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»Warum drängt die Stimme des Herzens nicht darauf, daß der Mensch seinen Träumen folgen soll?« fragte der Jüngling.

»Weil dann das Herz am meisten leidet. Und die Herzen scheuen das Leid«, erläuterte der Alchimist.

Seit jenem Tag verstand der Jüngling sein Herz. Er bat, daß, wenn er sich von seinen Traumen einmal entfernen sollte, es sich in seiner Brust zusammenziehen solle, um ihn zu warnen.

Der Jüngling versprach auch, daß er diese Warnung immer beachten wolle.

Über all dies sprach er an jenem Abend mit dem Alchimisten, und dieser verstand, daß sich das Herz des Jünglings nun der Weltenseele zugewandt hatte.

»Was soll ich jetzt tun?« fragte der Jüngling.

»Gehe in Richtung der Pyramiden. Und achte weiterhin auf die Zeichen. Dein Herz ist schon dafür bereit, dir den Schatz zu zeigen«.

»War es das, was mir noch fehlte?«

»Nein«, erwiderte der Alchimist »Was du noch wissen mußt, ist folgendes. Immer, bevor ein Traum in Erfüllung geht, prüft die Weltenseele all das, was auf dem Weg gelernt wurde. Sie macht das nicht etwa aus Bosheit, sondern damit wir gemeinsam mit unserem Traum auch die Lektionen in Besitz nehmen, die wir auf dem Pfad dorthin gelernt haben. Das ist der Moment, wo die meisten aufgeben. In der Sprache der Wüste nennen wir das verdursten, wenn schon die Palmen am Horizont sichtbar werden Eine Suche beginnt immer mit dem Anfängerglück Und sie endet immer mit der Prüfung des Eroberers«

Der Jüngling erinnerte sich an ein Sprichwort aus seiner Heimat, das besagt, daß die dunkelste Stunde die vor Sonnenaufgang ist.

27

Am nächsten Tag tauchte das erste wirkliche Gefahrenzeichen auf. Drei Krieger näherten sich und fragten, was die beiden hier zu suchen hätten.

»Ich bin mit meinem Falken auf der Jagd«, antwortete der Alchimist.

»Wir müssen euch durchsuchen, um festzustellen, ob ihr bewaffnet seid.«

Der Alchimist stieg langsam von seinem Pferd. Der Jüngling tat es ihm nach.

»Wozu so viel Geld?« fragte ein Krieger, als er die Tasche des Jünglings durchsuchte.

»Um nach Ägypten zu kommen«, antwortete er.

Der Wächter, der den Alchimisten durchsuchte, fand ein kleines Kristallgefäß mit einer Flüssigkeit und ein gelbliches Glasei, etwas größer als ein Hühnerei.

»Was sind das für Dinge?« wollte er wissen.

»Der Stein der Weisen und das Lebenselixier. Das Große Werk der Alchimisten. Wer von diesem Elixier einnimmt, wird niemals krank, und ein Splitter dieses Steines kann jedes Metall in Gold verwandeln.«

Die Wächter lachten aus voller Kehle, und der Alchimist lachte mit. Sie fanden die Antwort äußerst witzig und ließen sie unbehelligt weiterziehen, mit all ihren Habseligkeiten.

»Bist du wahnsinnig?« fragte der Jüngling den Alchimisten, als sie sich schon ein Stück entfernt hatten. »Warum hast du das gesagt?«

»Um dir eine einfache Regel über den Weltenlauf zu zeigen«, antwortete der Alchimist. »Wenn wir die wirklich großen Schätze vor uns haben, erkennen wir es nie. Und weißt du auch, warum? Weil die Menschen nicht an Schätze glauben.«

Sie zogen weiter durch die Wüste. Mit jedem Tag, der verstrich, wurde das Herz des Jünglings ruhiger. Es wollte nichts mehr von den vergangenen Dingen wissen, und auch nichts von den zukünftigen; es begnügte sich damit, sich in die Betrachtung der Wüste zu versenken und sich gemeinsam mit dem Jüngling an der Weltenseele zu laben. Er und sein Herz wurden gute Freunde - einer wurde unfähig, den anderen zu betrügen.

