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In einer jener Nächte konnte der Engländer nicht einschlafen.

Er rief den Jüngling, und sie gingen durch die Dünen, die sich um das Lager herum erstreckten, spazieren. Es war eine Vollmondnacht, und der Jüngling erzählte dem Engländer seine ganze Geschichte.

Der Engländer war fasziniert von dem Kristallwarengeschäft, das solche Fortschritte gemacht hatte, als der Jüngling dort zu arbeiten begann.

»Das ist das Prinzip, was allem zugrunde liegt«, sagte er.

»In der Alchimie nennt man es die Weltenseele. Wenn du dir etwas aus tiefstem Herzen wünschst, dann bist du der Weltenseele näher. Sie ist immer eine positive Kraft.«

Er sagte noch, daß dies nicht nur eine Eigenschaft des Menschen sei: Alles auf Erden besitzt eine Seele, egal, ob es sich um ein Mineral, eine Pflanze oder ein Tier handelt oder lediglich um einen Gedanken.

»Alles, was auf Erden existiert, verändert sich ständig, weil die Welt lebt und eine Seele besitzt. Wir sind Teil dieser Seele, und selten wird uns bewußt, daß sie einen unser Tun begünstigenden Einfluß hat. Aber du

solltest wissen, daß in jenem Laden sogar die einzelnen Kristallgefäße zu deinem Erfolg beitrugen.«

Der Jüngling betrachtete schweigend den Mond und den weißen Sand. Endlich sagte er: »Ich habe die Karawane auf ihrem Marsch durch die Wüste beobachtet. Sie und die Wüste sprechen dieselbe Sprache, und darum darf sie diese auch durchqueren. Die Karawane überlegt sich jeden Schritt, um auch ja mit der Wüste im Einklang zu sein, und wenn sie es ist, dann wird sie auch die Oase erreichen. Wenn einer von uns hierherkäme, mit sehr viel Mut, jedoch ohne diese Sprache zu beherrschen, dann würde er schon am ersten Tag sterben.«

Beide betrachteten sie gemeinsam den Mond.

»Das ist die Magie der Zeichen«, fuhr der Jüngling fort. »Ich konnte beobachten, wie die Führer die Zeichen der Wüste erkennen und wie die Seele der Karawane sich mit der Seele der Wüste verständigt.«

Nach einer Pause war es der Engländer, der sagte: »Ich muß der Karawane mehr Aufmerksamkeit schenken.«

»Und ich sollte deine Bücher lesen«, meinte daraufhin der Jüngling.

11

Es waren sehr merkwürdige Bücher. Sie sprachen von Quecksilber, Salz, Drachen und Königen, doch er verstand nichts. Immerhin gab es einen Leitfaden, der sich durch fast alle Bücher zog: Alle Dinge sind Offenbarungen des einen großen Ganzen. In einem der Bücher entdeckte er, daß der wichtigste Text der Alchimie sich auf ein paar Zeilen beschränkte, die auf einer Samaragdtafel aufgezeichnet waren.

»Es handelt sich dabei um die Tabula smaragdina«, sagte der Engländer, stolz, dem Jüngling etwas beibringen zu können.

»Wozu dann all diese Bücher?«

»Um diese Zeilen zu deuten«, meinte der Engländer, nicht sehr überzeugt.

Das Buch, welches den Jüngling am meisten interessierte, erzählte die Geschichte der bekanntesten Alchimisten. Es waren Männer, die ihr ganzes Leben dem Reinigen von Metallen in Laboratorien gewidmet hatten; sie glaubten, daß, wenn man ein Metall während vieler Jahre erhitzte, es seine ursprünglichen Eigenschaften verlieren würde, und daß an deren Statt nur die Weltenseele zurückbliebe. Dieses eine Ganze sollte es den Alchimisten ermöglichen, alles auf der Erde zu verstehen, weil es die Sprache war, die alle Dinge miteinander verband. Sie nannten diese

Entdeckung das Große Werk, das aus einem flüssigen und einem festen Anteil bestand.

»Genügt es denn nicht, die Menschen und die Zeichen zu beobachten, um diese Sprache zu entdecken?« fragte der Jüngling.

»Du hast eine Art, alles zu vereinfachen«, meinte der Engländer gereizt. »Die Alchimie ist eine ernste Angelegenheit.

Es ist erforderlich, daß jeder Schritt genau nach den Anweisungen der Meister ausgeführt wird.«

Der Jüngling erfuhr, daß der flüssige Anteil des Großen Werkes sich Elixier des langen Lebens nannte, welches alle Krankheiten heilte und dem Alchimisten das Altern ersparte.

