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»Aber nichts davon hegt bei den Pyramiden«, erwiderte der Alchimist

»Ich habe Fatima Das ist mein größter Schatz«

»Auch sie ist nicht bei den Pyramiden«

Schweigend verspeisten sie die Vogel Der Alchimist öffnete eine Flasche und goß eine rote Flüssigkeit in das Glas des Jünglings Es war Wein, einer der besten, die er je getrunken hatte Aber Wein war doch gesetzlich verboten.

»Das Schlechte ist nicht, was in den Mund hineinkommt«, sagte der Alchimist, »sondern was herauskommt«

Der Jüngling wurde beschwingt durch den Wein Aber der Alchimist flößte ihm Unbehagen ein Sie setzten sich vor das Zelt und sahen den Schein des Mondes, neben dem die Sterne verblaßten.

»Trink nur«, sagte der Alchimist und merkte, daß der Jüngling zusehends lustiger wurde »Ruh dich ein wenig aus, wie sich ein Krieger immer vor dem Kampf ausruht Aber vergiß nicht, daß dem Herz dort ist, wo auch dein Schatz hegt Und daß dein Schatz entdeckt werden muß, damit all das, was du auf dem Weg entdeckt hast, einen Sinn ergibt Morgen verkaufe dem Kamel und kaufe dir ein Pferd Die Kamele sind verräterisch Sie gehen Tausende von Schritten, ohne ein Zeichen der Erschöpfung Aber plötzlich knien sie sich nieder und sterben Pferde ermüden nach und nach Und du

weißt immer, wieviel du ihnen ab verlangen kannst oder wann sie sterben werden«

23

Am folgenden Abend erschien der Jüngling mit einem Pferd beim Zelt des Alchimisten Er wartete ein bißchen, bis dieser mit seinem Falken auf der linken Schulter angeritten kam.

»Nun zeig mir das Leben in der Wüste«, sagte der Alchimist

»Denn nur wer Leben findet, kann auch Schatze finden«

Sie ritten durch die Dünen, die vom Vollmond beleuchtet waren›Ich weiß nicht, ob ich Leben finden werde, schließlich kenne ich die Wüste noch nichts dachte der Jüngling Er wollte sich umdrehen, um es dem Alchimisten zu sagen, aber er fürchtete sich vor ihm Endlich kamen sie an den Ort mit den Steinen, wo der Jüngling die Sperber gesehen hatte, doch alles, was er dort bemerkte, waren die Stille und der Wind.

»Ich kann kein Leben in der Wüste entdecken«, sagte der Jüngling, »zwar weiß ich, daß es das gibt, aber ich kann es nicht ausfindig machen.«

»Leben zieht Leben an«, bemerkte der Alchimist.

Und der Jüngling verstand Sogleich ließ er die Zügel seines Pferdes locker, und es bewegte sich frei durch die Steine und den Sand Der Alchimist folgte ihnen, ohne et was zu sagen, und das Pferd des Jünglings lief beinahe eine halbe Stunde umher Die Palmen der Oase konnten sie schon nicht mehr sehen, nur den riesigen Mond am Himmel und die Felsen, die silbrig leuchteten Plötzlich, an einem Ort, wo er noch nie gewesen war, merkte der Jüngling, daß sein Pferd stehengeblieben war.

»Hier gibt es Leben«, antwortete der Jüngling dem AIchimisten. »Ich kenne zwar die Sprache der Wüste nicht, aber mein Pferd kennt die Sprache des Lebens.«

Sie stiegen ab Der Alchimist sagte nichts Er beobachtete die Steine, während er langsam vorwärts ging Mit einemmal blieb er stehen und bückte sich vorsichtig Im Boden zwischen den Steinen war ein Loch, der Alchimist steckte seine Hand hinein, dann den ganzen Arm bis zur Schulter Irgend etwas dort drinnen bewegte sich, und die Augen des Alchimisten - er konnte nur diese erkennen - verengten sich vor Anstrengung und Spannung Der Alchimist schien zu kämpfen mit dem, was im Loch versteckt war Aber mit einem Ruck, der den Jüngling erschreckte, zog er den Arm heraus und erhob sich sogleich.

Seine Hand hielt eine Schlange am Schwanzende fest.

Der Jüngling machte einen Satz nach hinten Die Schlange wand sich ohne Unterlaß und zischte und gab Geräusche von sich, die die Stille der Wüste verletzten. Es war eine Kobra, deren Gift einen Mann in wenigen Minuten zu töten vermochte

›Vorsicht vor dem Gift‹, dachte der Jüngling Aber der Alchimist hatte seine Hand in das Loch gesteckt - wahrscheinlich war er schon gebissen worden Sein Gesicht jedoch war noch ganz ruhig.

