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»Heule nicht!« sagte Konrad. »Als du hungrig warst, hat sie auch nicht geheult.«

Babette schneuzte sich laut. »Das ist schon richtig«, meinte sie. »Aber sie tut mir trotzdem sehr leid. Hoffentlich ist die Kur wenigstens nicht vergeblich.« Dann versuchte sie zu lächeln. »Im allgemeinen haben wir Erfolg über Erfolg.«

»Das freut mich aufrichtig«, sagte das Pferd. »Nun wollen wir aber endlich Onkel Ringelhuth aus eurer Heilanstalt rausholen. Sonst wird er womöglich noch netter, als er schon ist.«

»Das wäre gar nicht zum Aushalten«, meinte Konrad. Dann liefen sie geschwind ins Zimmer 28. Dort ging es reichlich seltsam zu. Auf den Schulbänken saßen lauter Erwachsene. Sie hatten Kinderkleider an, und manche Leute sahen direkt feuergefährlich aus, besonders die dicken. Vorne, hinter dem Katheder, saß ein ernster blasser Junge. Das war der Lehrer, und als Babette mit Konrad und dem Pferd ins Zimmer kam, rief er: »Aufstehen!«

Die Erwachsenen standen auf. Nur ein furchtbar dicker

Mann blieb in der Bank stecken. Der Junge, welcher der Lehrer war, gab Babette und ihren Begleitern die Hand und sagte: »Guten Tag, Fräulein Ministerialrat.«

»Tag, Jakob, ist vorhin ein Neuer gebracht worden?« »Ja«, sagte der Lehrer, »für böse halte ich ihn nicht, aber er scheint ein bißchen dämlich zu sein. Er lacht dauernd. Kommen Sie her, Ringelhuth!«

Da kam nun also der Onkel Ringelhuth aus der hintersten Bank spaziert. Und das Pferd brüllte vor Lachen, als es ihn erblickte. Denn er trug kurze Hosen und eine Matrosenjacke und Wadenstrümpfe. Und auf dem Kopf saß ihm eine Matrosenmütze mit langen Bändern. Und auf der Mütze stand:

» Torpedobootzerstörer Niederbayern.«

»Du gerechter Strohsack«, rief Konrad und hielt sich an Babette fest.

»Ich gefalle euch wohl nicht?« fragte der Onkel gekränkt.

Babette klärte den Lehrer über das Mißverständnis auf, und dann wurde ein Schüler, ein gewisser Justizrat Bollensänger, weggeschickt, um Ringelhuths Anzug und den Spazierstock im Büro zu holen. Inzwischen nahm der Unterricht seinen Fortgang. Babette, Konrad, der Onkel

und das Pferd standen an der Tür und hörten zu.

»Fleischermeister Sauertopf!« rief Jakob. »Stehen Sie auf! Sie schlagen Ihre Kinder dauernd auf den Hinterkopf, stimmt das?«

»Jawohl«, sagte der Fleischermeister Sauertopf. »Das sind nämlich meine höchstpersönlichen Kinder, und es geht kein Aas was an, wohin und wieso ich sie dresche. Verstanden?«

»Der eine Junge ist krank geworden. Und unser Schularzt behauptet, Willi würde zeitlebens unter den Folgen der Prügel zu leiden haben, die er bekam, weil er einen Groschen verloren hatte.«

»Euer Arzt soll herkomm en und sich bei mir ‘n paar Backpfeifen abholen!« brüllte der Fleischermeister. »Ich härte die Kinder ab!«

»Ja«, sagte Jakob, »da werden wir Sie leider auch abhärten müssen. Wir tun es nicht gern. Aber wir werden Ihnen die unmenschlichen Prügel so lange heimzahlen, bis Sie merken, was Sie angerichtet haben.« Er drückte auf eine Klingel. Da kamen vier große starke Burschen ins Klassenzimmer, packten den Fleischer und schleppten ihn zur Tür. »Auf den Hinterkopf!« erklärte Jakob, und die

vier nickten im Chor.

»Davon wird er doch nicht vernünftig«, meinte der Onkel.

»Leider nur davon«, sagte Babette. »Ich kenne diese Kerle. Glücklicherweise sind sie nicht allzu zahlreich.«

Der Fleischermeister Sauertopf wurde abgeführt. Er wirkte in seinem Konfirmandenanzug, der ihm zu knapp war, recht kläglich und schien sich zu wundern.

»Frau Ottilie Überbein!« rief Jakob.

Und es erhob sich eine dünne Dame. Sie trug ein kurzes Hängerkleidchen und fingerte dauernd an ihrer Frisur herum.

