»Sie haben aber vier Beine«, entgegnete Konrad.
»Laßt doch den Quatsch«, sagte Ringelhuth aufgebracht. »Die Elektrizität hat überhaupt keine Beine und läuft noch viel rascher als ein Pferd. Im übrigen, wenn jemand läuft, um gesund zu bleiben, kann ich das verstehen. Wenn er aber wie angestochen durch die Gegend rast, um eine Zehntelsekunde weniger zu brauchen als wer anders, so ist das kompletter Blödsinn. Denn davon bleibt er nicht
gesund, sondern davon wird er krank.«
Sie gingen die Straßen entlang, an kleinen burgähnlichen Villen vorbei, und grüßten die Könige, Ritter und Generäle, die, in Hemdsärmeln, zu den Fenstern herausschauten und Pfeife rauchten oder in den hübschen gepflegten Vorgärten standen, goldene Gießkannen hielten und ihre Blumenbeete begossen.
Aus einem der Gärten hörten sie Streit, konnten aber niemanden entdecken. Deshalb traten sie näher und guckten über den Zaun. Da lagen zwei ernste, mit schweren Rüstungen versehene Herren im Gras und spielten mit Zinnsoldaten.
»Das könnte Ihnen passen, mein lieber Hannibal!« rief der eine. »Nein, nein! Der Rosenstrauch ist, wie Sie endlich anerkennen sollten, von meinen Landsknechten einwandfrei erstürmt worden.«
»Lieber Herr Wallenstein«, sagte der andere, vor Ärger blaß, »ich denke ja gar nicht dran! Ich werde ganz einfach mit meiner Reiterei Ihren linken Flügel umgehen und Ihnen in den Rücken fallen.«
»Versuchen Sie’s nur!« Wallenstein, Herzog von Friedland, lächelte höhnisch. »Die Attacke wird Ihrer
Kavallerie nicht gut bekommen. Ich ziehe die Reserven, die dort neben dem Resedabeet stehen, nach links und beschieße sie aus der Flanke!«
Nun hoben und schoben sie ihre buntbemalten Zinnsoldaten hin und her. Der Kampf um den Rosenstrauch war in vollem Gange. Hannibal führte seine Reiterei in den Rücken der Kaiserlichen und bedrängte sie arg. Aber Wallenstein bombardierte die Reiterregimenter aus einer
niedlichen Kanone mit Erbsen, und da fielen die Reiter scharenweise um.
Hannibal war wütend. Er holte aus einer Schachtel, die neben ihm stand, neue Reserven hervor und verstärkte die durch Verluste gefährdete Vorhut.
Doch Wallenstein knallte eine Erbse nach der anderen gegen die afrikanischen Truppen. Hannibals Soldaten starben en gros, sogar die gefürchteten Elefantenreiter sanken ins Gras, und die Schlacht um den Rosenstrauch war so gut wie entschieden.
»He, Sie!« brüllte Konrad über den Zaun. »Verlegen Sie doch gefälligst Ihre Front nach rückwärts! Greifen Sie später wieder an! Durchstoßen Sie dann die feindliche
Mitte, denn die ist besonders schwach!«
Hannibal und Wallenstein unterbrachen den Kampf vorübergehend und blickten zu den Zaungästen hinüber. Der karthagische Feldherr schüttelte das kühne Haupt und sprach gemessen:
»Ich gehe nicht zurück. Ich weiche nicht. Und wenn es mich die letzten Soldaten kosten sollte!«
»Na, hören Sie mal«, entgegnete Konrad. »Dafür ist Ihre Armee doch zu schade!«
Jetzt mischte sich Wallenstein ein. »Du bist ein dummer Junge«, erklärte er. »Es kommt nicht darauf an, wieviel Soldaten fallen, sondern darauf, daß man Reserven hat.«
»Ihr seid mir ja zwei Herzchen«, sagte Ringelhuth zu
den Feldherren. »Euch und euresgleichen sollte man überhaupt nur mit Zinnsoldaten Krieg führen lassen!«
»Scheren Sie sich zum Kuckuck!« rief Hannibal aufgebracht. »Wer keinen Ehrgeiz hat, kann hier gar nicht mitreden! Was sind Sie denn von Beruf?«
»Apotheker«, sagte der Onkel.
»Da haben wir’s«, meinte Hannibal und lachte geringschätzig. »Natürlich ein Sanitäter!« Dann wandte er sich wieder Wallenstein zu. »Herzog«, erklärte er, »die
Schlacht geht weiter!«
Und sie fuhren fort, den Rosenstrauch heiß zu umkämpfen. »Bis aufs Messer!« knirschte Hannibal.
»Ergeben Sie sich!« rief Wallenstein. Er hatte mittlerweile die feindlichen Truppen umzingelt und kartätschte sie mit Hilfe von Erbsen in Grund und Boden.
