachtete. Dabei hörte ich auf das Gezwitscher der Schwalben, die über dem kleinen Fenster unter dem Dach nisteten. Wie oft hatte ich sie beneidet, weil sie einfach davon flattern konnten, hinaus in die Welt. Es ist wohl noch zu früh für mich, an ein besinnliches Leben in einer Klosterzelle zu denken. Jetzt würde ich meine Flügel breiten!

Ich traf mich mit Odo und wir einigten sich darauf, was jeder tun sollte. Odo stellte die Schutztruppe zusammen, besorgte die Reittiere und einen Planwagen. Er kümmerte sich auch um Zelte, Decken und Mundvorräte für den Fall, dass wir unterwegs einmal keine Herberge finden sollten. Mir als dem Schriftkundigen oblag es, uns mit allem zu versorgen, was wir in unserer Eigenschaft als Gerichtsherren, Ankläger, Anwälte, Ordnungshüter und Ermittler von Straftaten benötigen würden. Da die Kanzlei hoffnungslos überlastet war, musste ich dieses oder jenes wichtige Schriftstück, eine königliche Verordnung oder einen Auszug aus der Lex Salica, der allgemein anwendbare Bestimmungen enthielt, am Tisch einer Schänke kopieren.

Vom sächsischen Volksrecht gibt es ja leider noch keine vollständige Sammlung. Deshalb suchte ich meine Kenntnisse zu ergänzen, indem ich sächsische Edelinge, die zur Reichsversammlung erschienen waren, ansprach und ausfragte. Dabei machte ich mir Notizen auf Wachstäfelchen. An die hundert lagen schließlich in einem Korb, den ich mitnehmen wollte, um sie irgendwann zu ordnen und unter Hinzufügung dessen, was ich auf der Reise erfahren würde, zu einer Lex Saxonum zusammenzustellen.

Dann gab es noch einen feierlichen Augenblick. In der Pfalzkapelle erneuerten wir dem König den Treueid und erhielten unsere Ernennungsurkunden als missi dominici. Mir zitterten die Hände, als ich das kostbare Pergament mit dem Titelmonogramm und dem eigenhändigen Vollziehungsstrich des Herrn Karl in Empfang nahm. Ich legte es in eine eiserne Schatulle, zu der Odo und ich je einen Schlüssel besitzen. In der Schatulle bewahren wir auch unsere flüssigen, leider nicht sehr üppigen Geldmittel auf. Der Herr Kämmerer ist ein Knauser. Wir müssen uns bemühen, am Abend eines Reisetags immer ein Königsgut, ein Kloster oder das Anwesen eines Grafen, Zentgrafen oder königlichen Vasallen zu erreichen, wo wir unentgeltlich versorgt werden. Bis jetzt ist es uns fast immer gelungen, aber noch sind wir nicht weit gekommen und befinden uns im alten Reichsgebiet, wo ein Königsgut neben dem anderen liegt. Hinter Fulda wird sich das ändern.

Unsere Gesandtschaft besteht aus sieben Männern: Odo und mir, einem Diener, der auch gleichzeitig Schreiber ist, und einer vierköpfigen Schutztruppe. Deren Anführer ist ein gewisser Fulk, ein Graukopf mit finsteren, kantigen Zügen und einer Narbe quer über der Stirn. Auf den ersten Blick flößt er wenig Vertrauen ein. Odo kennt ihn aber von früher, von Gefechten mit sächsischen Widerständlern, und hält ihn für einen von der Sorte, die es mit Satan persönlich aufnehmen würden. Fulk redet wenig und wenn er den Mund auftut, flucht und schimpft er. Zu lieben scheint er nur seine Waffen und ein altertümliches Trinkhorn, das ihm am Gürtel hängt und aus dem er sich Unmengen Bier einflößt. Seine drei Leute sind brave Burschen, die auch nicht zimperlich sind. Wann immer wir rasten, üben sie sich im Schwertkampf oder im Bogenschießen, wobei sie auch Hunde und Katzen nicht schonen. Ihre Bärte sind schmutzig, ihre Kleider schäbig, doch ihre Waffen blinken und blitzen.

„Eine bessere Räuberbande“, fand Odo. „Raubeine, aber zuverlässig.“

Den Diener und Schreiber habe ich selbst ausgesucht. Er hört auf den Namen Rouhfaz und sieht auch aus wie einer, der bei der Messe das Weihrauchfass schwenkt. Seinen richtigen Namen hat er mir einmal genannt, doch ich habe ihn vergessen. Rouhfaz ist dünn wie ein Zaunpfahl und trotz seiner noch jungen Jahre (sein genaues Alter kennt er nicht) fast kahl. Er kann leidlich lesen und hat eine sehr schöne Handschrift, jeder Buchstabe ist ein kleines Kunstwerk. Das ist der Grund, weshalb ich mich für ihn entschieden habe. Ich war ihm schon auf meiner Wanderung von Fulda nach Ingelheim begegnet, wo er sich mir unterwegs anschloss. Er hatte als Novize in mehreren Klöstern gelebt, es aber nirgendwo ausgehalten. Vielleicht hatte man ihn auch hinausgeworfen. Er ist nämlich rechthaberisch und zänkisch und man muss sich daran gewöhnen, dass er fast immer eine beleidigte Miene zur Schau trägt. In der Pfalz Ingelheim konnte er nur als Gärtner unterkommen und sie waren dort froh, dass sie ihn wieder loswurden. Immerhin ist er sehr fromm und scheint nicht zu stehlen. Ich komme ganz gut mit ihm aus.