Jakob sagte: »Sie zwingen Ihre Tochter Paula zum Lügen. Das Kind muß auf Ihren Befehl den Vater und die Großeltern beschwindeln, weil niemand wissen darf, was Sie mit dem Wirtschaftsgeld machen und daß Sie gar nicht mit Paula Spazierengehen, sondern das Kind stundenlang allein in der Konditorei Ritter sitzen lassen und im Bridge­Klub Geld verspielen.«

»Das geht euch doch gar nichts an! Ich kann doch tun, was ich will«, behauptete Frau Überbein schnippisch.

»Daß Sie selber lügen, ist Ihre Sache«, sagte Jakob. »Daß

Sie aber die kleine Paula zum Lügen anhalten, geht uns sogar sehr viel an. Wir dulden das nicht länger. Paula schläft keine Nacht mehr, macht sich Gewissensbisse und kriegt Weinkrämpfe, wenn sie den Vater wieder hat anlügen müssen.«

»Du übertreibst, mein Kleiner«, sagte Frau Ottilie Überbein.

»Ich übertreibe ganz und gar nicht«, rief Jakob aufgebracht. »Das Kind weiß nicht mehr aus und ein. Wer weiß, was da noch passieren kann! Lassen Sie gefälligst Ihre blöde Frisur in Ruhe, wenn ich mit Ihnen rede! Sie bleiben noch eine Woche hier. Sollten Sie bis dahin noch immer nicht wissen, wie Sie sich Ihrer Tochter gegenüber zu benehmen haben, werden wir Gegenmaßnahmen ergreifen!«

»Da bin ich aber äußerst gespannt«, sagte Frau Überbein spitz.

»Wenn Sie künftig Paula zu einer Lüge zwingen, wird Ihr Mann durch uns die Wahrheit erfahren!« rief Jakob.

»Bloß nicht«, sagte die Überbein und sank vor Schreck auf ihren Sitz.

»Morgen mehr davon«, meinte Jakob. »Und jetzt Herr

Direktor Hobohm!«

Aber da kam Justizrat Bollensänger zurück und brachte Onkel Ringelhuths Anzug. Und auch den Spazierstock. Der Onkel kleidete sich rasch um, wirbelte den Stock unternehmungslustig durch die Luft und rief: »Auf nach der Südsee!«

»Das hätte ich ja beinahe vergessen«, erklärte Konrad erschrocken und gab Babette die Hand. »Es war außerordentlich lehrreich«, sagte er. »Ich wünsche dir alles Gute. Ich meine, wegen deiner Mutter.«

»Auf Wiedersehen, Fräulein Ministerialrat«, sagte das Pferd.

Der Onkel war schon auf dem Korridor.

»Immer geradeaus!« rief Babette.

»Gleichfalls!« meinte Konrad zerstreut. Und dann rannte er hinter den ändern her.

Vorsicht, Hochspannung!

Am Ausgang der Verkehrten Welt trafen sie auf eine Untergrundbahnstation. Sie stiegen treppab, sahen einen Zug stehn und setzten sich hinein.

»Eine komische Untergrundbahn«, sagte Konrad. »Hier gibt’s keine Schaffner, hier gibt’s keinen Zugführer. Ich bin neugierig, wo die Fuhre hingeht.«

»Wir werden’s ja erleben«, entgegnete der Onkel. Da aber ruckte der Zug an, setzte sich in Bewegung und sauste, eine Sekunde später, wie ein geölter Blitz in einen betonierten Stollen hinein. Ringelhuth fiel von der Bank und sagte: »Vielleicht werden wir’s auch nicht erleben. Lieber Neffe, falls mir etwas Menschliches zustößt, vergiß über dem Schmerz um mich nicht, daß du meine Apotheke erbst.«

»Und falls du mich überlebst, lieber Onkel«, sagte der Junge, »so gehören dir meine Schulbücher und der Zirkelkasten.«

»Heißen Dank«, erwiderte der Onkel. Und dann schüttelten sich die beiden ergriffen die Hände.

»Wir wollen nicht weich werden«, meinte das Pferd und

blickte aus dem Fenster.

Die Untergrundbahn schoß wie eine Rakete durch den Tunnel. Die Schienen jammerten. Und der Zug zitterte, als hätte er vor sich selber Angst.

Onkel Ringelhuth setzte sich wieder auf die Bank und sagte verzweifelt:

»Wenn mir jetzt was passiert, ist’s mit dem Nachtdienst in der Apotheke Essig.« Doch da fiel er schon wieder von der Bank. Denn die Bahn hielt, als hätte man einen Eisberg gerammt.