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Doch hatte der König nicht von Überfällen gesprochen, von unendlichen Wüsten, von Menschen, die ihre Träume kennen, aber nicht verwirklichen wollen. Der König hatte auch nicht gesagt, daß die Pyramiden nur alte Steinhaufen seien und jeder sie in seinem Garten errichten könne. Und ebenfalls hatte er zu erwähnen vergessen, daß man, wenn man genügend Geld besaß, um eine größere Schafherde zu kaufen, es auch tun sollte. Der Jüngling nahm den Rucksack und tat ihn zu den anderen Beuteln. Er stieg die Treppe hinunter; der Händler bediente gerade ein ausländisches Paar, während zwei weitere Kunden durch den Laden schlenderten und Tee aus Kristallgläsern tranken. Für diese frühe Stunde war allerhand los. Von dem Platz aus, wo er sich jetzt befand, fiel ihm erstmals auf, daß das Haar des Händlers sehr an das Haar des alten Königs erinnerte.

Nun entsann er sich des Lächelns jenes Süßwarenhändlers an seinem ersten Tag, als er nicht wußte, wohin, und nichts zu essen hatte; auch sein Lächeln hatte dem des alten Königs geglichen.

›Als ob er hier gewesen wäre, um seine Spur zu hinterlassen, überlegte er.›Als ob jeder Mensch irgendwann in seinem Leben eine Begegnung mit diesem König hätte. Immerhin sagte er doch, daß er immer demjenigen erscheine, der seinem persönlichen Lebensweg folgt.‹

Er ging, ohne sich von dem Kristallwarenhändler zu verabschieden. Denn er wollte nicht weinen, damit die Leute seinen Schmerz nicht sehen könnten. Aber sicherlich würde er diese Zeit und all die Dinge, die er gelernt hatte, in guter Erinnerung behalten. Nun besaß er mehr Selbstvertrauen und wollte die Welt erobern.

›Dennoch kehre ich zu der Gegend zurück, die ich bereits kenne, um wieder Schafe zu weiden.‹Und dieser Gedanke gefiel ihm plötzlich gar nicht mehr. Er hatte ein ganzes Jahr lang gearbeitet, um sich diesen Traum zu erfüllen, doch nun verblaßte dieser von Minute zu Minute. Vielleicht war es ja gar nicht sein Wunschtraum.

›Wer weiß, ob es nicht besser ist, wie der Händler zu sein: niemals nach Mekka zu gehen, aber immer davon zu träumen.‹Er hielt Urim und Thummim in der Hand, und diese Steine vermittelten ihm die Willenskraft des alten Königs.

Durch einen Zufall - oder ein Zeichen - kam er zu der Bar, die er an seinem ersten Tag aufgesucht hatte. Der Dieb war nirgends zu sehen, und der Inhaber servierte ihm eine Tasse Tee.

›Hirte kann ich jederzeit wieder sein‹, überlegte der Jüngling.›Ich habe gelernt, Schafe zu hüten, und das kann ich nicht mehr verlernen. Aber vielleicht habe ich keine andere Gelegenheit mehr, zu den Pyramiden von Ägypten zu gelangen.

Der Alte hatte einen Brustpanzer aus purem Gold gehabt, und er kannte meine Geschichte. Also war er ein wahrhaftiger König, ein weiser König.‹

Nur zwei Schiffsstunden trennten ihn von den Weiden Andalusiens, aber eine riesige Wüste lag zwischen ihm und den Pyramiden. Der Jüngling bemerkte, daß er diesen Gedanken auch andersherum betrachten könne; denn in Wirklichkeit befand er sich ja um zwei Stunden näher bei seinem Schatz.

Auch wenn er beinahe ein Jahr gebraucht hatte, um diese Wegstrecke zurückzulegen.

›Ich kann mir denken, warum es mich zu meinen Schafen zieht. Weil ich sie schon kenne; sie machen wenig Arbeit, und man schließt sie ins Herz. Ob man die Wüste auch lieben kann, weiß ich nicht, aber sie ist es, die meinen Schatz birgt. Wenn ich ihn nicht finden sollte, kann ich immer noch heimkehren. Wo mir das Leben nun einmal genug Geld gegeben hat und ich alle Zeit habe, die ich brauche; warum es nicht versuchen?‹Jetzt verspürte er eine überwältigende Freude. Schafhirte konnte er immer wieder sein. Kristallglasverkäufer konnte er auch immer wieder sein.

Vielleicht barg die Welt noch viele andere Schätze, aber er hatte einen wiederkehrenden Traum gehabt, und ihm war ein König erschienen. Das passierte schließlich nicht jedermann.

