Am Tag unserer Abreise regnete es. Odos Laune entsprach dem Wetter. Das hatte gleich mehrere Gründe. In den vergangenen Tagen hatte er sich vergebens bemüht, seine angebetete Rotrud zu treffen und irgendein Zeichen oder Abschiedswort von ihr zu erhalten. Wo immer sie erscheinen konnte, hatte er gelauert. Aber wenn er sie mal zu Gesicht bekommen hatte, dann stets nur inmitten eines Schwarms von Erziehern, Geistlichen, Hofdamen oder Geschwistern.
„Sie wird bewacht!“, erklärte er finster. „Meinetwegen, das wird nichts nützen. Und wenn der Alte das ganze Heer dazu aufbietet. Ich komme zurück und dann werden wir sehen. Sie wird doch meine Frau!“
Der zweite Grund für Odos Verstimmung war die Himmelsrichtung, in die wir aufbrachen. Eine Gesandtschaft nach der anderen verließ die Pfalz in Richtung Westen – nach Soissons, Paris, Autun, Tours. Nun packte ihn doch wieder der Ärger über die Zurücksetzung und er beneidete diese Glücklichen. Hinzu kam, dass fast alle Gesandtschaften in die westlichen Reichsgebiete glänzender und aufwendiger waren als die unsrige. Da flatterten Fahnen, schimmerten Brünnen, tänzelten rassige Pferde, an deren Geschirr Gold und Silber glänzten. Und an der Spitze von zwanzig, dreißig Mann ritten Grafen und Bischöfe.
Dagegen waren wir ein recht trauriger Haufen. Zwar war Odo außer beim Schuster auch beim Hofschneider gewesen und trug nun neue Stiefel und eine hübsch bestickte Tunika. Doch konnte damit das Gesamtbild, das wir boten, nicht wesentlich verschönert werden. Der Herr Kämmerer hatte, wie schon bemerkt, bei uns geknausert.
Nun, auch wir setzten uns in Bewegung. Odo brüllte herum, damit niemand darüber im Unklaren blieb, wer die Befehlsgewalt hatte. Ich überließ sie ihm gern, obwohl wir ja ranggleich sind. Auch Fulk ertrug alles gleichmütig. Mit stumpfem, glasigem Blick hing er krumm im Sattel, er hatte die Nacht durch nach Kriegerart den Aufbruch in den Kampf gefeiert. Wir drei ritten voran, Odo und Fulk zu Pferde, ich auf meinem flinken Eselshengst Grisel. Dann folgte der von zwei kleinen Fuchsstuten gezogene, hoch beladene Wagen, auf dessen Kutscherbank Rouhfaz hockte. Den Abschluss bildeten die drei „Raubeine“, auch sie zu Pferde.
Ich übergehe die Einzelheiten der Reise. Am ersten Tag kamen wir mit Mühe bis Mainz, weil wir auf der schmalen Straße immer wieder von entgegen kommenden Kaufmannstrecks, die zur Pfalz wollten, aufgehalten wurden. Als es dunkelte, hatten wir gerade den Rand der Vorstadt erreicht. So mussten wir schon zur ersten Übernachtung auf eigene Kosten in einer Herberge absteigen.
Am nächsten Morgen brachen wir zeitig auf, fanden im Hafen eine Fähre und setzten über den Rhein. Auf der alten römischen Heerstraße zogen wir weiter. Wir übernachteten zweimal auf Krongütern und kamen am vierten Tag an einen Ort, dessen Namen ich nicht nennen kann. Ich darf die Namen von Orten und von Personen, mit denen ich bei der Ausübung meines Amtes in Berührung komme, nur in meinen Berichten an den Herrn Pfalzgrafen aufführen. Ich bitte Dich daher um Verständnis, lieber Volbertus, dass alle Orte, von denen die Rede sein wird, anonym bleiben müssen. Dasselbe betrifft die Personen, die aber natürlich Namen bekommen werden, wenn auch erfundene.
Am vierten Reisetag also, vormittags und bei wieder angenehmem Frühlingswetter, gerieten wir an dem oben erwähnten Ort in ein Marktgetümmel, was uns eine Weile aufhielt.
Dieser Aufenthalt sollte Folgen haben.