»Erst wenn mein letzter Soldat tot im Gras liegt, früher nicht!« schwor Hannibal. Aber da mußte er niesen. Er blickte besorgt hoch und meinte: »Na schön, hören wir auf. Das Gras ist noch zu feucht. Ich möchte mich nicht erkälten. Wann geben Sie mir Gelegenheit zum Revanchekrieg?«
»Sobald Ihr Schnupfen vorüber ist, lieber Freund«, sagte Wallenstein. »Mit Erkältungen ist nicht zu spaßen.«
Die Feldherren erhoben sich aus dem Gras, vertraten sich ächzend die steifen Beine, ließen ihre erschossenen Truppen am Rosenstrauch liegen und stelzten der Villa zu.
»Ein Jahr vor meiner Ermordung in Eger«, berichtete Wallenstein, »hatte ich einen abscheulichen Schnupfen. Lieber will ich drei Schlachten verlieren als noch einmal so niesen wie damals!«
Damit verschwanden sie im Haus.
»Nehmen Sie eine Aspirintablette!« rief der Onkel »Und trinken Sie eine Tasse Lindenblütentee! Dann können Sie schon morgen wieder in den Krieg ziehen!« Aber Hannibal hörte es nicht mehr.
»Na, hauen wir ab«, sagte das Pferd. »Ich habe die Nüstern voll von diesen Helden.«
Der Onkel und Konrad kletterten wieder auf ihr Roß und rollten der Grenze entgegen. »Ein wahrer Jammer«, meinte Ringelhuth. »Denken Sie nur, Negro Kaballo, mein Neffe spielt zu Hause auch mit Zinnsoldaten!«
»Wieso?« fragte das Pferd. »Willst du später einmal General werden?«
»Nein«, erwiderte der Junge.
»Oder einer von den Zinnsoldaten, die sich morgen unter dem Rosenstrauch totschießen lassen?«
»Ich denke ja gar nicht dran«, erklärte Konrad energisch. »Ich werde Schofför.«
»Und warum spielst du trotzdem mit Soldaten?« fragte das Pferd.
Konrad schwieg. Onkel Ringelhuth aber sagte: »Warum? Weil ihm sein Vater welche geschenkt hat.«
Da waren sie aber an der Grenze. Eine Zugbrücke
rasselte herunter. Sie sausten drüber hin und hatten die Große Vergangenheit im Rücken.
Die verkehrte Welt ist noch nicht die verkehrteste
Hinter der Burg, die sie verlassen hatten, lag ein Spielzeugwald. Der war nach den kriegerischen Erlebnissen mit Hannibal und Wallenstein geradezu eine Erholung. Auf einer von der Sonne beschienenen Lichtung weidete ein Rudel Schaukelpferde. Und in einem blauen Bach schwammen niedliche Segelboote vor sich hin. Die Bäume hingen voller Luftballons. Das Gestrüpp am Bach war aus Stielbonbons. Auf einem Ast saßen zwei Papageien, blätterten in einem Bilderbuch und lachten plötzlich derartig, daß ihnen das Bilderbuch vom Baum fiel.
Konrad wollte vom Pferd, um das Buch aufzuheben. Aber Onkel Ringelhuth hielt ihn fest und gab ihm einen Klaps. »Hiergeblieben!« befahl er. »Wir müssen nach der Südsee!« Und so galoppierten sie unaufhaltsam weiter. Das Pferd behauptete, seine Kugellager seien heißgelaufen. Das war aber übertrieben.
Den Straßengraben entlang ratterten Kindereisenbahnen. Manchmal schnappte eine Weiche. Dann pfiffen die Lokomotiven, und die Züge fuhren in den Wald hinein, über dem die Luftballons wogten. Vor einem Haus aus Stanniolpapier saßen fünf schottische Terrier, schwiegen und rauchten dicke Schokoladenzigarren.
»Laß mich runter!« schrie Konrad. »Ich muß die Hunde streicheln!«
Aber Ringelhuth sagte: »Nimm mal den Stock!«
Und als der Junge das tat, hielt der Onkel ihm mit beiden Händen die Augen zu, damit er nichts mehr sehen konnte.
»Los, Kaballo!« rief Ringelhuth, und nun fegten sie wie die wilde Jagd über die Spielzeugheide.
»So«, sagte der Onkel endlich, »nun darfst du wieder gucken.«
Das Pferd lief Trab. Konrad sah sich um. Die Spielzeugheide war zu Ende. Die Luftballonwipfel leuchteten von ferne. Große bunte Papierdrachen flogen drüber hin.
»Schade«, murmelte Konrad.
Da bremste das Pferd, stand still und sagte: »Alles aussteigen!«