Er lächelte zurück.
»Wie heißt du?« fragte er.
»Ich heiße Fatima«, sagte sie und sah verlegen zu Boden.
»Das ist ein Name, der auch in dem Land, wo ich herkomme, von einigen Frauen getragen wird.«
»Es ist der Name der Tochter des Propheten«, sagte Fatima.
»Unsere Krieger haben ihn dorthin gebracht.«
Das zarte Mädchen sprach mit Stolz von den Kriegern, doch der Engländer an seiner Seite wurde ungeduldig, und der Jüngling fragte nach dem Mann, der alle Krankheiten heilt.
»Es ist ein Mann, der die Geheimnisse der Welt kennt. Er unterhält sich mit den Dschinns der Wüste«, antwortete sie.
Die Dschinns waren die Dämonen. Und das zierliche Mädchen zeigte in Richtung Süden, dorthin, wo dieser seltsame Mann wohnte.
Dann füllte sie ihren Krug und ging fort. Der Engländer machte sich sogleich auf den Weg zum Alchimisten. Der Jüngling aber blieb noch lange neben dem Brunnen sitzen und erkannte, daß es der Levante-Wind gewesen war, der ihm vor einiger Zeit den Duft dieser Frau zugetragen hatte, und daß er sie schon geliebt hatte, noch bevor er von ihrer Existenz wußte, und daß er dank seiner Liebe zu ihr alle Schätze dieser Welt zu finden vermochte.
18
Am folgenden Tag ging der Jüngling wieder zum Brunnen, um auf das Mädchen zu warten. Zu seiner Überraschung traf er dort den Engländer an, der zum ersten Mal die Wüste betrachtete.
»Ich habe den ganzen Nachmittag und den ganzen Abend auf ihn gewartet«, erzählte der Engländer. »Er erschien gleichzeitig mit den ersten Sternen. Ich sagte ihm, was ich suche. Daraufhin fragte er mich, ob ich schon Blei in Gold verwandelt hätte. Ich sagte, daß es das sei, was ich von ihm erlernen wolle. Dann meinte er, ich solle es ausprobieren. Das war alles, was er mir riet: Probiere es aus.«
Der Jüngling schwieg. Der Engländer war so weit gereist, um zu hören, was er bereits wußte. Doch dann erinnerte er sich, daß er aus dem gleichen Grund dem alten König seinerzeit sechs Schafe gegeben hatte.
»Also dann probiere es aus«, sagte er zu dem Engländer.
»Das will ich auch tun. Und zwar werde ich sofort damit beginnen.
Kurz nachdem der Engländer gegangen war, kam Fatima, um mit ihrem Krug Wasser zu holen.
»Ich muß dir etwas Wichtiges sagen. Ich möchte, daß du meine Frau wirst. Ich liebe dich.«
Das Mädchen ließ das Wasser überlaufen.
»Ich werde täglich hier auf dich warten. Ich habe die Wüste durchquert, um einen Schatz zu suchen, der bei den Pyramiden liegt. Der Krieg war mir ein Fluch. Doch jetzt ist er mir ein Segen, weil er mich bei dir sein läßt.«
»Der Krieg wird eines Tages beendet sein«, sagte das Mädchen.
Der Jüngling sah zu den Palmen der Oase. Er war Hirte gewesen. Und hier gab es viele Schafe. Fatima war wichtiger als der Schatz.
»Die Krieger holen sich ihre Schätze«, sagte das Mädchen, als ob sie seine Gedanken erraten hätte. »Und die Frauen der Wüste sind stolz auf ihre Krieger.«
Dann füllte sie den Krug und ging fort.
Nun ging der Jüngling jeden Tag an den Brunnen, um auf Fatima zu warten. Er erzählte ihr aus seinem Hirtendasein, vom König und vom Handel mit Kristallwaren. Sie wurden gute Freunde, und mit Ausnahme der Viertelstunde, die er täglich mit ihr verbrachte, ging die Zeit unendlich langsam vorbei. Als er schon beinahe einen Monat in der Oase weilte, rief der Karawanenführer alle zu einer Versammlung zusammen.
Wir wissen nicht, wann der Krieg aufhört und wir weiterziehen werden. Die Kämpfe können sich noch lange, - vielleicht über Jahre hinziehen. Denn es gibt auf beiden Seiten starke und tapfere Krieger, und beide Heere sind voller Kampfgeist. Dies ist kein Kampf zwischen Gut und Böse. »Es ist ein Krieg zwischen Kräften, die um dieselbe Macht streiten, und wenn so ein Gefecht erst einmal begonnen hat, dann dauert es gewöhnlich sehr lange, weil Allah auf beiden Seiten ist.«
Dann löste sich die Menge auf. Der Jüngling traf sich an diesem Nachmittag wieder mit Fatima und berichtete von der Versammlung.