Während der verschiedenen Unterweisungen, die uns höhere Hofbeamte in den Tagen der Vorbereitung auf unsere Mission erteilt hatten, waren wir auch wiederholt und nachdrücklich dazu verpflichtet worden, unterwegs, wo immer es sich ergab, zu prüfen, ob Gesetze und Bestimmungen eingehalten wurden. Hier wurden wir tätig. Begleitet von Rouhfaz und zwei Männern unseres Trupps ging ich auf diesem Markt mit einer Waage von einem Stand zum anderen, um die Münzgewichte zu überprüfen. Dabei konnte ich einen Händler überführen, der große Warenposten mit Falschgeld bezahlte. Seine Denare hatten nur wenig mehr als die Hälfte des vorgeschriebenen Gewichts. Ich verurteilte ihn an Ort und Stelle, natürlich in Gegenwart der verschämten Marktaufseher, bei denen ich mich vorher ausgewiesen hatte. Da uns Strenge anbefohlen war, musste er fünfzehn Solidi oder 180 Denare zahlen, was dem Gegenwert von fünf Kühen und acht Schweinen entsprach. Er schickte gleich einen seiner Diener zu seinem Teilhaber nach Mainz, damit dieser das Geld herbeischaffte. Vorerst musste er in Haft bleiben. Das alles ging natürlich unter Aufregung und Geschrei vor sich. Der Händler behauptete, selber betrogen worden zu sein, doch hatte er als Zeugen nur Gott und alle Heiligen, die ich (sie mögen es mir verzeihen) natürlich nicht anerkennen konnte. Ich ließ mich überhaupt auf nichts ein und war, offen gesagt, ein wenig stolz darauf, mich auf diesem für mich neuen Gebiet so unerschrocken behauptet zu haben.
Inzwischen hatte sich Odo zum Pferdemarkt begeben. Ich folgte ihm dorthin und fand auch ihn als Mittelpunkt eines Auflaufs. Unterstützt von Fulk, war er gerade dabei, einem prächtigen Grauschimmel, der sich sträubte und ausschlug, das Maul zu öffnen. Als es endlich gelang, starrten vier, fünf Männer hinein und Odo rief triumphierend, er habe es gleich gewusst. Der Hengst sei keine fünf Jahre alt und der Händler habe den Verkäufer geprellt, indem er das Tier für zwei Jahre älter erklärte. Der Händler schwor aber, sich nicht in betrügerischer Absicht geirrt zu haben. Es sei ihm nicht gelungen, der Bestie die Zähne auseinander zu bringen, und so habe er das Alter nach dem äußeren Eindruck schätzen müssen. Gern sei er bereit, den Hengst nebst Sattelzeug für die 360 Denare, die der Verkäufer empfangen habe, zurückzugeben.
„Und ich bitte den edlen Herrn um Verzeihung“, fügte er mit einer Verbeugung hinzu.
Der edle Herr, der Verkäufer des Pferdes, war noch anwesend, er stand zwischen Odo und dem Händler. Es war ein dicker, etwa vierzigjähriger Mann mit eng beieinander stehenden, schlau blickenden Augen, rötlichem Schnurrbart und einem runden Schädel, den nur noch ein Haarkranz umgab. Seine Kleidung war in der Tat die eines Herrn: ledernes Wams, silberbeschlagener Gürtel, weiter, mit einer Fibel am Hals zusammengehaltener Mantel. Er hatte den Beutel mit Geld gerade an seinem Gürtel befestigt und es war ihm sichtlich nicht recht, dass der Handel so viel Aufmerksamkeit erregte.
„Schon gut, du brauchst dich nicht zu entschuldigen“, sagte er mit einer beschwichtigenden Geste. „Ich wusste ja selbst nicht mehr, wie alt das Pferd ist. Deshalb war ich mit dem Preis zufrieden. Es war nicht nötig, dass Ihr Euch einmischtet“, wandte er sich vorwurfsvoll an Odo.
„Es tut mir leid, aber ich konnte nicht ahnen, dass Ihr so wenig auf Euern Vorteil bedacht seid“, sagte Odo. „Hätte ich gewusst, dass Ihr dieses herrliche Pferd verschenken wollt, wäre ich stumm geblieben. Und ich hätte Euch verschwiegen, dass ich selbst Euch 420 Denare zahlen würde.“
„Fünfunddreißig Solidi?“, sagte der Dicke nicht unbeeindruckt.