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»Das verlangen die Kriegsregeln«, erklärte der Anführer ihnen. »Die Oasen dürfen keine Heere oder Krieger beherbergen.«

Zur Überraschung des Jünglings holte der Engländer einen verchromten Revolver aus seiner Jacke und übergab ihn dem Mann, der die Waffen einsammelte.

»Wozu einen Revolver?« fragte er.

»Um mich unter die Menschen zu wagen«, antwortete der Engländer. Er war glücklich, am Ziel seiner Suche angelangt zu sein.

Der Jüngling hingegen mußte an seinen Schatz denken. Je näher er seinem Traum kam, um so schwieriger gestalteten sich die Dinge. Das, was der alte König als Anfängerglück bezeichnet hatte, galt nicht mehr. Was weiter galt, das wußte er: daß Ausdauer und Mut eines Menschen geprüft werden, der nach seinem persönlichen Lebensweg sucht. Darum durfte er auch nichts überstürzen oder ungeduldig werden. Sonst würde er die Zeichen Gottes am Wegrand nicht bemerken.

›Die Zeichen am Wegrand sind von Gott, dachte der Jüngling, überrascht von seinen Gedankengängen. Bisher hatte er die Zeichen als etwas Natürliches betrachtet. Wie Essen oder Schlafen, etwas wie Liebe suchen oder eine Arbeit finden. Er hatte noch nie daran gedacht, daß es eine Sprache sein könnte, die Gott gebrauchte, um ihm zu zeigen, was er tun sollte.

›Sei nicht ungeduldig, sagte er abermals zu sich.›Wie es der Kameltreiber erklärte: Iß zur Essenszeit. Und reise zur Reisezeit.‹

Am ersten Tag verschliefen alle vor Erschöpfung, sogar der Engländer. Der Jüngling war getrennt von ihm untergebracht, in einem Zelt mit fünf anderen jungen Männern, alle ungefähr im gleichen Alter. Es waren Wüstenkinder, und sie wollten Geschichten über die großen Städte hören. Der Jüngling erzählte von seinem Leben als Hirte und wollte gerade beginnen, seine Erfahrungen im Kristallwarengeschäft zu schildern, als der Engländer hereinkam. »Ich habe dich schon überall gesucht«, sagte er und zog den Jüngling ins Freie. »Du mußt mir helfen, ausfindig zu dachen, wo der Alchimist wohnt.«

Zuerst versuchten die beiden es allein. Ein Alchimist würde sicherlich anders leben als die übrigen Oasenbewohner, und in seinem Zelt brannte wahrscheinlich immer rein Schmelzofen.

Sie liefen lange herum, bis es ihnen klar wurde, daß die Oase viel größer war, als sie es sich vorgestellt hatten, mit vielen Hunderten von Zelten.

»Jetzt haben wir fast den ganzen Tag verloren«, bemerkte der Engländer und setzte sich mit dem Jüngling in die Nähe eines Brunnens.

»Vielleicht sollten wir lieber fragen«, meinte der Jüngling.

Der Engländer war recht unschlüssig, weil er die Anwesenheit des Alchimisten in der Oase den anderen nicht verraten wollte.

Aber er stimmte schließlich doch zu und bat den Jüngling, es zu tun, weil er besser Arabisch sprach. So näherte sich der Jüngling einer Frau, die zum Brunnen gekommen war, um ihren Ziegenlederschlauch mit Wasser zu füllen.

»Guten Tag. Ich würde gerne wissen, wo hier in der Oase ein Alchimist lebt«, fragte er vorsichtig.

Die Frau sagte, daß sie noch nie von so etwas gehört habe, und eilte schnell davon. Vorher jedoch machte sie den Jüngling noch darauf aufmerksam, daß er nie mit einer schwarzgekleideten Frau reden dürfe, weil es sich dabei um eine verheiratete Frau handle. Er müsse die Tradition achten.

Der Engländer war sehr enttäuscht. Sollte er diese lange Reise ganz umsonst gemacht haben? Der Jüngling wurde auch traurig; schließlich war sein Begleiter ebenfalls auf der Suche nach seinem persönlichen Lebensweg. Und wenn das so ist, dann wird das ganze Universum dazu beitragen, damit die betreffende Person auch erreicht, was sie will, hatte einst der alte König gesagt. Und er konnte sich doch nicht irren. »Ich habe noch nie etwas von einem Alchimisten gehört«, sagte der Jüngling,

»sonst wäre ich dir gerne behilflich.«

In den Augen des Engländers leuchtete es auf.