Wenn sein Herz zu ihm sprach, so um ihn anzuregen und ihm Kraft zu geben, denn das Schweigen während des Tags lastete bisweilen schwer auf dem Jüngling. Sein Herz vergegenwärtigte ihm nun, wozu er befähigt war, sprach von dem Mut, den er bewiesen hatte, als er seine Schafe

verließ und seinem persönlichen Lebensweg folgte, und von der Begeisterung, mit der er im Kristallwarengeschäft erfüllt war.

Es erzählte ihm aber auch von etwas, worauf der Jüngling nie einen Gedanken verschwendet hatte: von den Gefahren, denen er nur knapp entkommen war und von denen er gar nicht gewußt hatte. Einmal hatte es die Pistole verschwinden lassen, die der Jüngling dem Vater entwendet hatte und mit der er sich zu verletzen drohte. Und dann war da jener Tag mitten auf dem Land, an dem es dem Jüngling so schlecht war, daß er sich übergab, worauf er in tiefen Schlaf versunken war: Unweit von jener Stelle hatten ihm zwei Wegelagerer aufgelauert, um seine Schafe zu stehlen und ihn zu töten. Doch da der Jüngling nicht erschien, machten sie sich schließlich aus dem Staub, da sie dachten, er habe einen anderen Weg eingeschlagen.

»Stehen die Herzen den Menschen immer bei?« fragte er den Alchimisten.

»Nur denjenigen, die ihren persönlichen Lebensweg verwirklichen. Und sie stehen auch oft Kindern, Betrunkenen und Alten zur Seite.«

»Das heißt, daß es gar keine Gefahr gibt?«

»Es heißt nur, daß die Herzen tun, was sie können«, antwortete der Alchimist.

Eines Nachmittags kamen sie am Lager von einem der sich bekriegenden Stämme vorbei. Sie sahen bewaffnete Araber mit prächtigen weißen Gewändern. Die Männer rauchten die Nargileh und unterhielten sich über die Kämpfe. Niemand schenkte den beiden Reisenden Beachtung.

»Es droht keinerlei Gefahr«, bemerkte der Jüngling, als sie sich schon etwas vom Lager entfernt hatten.

Der Alchimist wurde wütend. »Vertraue auf die Stimme deines Herzens, aber vergiß nicht, daß du dich in der Wüste befindest. Wenn die Menschen Krieg führen, dann bekommt auch die Weltenseele die Kampfrufe zu spüren. Niemand bleibt verschont von all dem, was unter der Sonne geschieht.«

›Alles ist in Einem‹, dachte der Jüngling.

Und als wollte die Wüste beweisen, daß der alte Alchimist recht hatte, kamen ihnen zwei Reiter nach.

»Ihr könnt nicht Weiterreisen«, sagte einer von ihnen. »Ihr befindet euch mitten im Kampfgebiet.«

»Ich gehe nicht weit«, entgegnete der Alchimist und fixierte die Augen der Krieger. Sie blieben einige Minuten stumm und willigten schließlich in die Weiterreise der beiden ein. Der Jüngling hatte dem fasziniert zugesehen.

»Du hast die Krieger mit dem Blick bezwungen«, bemerkte er überwältigt.

»Die Augen zeigen die Kraft der Seele an«, entgegnete der Alchimist. ›Das stimmt‹dachte der Jüngling. Er hatte nämlich bemerkt, daß im Lager, inmitten der Menge von Soldaten, einer war, der sie mit festem Blick betrachtet hatte. Dabei war jener so weit entfernt, daß er nicht einmal dessen Gesicht richtig erkennen konnte. Dennoch war der Jüngling sicher, daß jener sie ansah.

Als sie sich gerade anschickten, eine Bergkette zu überqueren, die sich über den ganzen Horizont erstreckte, bemerkte der Alchimist, daß es nur noch zwei Tagesreisen bis zu den Pyramiden seien.

»Da wir uns bald trennen werden, lehre mich Alchimie«, bat der Jüngling.

»Du beherrschst sie schon. Es bedeutet, in die Weltenseele einzutauchen und den Schatz zu entdecken, den sie für uns bereithält.«

»Das meine ich nicht. Ich spreche von der Verwandlung von Blei in Gold.«

Der Alchimist respektierte die Stille der Wüste und antwortete erst, als sie anhielten, um zu essen.