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»Alles im Universum entwickelt sich«, sagte er. »Und für die Weisen bedeutet Gold die höchste Fortentwicklung. Frag mich nicht, warum. Ich weiß nur, daß die Tradition immer recht hat.

Es waren die Menschen, die die Worte der Weisen nicht richtig auslegten. Anstatt zum Symbol einer Weiterentwicklung zu werden, wurde das Gold zum Symbol der Kriege.«

»Die Dinge sprechen viele Sprachen«, warf der Jüngling ein.

»Ich erlebte, wie das Schreien eines Kamels erst nichts als ein Schreien war, dann wurde es ein Zeichen von Gefahr, und letztlich war es wieder nur ein Schreien.«

Nun schwieg er. Der Alchimist würde das ja alles selber wissen.

Dieser fuhr fort: »Ich kannte wahrhaftige Alchimisten. Sie zogen sich ins Laboratorium zurück und versuchten, sich wie das Gold weiterzuentwickeln; sie entdeckten den Stein der Weisen. Denn sie verstanden, daß, wenn sich irgend etwas weiterentwickelt, alles in dessen Umgebung sich ebenfalls weiterentwickelt. Andere fanden den Stein der Weisen aus purem Zufall. Sie hatten bereits die Gabe, ihre Seelen waren empfänglicher als die anderer Leute. Aber sie zählen nicht so sehr, weil sie sehr selten sind. Wiederum andere suchten nur das Gold. Diese haben das Geheimnis nie entdeckt. Sie vergaßen, daß auch das Blei, das Silber oder das Eisen ihren persönlichen Lebensplan zu erfüllen haben. Wer in den Lebensplan eines anderen eingreift, der wird nie seinen eigenen entdecken.«

Diese Worte des Alchimisten klangen wie ein Fluch. Er bückte sich, um eine Muschel vom Wüstenboden aufzuheben.

»Hier war schon einmal ein Meer«, stellte er fest.

»Das habe ich auch schon bemerkt«, antwortete de Jüngling.

Nun forderte der Alchimist den Jüngling auf, die Muschel an sein Ohr zu halten. Als er klein war, hatte er da schon öfter getan, und er hörte das Meeresrauschen.

»Das Meer verweilt in der Muschel, weil es ihr persönlicher Lebensplan ist. Und es wird sie nie verlassen, bis sie eines Tages die Wüste erneut mit Wasser bedeckt.«

Dann stiegen sie wieder auf die Pferde und ritten den Pyramiden von Ägypten entgegen.

Die Sonne war bereits am Untergehen, als das Herz des Jünglings Gefahr anzeigte. Sie befanden sich inmitten von riesigen Dünen, und der Jüngling sah besorgt zum Alchimisten hinüber, doch dieser schien nichts bemerkt zu haben. Fünf Minuten später erblickte er zwei Reiter in der Ferne, die Umrisse zeichneten sich gegen die Sonne ab. Noch bevor er den Alchimisten warnen konnte, verwandelten sich die zwei Reiter in zehn, dann in hundert, bis schließlich die ganzen Dünen mit ihnen übersät waren.

Die Krieger trugen blaue Kleidung mit einem schwarze Reif um den Turban. Die Gesichter waren mit blauen Tüchern bedeckt, die nur die Augen frei ließen. Selbst aus der Ferne zeigten die Augen die Kraft ihrer Seelen. Und die Augen sprachen von Tod.

28

Man brachte sie beide zu einem Feldlager in der Nähe. Ein Soldat stieß sie in ein Zelt hinein. Dieses Zelt war anders als jene, die der Jüngling in der Oase kennengelernt hatte; es befand sich ein oberer Kriegsherr mit seinen Heeresführern darin.

»Das sind die Spione«, sagte einer der Männer.

»Wir sind nur Reisende«, entgegnete der Alchimist.

»Vor drei Tagen wurdet ihr im feindlichen Lager gesehen, wie ihr mit einem der Krieger gesprochen habt.«

»Ich bin ein friedlicher Mensch, der durch die Wüste zieht und die Sterne kennt«, sagte der Alchimist. »Ich weiß nichts über die Heere oder darüber, wo sich die Stämme aufhalten. Ich habe nur meinen Freund begleitet.«

»Wer ist dein Freund?« fragte der Kommandant.

»Ein Alchimist«, antwortete der Alchimist. »Er kennt die Kräfte der Natur. Und er möchte euch gerne seine außergewöhnlichen Fähigkeiten zeigen.«

Der Jüngling lauschte schweigend. Und mit Angst.

»Was hat ein Fremder in einem fremden Land zu suchen?«

fragte ein anderer.