»Genau das ist es! Wahrscheinlich weiß hier niemand, was ein Alchimist ist! Frage also nach dem Mann, der alle Krankheiten heilt.«

Verschiedene schwarzgekleidete Frauen kamen zum Brunnen, um Wasser zu holen, und der Jüngling sprach sie nicht an, sosehr ihn der Engländer auch drängte. Bis endlich ein Mann auftauchte. »Kennen Sie jemanden, der die Krankheiten im Dorf heilt?« fragte der Jüngling.

»Allah heilt alle Krankheiten«, antwortete der Mann, den die Fremden sichtlich erschreckten. »Ihr seid auf der Suche nach Zauberern.« Und nachdem er ein paar Verse aus dem Koran zitiert hatte, ging er eilig weiter.

Ein anderer Mann näherte sich. Er war älter und hatte nur einen kleinen Eimer bei sich.

Der Jüngling wiederholte seine Frage.

»Wozu wollt ihr diesen Mann kennenlernen?« stellte der Araber die Gegenfrage.

»Weil mein Freund viele Monate gereist ist, um ihn zu treffen.«

»Wenn dieser Mann in der Oase lebt, muß er sehr mächtig sein«, sagte der Alte, nachdem er einige Minuten nachgedacht hatte. »Nicht einmal die Oberhäupter könnten ihn rufen, wenn sie ihn brauchten. Nur wenn er selber es bestimmen würde.

Wartet, bis der Krieg zu Ende ist. Und dann reist mit der Karawane weiter. Versucht nicht, in das Leben der Oase einzudringen«, schloß er und ging seines Weges.

Aber der Engländer freute sich. Sie waren auf der richtigen Spur. Endlich tauchte ein Mädchen auf, das nicht schwarz gekleidet war. Sie trug einen Tonkrug auf der Schulter, der Kopf war von einem Schleier umhüllt, doch das Gesicht war frei. Der Jüngling näherte sich, um nach dem Alchimisten zu fragen.

Dann war es, als würde die Zeit plötzlich stillstehen und die Weltenseele allgewaltig vor dem Jüngling auftauchen. Als er in ihre schwarzen Augen blickte, auf ihre Lippen, die sich nicht zwischen Lächeln und Schweigen entscheiden konnten, verstand er den wichtigsten und weisesten Teil der Sprache, die die Welt sprach, die alle Menschen dieser Erde in ihren Herzen verstehen konnten. Und der nannte sich Liebe, jene Kraft, die älter war als der Mensch oder selbst die Wüste, die aber immer mit der gleichen Gewalt wiedererstand, überall dort, wo sich zwei Augenpaare begegnen, wie sich nun diese beiden Augenpaare vor dem Brunnen begegneten. Die Lippen entschieden sich endlich für ein Lächeln, und das war ein Zeichen, das Zeichen, worauf er, ohne es zu wissen, so lange in seinem Leben gewartet hatte, welches er bei den Schafen und in den Büchern, bei dem Kristall und in der Stille der Wüste gesucht hatte.

Hierin drückte sich die Welt in ihrer reinsten Form aus, die keiner Erklärungen und Erläuterungen bedurfte, damit der Weltenlauf seinen Fortgang nahm. Alles, was der Jüngling plötzlich erkannte, war, daß vor ihm die Frau seines Lebens stand, und ohne Worte zu gebrauchen, mußte auch sie das erkannt haben. Das hielt er für sicherer als alles sonst auf der Welt, selbst wenn seine Eltern und die Eltern seiner Eltern behaupteten, man müsse seine Liebe erklären, sich verloben, sich erst richtig kennenlernen und dann genug Geld haben, um zu heiraten. Wer so denkt, hat wohl nie die universelle Sprache kennengelernt, denn wenn man in sie eintaucht, ist es ein leichtes zu verstehen, daß es auf der Welt immer einen Menschen gibt, der auf einen wartet, sei es inmitten der Wüste oder mitten in einer Großstadt. Und wenn diese Menschen einander begegnen und ihre Augen sich finden, dann verliert die ganze Vergangenheit und die ganze Zukunft an Gewicht, und es gibt nur noch diesen Augenblick und diese absolute Gewißheit, daß alle Dinge unter der Sonne von der gleichen Hand aufgezeichnet wurden, von der Hand, welche die Liebe erweckt, und die eine Zwillingsseele für jeden Menschen vorgesehen hat, der unter der Sonne arbeitet, ausruht und Schätze sucht. Denn sonst hätten die Träume des Menschengeschlechts nicht den geringsten Sinn.

›Maktub‹, dachte der Jüngling.

Der Engländer erhob sich und schüttelte den Jüngling am Arm. »Los, frag sie!«

Der Jüngling näherte sich dem Mädchen. Sie lächelte wieder.