»Da siehst du mal wieder, wie nützlich es ist, daß wir donnerstags unseren Magen abhärten!« sagte der Onkel zu Konrad und schluckte alles mit Todesverachtung hinunter.
Bei dem Schneckenpüree wäre ihm allerdings fast schlecht geworden.
Konrad unterhielt sich mit Petersilie. Er war traurig. Das Mädchen hatte ihm nämlich erzählt, sie habe keine Zeit mehr. Sie müsse zu der Diamantenwaschfrau Lehmann nach Bau. Denn Papa sei eine Perle aus der Krone gefallen, und die solle durch einen Diamanten ersetzt werden. Konrad sagte, sie möge doch noch ein Weilchen bleiben. Aber Petersilie schüttelte den Kopf, stand auf, gab dem Jungen die Hand, nickte dem Onkel und dem alten
Häuptling zu und hüpfte davon.
»Heul nicht, mein Sohn«, sprach Ringelhuth. »Iß lieber!« Aber Konrad war der Appetit vergangen. Er schluckte die Tränen hinunter und meinte, sie müßten nun auch gehen. Ohne Petersilie mache ihm die ganze Südsee keine Freude. Außerdem würde sonst der Aufsatz nicht mehr fertig.
Dem Onkel war’s recht. Sie verabschiedeten sich von dem Häuptling, bedankten sich für die herzliche Aufnahme und liefen zu dem Zuckerrohrfeld, um Negro Kaballo abzuholen. Der stand neben dem kleinen Schimmel und sagte: »Herrschaften, nichts für ungut, aber ich bleibe hier. Das Zuckerrohr schmeckt fabelhaft. Außerdem will ich das Schimmelfräulein heiraten. Ist sie nicht süß? Ich will endlich meine eigne Häuslichkeit haben. Ich will die Rollschuhe und den Zirkus und alles vergessen, was mich an Europa erinnert. Auch werd ich nie mehr ein Wort sprechen. Ich schwör’s. Sprechen schickt sich nicht für Pferde. Zurück zur Natur!«
»Machen Sie keine Geschichten!« rief der Onkel. »Das ist doch nicht Ihr Ernst?«
Negro Kaballo schwieg.
»Sie können uns doch nicht zu Fuß nach Hause strampeln lassen«, meinte Ringelhuth. »Nun machen Sie doch das Maul auf, Sie vierbeiniger Dickschädel!«
»Er hat ja eben geschworen, nicht mehr zu sprechen«, sagte Konrad. »Und wenn er das Pferdefräulein heiraten will, wollen wir ihn nicht stören. Wir wollen seinem Glück nicht im Wege stehen!«
Das Pferd nickte.
Ringelhuth war aber noch immer wütend. »Ich werde verrückt!« rief er. »Wozu muß dieses Riesenroß heiraten? Ich bin doch auch Junggeselle.«
»Du hast mich zum Neffen, lieber Oheim«, erwiderte Konrad. »Deswegen brauchst du keine eignen Kinder.«
»Passen Sie auf«, sagte der Onkel zu Negro Kaballo. »Sie werden mit Ihrem Schimmelfräulein lauter karierte Fohlen kriegen. Eine Petersilie nach der ändern. Wollen Sie wirklich nicht mitkommen?«
Das Pferd schüttelte den Kopf.
»Na, dann Hals- und Beinbruch«, rief Ringelhuth. »Aber machen Sie mir nicht weis, daß Sie ein Pferd wären! Ein Rindvieh sind Sie. Verstanden?«
Negro Kaballo nickte.
»In Gruppen links schwenkt, marsch!« kommandierte der Onkel, faßte den kleinen Konrad an der Hand und zog mit ihm von dannen.
»Vielen Dank für alles!« rief der Junge.
Negro Kaballo und seine weiße Braut warfen die Köpfe hoch und wieherten zweistimmig.
»Du hast falschen Tritt«, sagte Onkel Ringelhuth zu seinem Neffen. Es war aber gar nicht wahr. Der Onkel wollte nur nicht zeigen, daß ihm der Abschied von dem Rollschuhpferd sehr, sehr leid tat.
Sie marschierten durch den Urwald. Er nahm kein Ende. Wilde Tiere brüllten in der Ferne. Paviane warfen Kokosnüsse auf den Weg. Es war ziemlich lebensgefährlich. Konrad sagte, es sei ein Jammer, daß es in dieser Gegend keine Straßenbahnen gäbe. Schließlich sangen sie: »Das Wandern ist des Müllers Lust.«
Als sie mit dem Lied fertig waren, meinte der Onkel, er fände das Wandern gar nicht lustig.
»Du bist ja auch kein Müller«, erwiderte Konrad. »Sondern ein Apotheker.«
»Stimmt auffallend«, sagte der Onkel, sah auf die Armbanduhr und erschrak. »Menschenskind!« rief er. »Es ist zehn Minuten vor sieben. Wenn wir nicht bald meinem Schrank begegnen, kommst du heute zu spät zum Abendbrot!«
»Wann ich meinen Aufsatz schreiben soll, weiß ich auch nicht«, erklärte der Junge.