»Er bringt Geld, um es eurem Stamm anzubieten«, antwortete der Alchimist, noch bevor der Jüngling ein Wort sagen konnte.

Und er nahm ihm die Tasche ab und überreichte dem Kriegsherrn die Goldmünzen. Der Araber nahm sie ohne ein Wort an sich. Dafür konnte er viele Waffen kaufen. »Was ist ein Alchimist?« wollte er schließlich wissen.

»Ein Mann, der die Natur und die Welt kennt. Wenn er wollte, könnte er dieses Feldlager nur durch die Kraft des Windes zerstören.«

Die Männer lachten. Sie waren mit der Gewalt des Krieges vertraut und wußten, daß der Wind niemandem einer Todesstoß versetzen kann. Dennoch zog sich ihnen das Herz in der Brust zusammen.

Sie waren Männer der Wüste, und als solche fürchteten sie sich vor Zauberern.

»Das möchte ich sehen«, sagte ihr Anführer.

»Dazu brauchen wir drei Tage«, entgegnete der Alchimist.

»Er wird sich in Wind verwandeln, um die Kraft seiner Macht zu beweisen. Sollte es ihm nicht gelingen, so bieten wir demütig unser Leben an, zu Ehren eures Stammes.«

»Du kannst mir nichts anbieten, was mir sowieso schon gehört«, erwiderte der Anführer herablassend, doch er bewilligte den Reisenden die drei Tage.

Der Jüngling war gelähmt vor Entsetzen. Der Alchimist mußte ihn am Arm ins Freie ziehen.

»Laß es nicht zu, daß man deine Angst bemerkt«, sagte der Alchimist. »Das sind tapfere Männer, und sie verachten Feiglinge.«

Dem Jüngling hatte es die Sprache verschlagen. Erst nach einiger Zeit, während sie durch das Lager gingen, fand de Jüngling seine Stimme wieder. Die Araber sahen keine Notwendigkeit, sie einzusperren, sie nahmen ihnen lediglich die Pferde ab. Und wieder einmal zeigte die Welt ihre vielen Ausdrucksformen: Die Wüste, ehemals eine ihnen offen stehende, unendliche Landschaft, schien nun zu einer unbezwingbaren Mauer geworden zu sein.

»Du hast ihnen mein ganzes Vermögen gegeben!« sagte der Jüngling empört. »Alles, was ich in meinem ganzen Leben verdient habe!«

»Und wozu würde es dir nützen, wenn du sterben müßtest?«

entgegnete der Alchimist. »Dein Geld hat dich für drei Tage gerettet. Nur selten hat Geld dazu gedient, den Tod hinauszuschieben.«

Aber der Jüngling war zu verschreckt, um weisen Worten zu lauschen. Er wußte nicht, wie er sich in Wind verwandeln sollte.

Schließlich war er kein Alchimist.

Der Alchimist bat einen Krieger um Tee und strich ein wenig davon auf das Handgelenk des Jünglings. Während der Alchimist einige Worte murmelte, die der Schüler nicht verstand, durchflutete ihn eine Welle des Friedens.

»Gib dich nicht der Verzweiflung anheim. Sonst wirst du dich nicht mehr mit deinem Herzen verständigen können«, sagte der Alchimist mit einer ungewöhnlich sanften Stimme.

»Aber ich kann mich doch nicht in Wind verwandeln.«

»Wer seine innere Bestimmung erfüllt, weiß alles, was er wissen muß. Nur eines macht sein Traumziel unerreichbar: die Angst vor dem Versagen.«

»Ich habe keine Angst vor dem Versagen. Nur kann ich mich nicht in Wind verwandeln.«

»Dann mußt du es lernen, denn dein Leben hängt davon ab.«

»Und wenn ich es nicht schaffe?«

»Dann stirbst du, während du deine innere Bestimmung erfüllst. Es ist immerhin besser, so zu sterben als wie Millionen andere, die niemals erfahren haben, daß es überhaupt eine innere Bestimmung gibt. Aber sorge dich nicht Gewöhnlich macht einen der bevorstehende Tod empfindlicher für das Leben.«

Der erste Tag ging vorüber. In der Nähe hatte es eine groß«

Schlacht gegeben, und es wurden viele Verwundete ins Lager gebracht. ›Gar nichts ändert sich nach dem Tod‹, dachte der Jüngling.

Die gefallenen Krieger wurden durch neue ersetzt, und das Leben nahm seinen Lauf.

»Du hättest mit dem Tod noch warten können, mein Freund«, sagte ein Wächter zu dem leblosen Körper eine: Kameraden.