Beim Verlassen der Bar war er sehr glücklich. Ihm war eingefallen, daß einer der Zulieferer des Händlers die Kristallwaren mit Karawanen brachte, die die Wüste durchquerten. Er behielt Urim und Thummim fest in der Hand; wegen dieser beiden Steine war er zurückgekehrt auf den Weg zu seinem Schatz.

»Ich bin immer denen nahe, die ihrem persönlichen Lebensweg folgen«, hatte der Alte gesagt. Es kostete also nichts, sich im Lagerhaus zu erkundigen, ob die Pyramiden tatsächlich so weit entfernt lagen.

6

Der Engländer saß in einem Gebäude, das nach Tieren, Schweiß und Staub roch. Man konnte es kaum als Lagerhaus bezeichnen; es glich eher einem Stall.›Ein Leben lang habe ich studiert, um an solch einem Ort zu enden, dachte er, während er zerstreut in einer Chemiezeitschrift blätterte,›zehn Jahre Studium für einen Viehstall!‹Aber er mußte vorwärts denken. Er mußte an Zeichen glauben. Sein ganzes Leben, sein ganzes Studium war auf die Kenntnis der einen Sprache ausgerichtet, die das Universum spricht. Zuerst hatte er sich für Esperanto interessiert, danach für Religionen und schließlich für die Alchimie. Inzwischen konnte er Esperanto sprechen, er verstand auch die verschiedenen Religionen, aber er war immer noch kein Alchimist. Sicherlich hatte er wichtige Dinge zu entschlüsseln gelernt. Aber seine Nachforschungen hatten einen Punkt erreicht, wo er keine Fortschritte mehr machte. Vergeblich hatte er versucht, mit dem einen oder anderen Alchimisten in Kontakt zu treten, aber das waren merkwürdige Personen, die nur an sich selber dachten und fast immer jede Hilfe verweigerten. Wer weiß, vielleicht hatten sie den Stein der Weisen entdeckt und hüllten sich deshalb in Schweigen.

Einen Teil seines Vermögens, welches ihm sein Vater hinterlassen hatte, hatte er bereits bei der Suche nach dem Stein der Weisen verbraucht. Für diesen Zweck hatte er die besten Bibliotheken der Welt aufgesucht und die wichtigsten und seltensten Werke über Alchimie gekauft. In einem davon stand zu lesen, daß vor vielen Jahren ein berühmter arabischer Alchimist Europa einen Besuch abgestattet habe. Er war angeblich über zweihundert Jahre alt und hatte den Stein der Weisen sowie das Elixier des langen Lebens entdeckt. Diese Geschichte beeindruckte den Engländer. Aber er hätte sie als eine weitere Legende abgetan, wenn nicht zufällig ein Bekannter von ihm, der von einer archäologischen Wüstenexpedition zurückgekehrt war, von einem alten Araber berichtet hätte, der außergewöhnliche Kräfte besaß.

»Er wohnt in der El-Fayum-Oase«, sagte der Bekannte. »Und man erzählt sich, daß er zweihundert Jahre alt sei und jedes Metall in Gold verwandeln könne.«

Der Engländer war außer sich vor freudiger Erregung. Sofort machte er sich von allen seinen Verpflichtungen frei, suchte die wichtigsten Bücher heraus und gelangte schließlich hierher, in diesen Schuppen, der einem Stall glich, während sich dort draußen eine riesige Karawane zur Sahara- Durchquerung rüstete. Die Karawane würde durch El-Fayum kommen.

›Ich muß diesen verfluchten Alchimisten unbedingt kennenlernen‹, dachte der Engländer. Und die Ausdünstung der Tiere erschien ihm schon etwas erträglicher.

Ein junger Araber, beladen mit Gepäck, kam herein und begrüßte den Engländer. »Wohin gehst du?« fragte ihn der Jüngling.

»In die Wüste«, antwortete der Engländer kurz und widmete sich weiter seiner Lektüre. Er hatte keine Lust zum Reden.

Schließlich mußte er alles wiederholen, was er im Lauf der zehn Jahre gelernt hatte, denn der Alchimist würde ihn sicherlich einer Art Prüfung unterziehen.

Der junge Araber nahm ein Buch heraus und begann ebenfalls zu lesen. Das Buch war auf spanisch geschrieben.

›Gott sei Dank‹, dachte der Engländer, denn er konnte wesentlich besser Spanisch als Arabisch sprechen, und wenn der Jüngling auch bis El-Fayum