»Na, singen wir noch eins«, schlug der Onkel vor. Und jetzt sangen sie: »Horch, was kommt von draußen ‘rein, hollahi, hollaho.«
Dann schaute der Onkel wieder auf die Uhr. »Wenn jetzt nicht sofort ein Wunder geschieht«, sagte er, »können wir getrost hierbleiben und uns einem der benachbarten Stämme als Sonntagsbraten anbieten.«
»Warum soll denn kein Wunder geschehen?« fragte jemand hinter ihrem Rücken.
Sie drehten sich um. Da stand Rabenaas, auch >Die Schnelle Post< genannt, und lächelte.
»Sie waren schon mal so freundlich, uns aus der Patsche zu helfen«, sagte der Onkel. »Könnten Sie wohl meinen ollen Schrank herzaubern, lieber Herr Rabenpost?«
»Rabenaas«, korrigierte der Häuptling. Dann murmelte er:
»Vier mal sechs ist drei mal acht, und null ist null mal hundert.
Die Wunder werden nur vollbracht von dem, der sich nicht wundert.«
Daraufhin klatschte er in die Hände, und schon stand der Schrank da. Mitten im Urwald. Zwischen Palmen und Kakteen.
»Vielen Dank!« rief Konrad. Aber Rabenaas, auch >Die Schnelle Post< genannt, war bereits verschwunden.
»Ein unheimlicher Kerl«, sagte der Onkel. »Aber sehr liebenswürdig. Das muß ihm der Neid lassen.« Dann schob er den Jungen in die offene Rückseite des Schranks und kletterte hinterher. Und als sie vorn zum Schrank herausstiegen, landeten sie wahrhaftig in Ringelhuths Korridor! Auf der Johann-Mayer-Straße!
Konrad machte Licht, weil es schon ein bißchen dunkel war und weil er hoffte, er könne in der Nähe des Schranks noch ein paar Zentimeter echten Urwald entdecken.
Er sah aber nur Wände und Tapeten.
Der Onkel band sich den Lendenschurz ab und hängte ihn und den Spazierstock in den alten Schrank. Dann sagte er: »So, du Strolch, nun scher dich nach Hause! Grüß die Eltern. Und richte aus, ich käme nach dem Abendbrot auf ‘nen Sprung vorbei. Dein Vater soll ein paar Flaschen Bier kaltstellen.«
Der Junge griff nach der Schulmappe, sagte, es sei wunderbar gewesen, gab dem Onkel blitzartig einen Kuß auf die Backe und rannte davon.
»Na, na«, knurrte der Onkel. »Gibt mir der Flegel einen Kuß! Das schickt sich doch gar nicht für Männer.« Dann sah er zum Fenster hinaus. Konrad schoß gerade aus der Haustür und blickte hoch. Sie winkten einander zu.
Anschließend brachte Ringelhuth die Wohnung in Ordnung. Denn das Federbett lag noch vorm Bücherschrank. Und die leergegessenen Teller standen noch auf dem Tisch.
Als er aufgeräumt hatte, ging er auf den Korridor hinaus, öffnete noch einmal den Schrank und blickte neugierig hinein. Er schüttelte den Kopf. Die Rückseite war nicht mehr offen! Eine richtige Schrankwand war davor. Und der Lendenschurz war verschwunden.
»So, und jetzt raucht der weitgereiste Apotheker Ringelhuth eine dicke Zigarre«, sprach der Onkel zu sich selber und spazierte pfeifend in die Stube.
Der Onkel liest, was er erlebt hat
Als Ringelhuth zu Konrads Eltern kam, hatten sie den Jungen schon zu Bett geschickt.
»Was habt ihr denn heute wieder angestellt?« fragte Konrads Mutter (also die Frau von Onkel Ringelhuths Bruder).
»Hat er nichts erzählt?« fragte der Onkel obenhin.
»Keinen Ton«, sagte Konrads Vater. »Der Junge tut, als seien eure Donnerstage das Geheimnisvollste, was es gibt.«
»Sind sie auch«, entgegnete Ringelhuth. »Übrigens, krieg ich nun ein Glas Bier oder krieg ich keins?«
Konrads Mutter schenkte ihm ein und fragte, während er das Glas auf einen Hieb leertrank: »Was für Dummheiten habt ihr heute gemacht?«
»Ach«, sagte der Onkel, »heute ging’s sehr lebhaft zu. Auf der Glacisstraße fragte ein Pferd, ob wir Zucker bei uns hätten. Wir hatten aber keinen. Wer denkt denn auch an so was? Na, und dann kam es in meine Wohnung. Anschließend waren wir beim dicken Seidelbast. Der ging früher in Konrads Klasse. Kennt ihr ihn? Nein? Jetzt ist er