»Der Alchimist ist zweihundert Jahre alt«, hatte der Engländer behauptet Er sollte also wissen, wie man mit Schlangen in der Wüste umgeht.

Der Jüngling beobachtete, wie sein Gefährte zum Pferd ging und sein Schwert in Form eines Halbmondes herauszog Mit diesem zeichnete er einen Kreis auf den Wüstenboden und legte die Schlange in die Mitte Sogleich beruhigte sich das Tier

»Du brauchst dich nicht zu fürchten, sie wird nicht rausgehen Und du hast das Leben in der Wüste entdeckt, das Zeichen, welches ich gebraucht habe«

»Warum war das so wichtig?«

»Weil die Pyramiden von Wüste umgeben sind.«

Der Jüngling wollte nichts von Pyramiden hören. Seit der letzten Nacht war ihm das Herz schwer, und er war traurig.

Denn seinen Schatz zu suchen bedeutete, Fatima verlassen zu müssen

»Ich werde dich durch die Wüste begleiten«, sagte der Alchimist

»Aber ich mochte in der Oase bleiben«, entgegnete der Jüngling »Ich habe Fatima gefunden, und sie bedeutet mir mehr als der Schatz«

»Fatima ist eine Wüstenfrau«, sagte der Alchimist »Sie weiß, daß die Männer abreisen müssen, um heimkehren zu können Sie hat ihren Schatz bereits gefunden dich. Jetzt erwartet sie, daß auch du findest, was du suchst«

»Und wenn ich mich entschließe zu bleiben?«

»Dann wirst du Mitglied des Wüstenrats Du besitzt genug Gold, um viele Schafe und viele Kamele zu kaufen Du wirst Fatima heiraten, und ihr werdet das erste Jahr sehr glücklich sein Du wirst die Wüste lieben lernen und wirst jede einzelne der fünfzigtausend Dattelpalmen kennen Du wirst beobachten, wie sie wachsen, womit sie eine Welt offenbaren, die sich in ständigem Wandel befindet Und du wirst die Sprache der Zeichen immer besser verstehen lernen, denn die Wüste ist ein besserer Lehrmeister als jeder andere.

Im zweiten Jahr erinnerst du dich dann, daß es einen Schatz gibt. Die Zeichen werden unablässig davon sprechen, und du wirst versuchen, ihnen keine Beachtung zu schenken. Du wirst dein Wissen nur in den Dienst der

Oase und ihrer Bewohner stellen. Die Stammesoberhäupter werden es dir danken. Deine Kamele werden dir Reichtum und Macht einbringen. Im dritten Jahr werden dich die Zeichen weiterhin an deinen Schatz und deinen persönlichen Lebensweg erinnern. Du wirst nächtelang durch die Wüste streifen, und Fatima wird traurig sein, weil sie verursacht hat, daß dein Weg unterbrochen wurde. Aber du schenkst ihr Liebe, und sie erwidert deine Liebe Du erinnerst dich, daß sie dich niemals gebeten hat zu bleiben, denn eine Wüstenfrau weiß auf ihren Mann zu warten. Darum wirst du sie auch nicht verantwortlich machen. Aber du wirst viele Nächte durch den Sand der Wüste zwischen den Dattelpalmen wandeln und denken, daß du seinerzeit doch besser vorwärts gegangen wärst und deiner Liebe zu Fatima mehr vertraut hättest. Denn was dich in der Oase gehalten hat, war deine eigene Befürchtung, niemals zurückzukehren Doch dann werden dir die Zeichen bedeuten, daß dein Schatz für immer begraben ist.

Im vierten Jahr verlassen dich die Zeichen ganz, weil du ihnen keine Beachtung geschenkt hast Die Stammesführer werden dies bemerken, und du wirst aus dem Rat entlassen Bis dahin wirst du ein reicher Händler sein, mit vielen Kamelen und vielen Waren Aber du wirst den Rest deiner Tage zwischen der Wüste und den Dattelpalmen umherstreifen, - wohl wissend, daß du deinem persönlichen Lebensweg nicht gefolgt bist, und daß es nun zu spät dafür ist.

Ohne jemals verstanden zu haben, daß die Liebe niemals jemanden hindert, seine innere Bestimmung zu erfüllen Wenn das nämlich passiert, dann war es nicht die wahre Liebe, die, welche die Sprache der Welt spricht«

Der Alchimist löste den Bannkreis auf dem Boden wieder auf, und die Schlange verschwand eilig zwischen den Steinen Der Jüngling dachte an den Kristallglashändler, der immer nach Mekka gehen wollte, und an den Engländer der einen Alchimisten suchte. Er dachte auch an eine Frau, die der Wüste vertraute, und diese brachte ihr eines Tages denjenigen, der sie zu lieben bereit war.