»Am zweiten Tag nach unserer Begegnung«, sagte Fatima,
»hast du mir deine Liebe gestanden. Danach hast du mir schöne Dinge beigebracht, wie beispielsweise die Sprache und die Seele der Welt. Durch all das werde ich allmählich ein Teil von dir.«
Der Jüngling lauschte ihrer Stimme und fand sie lieblicher als das Geräusch des Windes in den Dattelpalmen.
»Ich habe schon lange Jahre an diesem Brunnen auf deine Ankunft gewartet. Ich kann mich nicht mehr an meine Vergangenheit erinnern, noch an die Tradition oder daran, was die Männer erwarten, wie sich die Frauen der Wüste verhalten sollen. Seit meiner Kindheit träume ich davon, daß mir die Wüste das größte Geschenk meines Lebens bringen würde. Das Geschenk bist du.«
Der Jüngling wollte ihre Hand ergreifen. Aber Fatima hielt die Henkel des Tonkruges fest.
»Du hast mir von deinen Träumen erzählt, vom alten König und vom Schatz. Du hast mir von den Zeichen erzählt. So habe ich nichts zu befürchten, denn es waren die Zeichen, die dich hierherbrachten. Und ich bin ein Teil deines Traumes, deines persönlichen Lebenswegs, wie du es genannt hast. Darum möchte ich, daß du weiterziehst, um deinen Schatz zu finden.
Wenn du das Kriegsende abwarten mußt, ist es gut. Aber wenn du schon vorher aufbrechen mußt, dann gehe, um deine Bestimmung zu erfüllen. Die Dünen verändern sich mit dem Wind, aber die Wüste bleibt dieselbe. So wird es auch mit unserer Liebe sein.«
»Maktub«, fügte sie hinzu. »Wenn ich ein Teil deiner Bestimmung bin, dann wirst du eines Tages wiederkommen.«
Der Jüngling ging traurig von diesem Treffen mit Fatima fort.
Er erinnerte sich an viele Leute, die er kannte. Die verheirateten Schäfer hatten Schwierigkeiten, ihre Frauen davon zu überzeugen, daß sie umherziehen mußten. Die Liebe erforderte, daß man in der Nähe der geliebten Person blieb. Am folgenden Tag sprach er mit Fatima darüber.
»Die Wüste nimmt unsere Männer in sich auf und bringt sie uns nicht immer zurück«, sagte sie. »Dann finden wir uns damit ab. Und sie leben weiter in den Wolken ohne Regen, in den Tieren, die sich zwischen den Steinen verstecken, und in dem Wasser, das so üppig aus den Brunnen
strömt. Sie werden ein Teil des Ganzen, gehen in die Weitenseele ein. Einige kommen zurück. Das beglückt auch die übrigen Frauen, denn dann wächst die Hoffnung, daß ihre Männer auch eines Tages wiederkehren. Vorher beneidete ich diese Frauen. Aber jetzt habe ich auch jemanden, auf den ich warten kann. Ich bin eine Wüstenfrau und bin stolz darauf. Mein Mann soll sich frei bewegen wie der Wind, der die Dünen bewegt. Auch ich will meinen Mann in den Wolken, den Tieren und dem Wasser sehen können.«
Der Jüngling suchte den Engländer auf. Er wollte ihm von Fatima berichten. Er war überrascht, daß dieser einen kleinen Ofen neben seinem Zelt errichtet hatte. Es war ein seltsamer Schmelzofen, mit einem durchsichtigen Gefäß darauf. Der Engländer hielt das Feuer mit Reisig am Brennen und schaute dabei in die Wüste. Seine Augen schienen mehr zu leuchten als zu der Zeit, wo er stets in seine Bücher vertieft gewesen war.
»Dies ist der erste Arbeitsschritt«, erläuterte der Engländer.
»Ich muß den unreinen Schwefel absondern. Damit das gelingt, darf ich keine Angst mehr vor dem Versagen haben. Diese Angst hat mich bisher daran gehindert, das Große Werk zu versuchen. Jetzt beginne ich erst mit dem, was ich schon vor zehn Jahren hätte machen können. Aber ich bin froh, nicht zwanzig Jahre damit gewartet zu haben.«
Er schürte das Feuer und blickte wieder in die Wüste hinaus.
Der Jüngling blieb eine Weile bei ihm, bis sich die Wüste mit dem Abendhimmel rosa verfärbte. Da überkam ihn eine große Sehnsucht, in die Wüste hineinzugehen, um zu sehen, ob die Stille seine Fragen beantworten könne.