Der feste Anteil nannte sich Stein der Weisen. »Es ist nicht einfach, den Stein der Weisen zu entdecken«, sagte der Engländer. »Die Alchimisten verharrten viele Jahre in den Laboratorien und schauten der Flamme zu, die die Metalle reinigte. Sie sahen so lange in die Flamme, bis nach und nach alle Eitelkeiten dieser Welt von ihnen abfielen. Dann stellten sie eines Tages fest, daß die Reinigung der Metalle auch sie selber gereinigt hatte.«

Da mußte der Jüngling an den Kristallwarenhändler denken.

Jener hatte es für gut befunden, daß die Gefäße gereinigt würden, damit sie beide sich von schlechten Gedanken befreien konnten. Nun war er immer mehr davon überzeugt, daß die Alchimie auch im täglichen Leben erlernbar sei.

»Außerdem«, so fuhr der Engländer fort, »besitzt der Stein der Weisen eine faszinierende Eigenschaft. Es genügt ein kleiner Splitter davon, um große Mengen Metall in Gold umzuwandeln.«

Als er dies hörte, interessierte sich der Jüngling nun wieder stärker für die Alchimie. Er dachte, mit ein bißchen Geduld könne er alles in Gold verwandeln. Er las das Leben einiger Personen nach, die es erreicht hatten: Helvetius, Elias, Fulcanelli, Geber. Es waren faszinierende Geschichten: Alle waren sie ihren persönlichen Lebensweg bis zu Ende gegangen.

Sie reisten, trafen sich mit Weisen, vollbrachten Wunder vor den Ungläubigen, besaßen den Stein der Weisen und das Elixier des langen Lebens.

Aber wenn er erfahren wollte, auf welche Weise er dieses Große Werk selbst erreichen könnte, war er völlig verloren. Es gab nur Zeichnungen, verschlüsselte Instruktionen, undurchsichtige Texte.

12

»Warum ist das alles so schwierig geschrieben?« fragte er den Engländer eines Abends. Er hatte bemerkt, daß der Engländer ziemlich gereizt war und seine Bücher vermißte.

»Damit nur diejenigen, die sich ernsthaft damit auseinandersetzen, es verstehen können«, antwortete er. »Denk bloß, wenn jeder Blei in Gold verwandeln könnte, dann wäre das Gold bald nichts mehr wert. Nur die Ausdauernden, nur diejenigen, die viel nachforschen, vollenden das Große Werk.

Darum befinde ich mich ja hier mitten in der Wüste. Um einem wirklichen Alchimisten zu begegnen, der mir behilflich ist, die Geheimsprache zu entziffern.«

»Wann wurden diese Bücher geschrieben?« fragte der Jüngling.

»Vor vielen Jahrhunderten.«

»Damals wurden doch noch keine Bücher gedruckt«, beharrte der Jüngling. »Es gab also keine Möglichkeit, daß ein jeder von der Alchimie Kenntnis bekam. Warum dann diese seltsame Sprache mit den vielen Zeichnungen?«

Der Engländer entgegnete nichts darauf. Er sagte, daß er die Karawane nun seit einigen Tagen beobachtet, aber nichts Neues dabei entdeckt habe. Das einzige, was ihm auffiel, war die Tatsache, daß die Gerüchte über einen Krieg ständig zunahmen.

13

Eines Tages gab der Jüngling dem Engländer seine Bücher zurück.

»Na, hast du viel gelernt?« fragte dieser voller Erwartung. Er brauchte nämlich jemanden, mit dem er sprechen konnte, um seine Angst vor dem Krieg zu vergessen.

»Ich habe gelernt, daß die Welt eine Seele hat, und wer diese Seele versteht, wird die Sprache der Dinge verstehen. Auch habe ich gelernt, daß viele Alchimisten ihren persönlichen Lebensplan gelebt und somit die Weltenseele, den Stein der Weisen und das Lebenselixier entdeckt haben.

Aber hauptsächlich habe ich gelernt, daß diese Dinge so einfach sind, daß sie auf eine Smaragdtafel passen.«

Der Engländer war enttäuscht. Die Jahre des Studiums, die magischen Symbole, die schwierigen Wörter, die Laborgeräte, nichts von alledem

hatte den Jüngling beeindruckt.›Seine Seele muß zu einfältig sein, um das erfassen zu können, überlegte er.