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»Dann hilf mir dabei und erfülle die Luft mit Sand, damit ich unbeschadet in die Sonne schauen kann.«

Daraufhin blies der Wind mit großer Kraft, so daß eine Sandwolke den Himmel verdeckte und von der Sonne nur eine goldene Scheibe übrigblieb.

Im Lager hatte man Mühe, noch etwas zu sehen. Die Wüstenmänner kannten diesen Wind schon. Man nannte ihn Samum, und er war für sie schlimmer als ein Unwetter auf hoher See, da sie selbst das Meer nicht kannten. Die Pferde wieherten, und die Waffen wurden mit Sand bedeckt. Auf dem Felsen wandte sich einer der Befehlshaber an sein Oberhaupt und sagte:

»Vielleicht sollten wir besser damit aufhören.«

Sie konnten den Jüngling kaum noch erkennen. Ihre Gesichter waren in die blauen Tücher gehüllt, und in ihren Augen stand Entsetzen.

»Laß uns damit aufhören«, meinte auch ein anderer.

»Ich will die Größe Allahs schauen«, sagte der Anführer und aus seiner Stimme sprach Hochachtung. »Ich will sehen, wie sich Menschen in Wind verwandeln.«

Aber er merkte sich die Namen der beiden Männer, die Angst gezeigt hatten. Sowie der Wind nachließ, würde er sie ihrer Posten entheben, denn richtige Männer der Wüste sollten keine Angst haben.

»Der Wind sagte mir, daß du die Liebe kennst«, wandte sich der Jüngling an die Sonne. »Wenn du die Liebe kennst, dann kennst du auch die Weltenseele, die aus Liebe steht.«

»Von hier, wo ich mich befinde, kann ich die Weltenseele sehen. Sie ist mit meiner Seele in Verbindung, und zusammen bewirken wir, daß die Pflanzen wachsen und die Schafe den Schatten aufsuchen. Von hier oben - und ich bin sehr weit von der Welt entfernt - habe ich gelernt zu lieben. Ich weiß, daß, wenn ich mich der Erde etwas mehr näherte, alles auf ihr sterben müßte und die Weltenseele aufhörte zu existieren. Also betrachten wir uns wohlwollend, und ich schenke ihr Licht und Wärme, und sie gibt mir einen Lebensinhalt.«

»Du kennst also die Liebe«, sagte der Jüngling.

»Und ich kenne die Weltenseele, denn wir unterhalten uns viel auf dieser endlosen Reise durch das Universum. Sie hat mir erzählt, ihr größtes Problem sei, daß bisher nur die Tiere und die Pflanzen begriffen haben, daß alles in Einem ist. Und dazu ist es nicht nötig, daß das Eisen mit dem Kupfer gleich ist und dieses mit Gold. Jedes Metall erfüllt dabei seine Aufgabe, und so könnte alles eine Symphonie des Friedens sein, wenn die Hand, die alles geschrieben hat, am fünften Schöpfungstag aufgehört hätte. Aber es gab einen sechsten Tag«, sagte die Sonne.

»Du bist weise, weil du alles aus der Ferne betrachtest«, bemerkte der Jüngling. »Aber die Liebe kennst du nicht. Wenn es keinen sechsten Schöpfungstag gegeben hätte, dann gäbe es keine Menschen, und das Kupfer bliebe für immer Kupfer, und das Blei bliebe für immer Blei. Es ist richtig, daß jedes seinen persönlichen Lebensplan hat, aber eines Tages ist dieser Lebensplan erfüllt. Dann muß man sich in etwas Edleres verwandeln und einen neuen Lebensplan erfüllen, bis die Weltenseele wirklich nur noch ein einziges Ganzes ist.« Die Sonne wurde nachdenklich und schien wieder stärker. Der Wind, dem die Unterhaltung gefiel, blies auch verstärkt, damit die Sonne den Jüngling nicht erblinden ließ.

»Dafür gibt es die Alchimie«, fuhr der Jüngling fort. »Damit jeder Mensch seinen Schatz sucht und findet und danach besser sein möchte als im vorherigen Leben. Das Blei wird seine Aufgabe erfüllen, bis die Welt kein Blei mehr benötigt; dann muß es sich in Gold umwandeln. Die Alchimisten vermögen das. Sie zeigen, daß, wenn wir edler zu sein versuchen, als wir es von Natur aus sind, auch alles um uns her edler wird.« »Und wieso behauptest du, ich würde die Liebe nicht kennen?« fragte die Sonne.

»Weil die Liebe nicht darin besteht, still zu sein wie die Wüste, noch darin, durch die Welt zu ziehen wie der Wind, noch darin, alles aus der Ferne zu betrachten, wie du es tust. Die Liebe ist die Kraft, die die Weltenseele verwandelt und veredelt.

Als ich das erste Mal in diese Weltenseele eindrang, empfand ich sie als vollkommen. Aber dann erkannte ich, daß sie der Widerschein von allen Geschöpfen ist und somit auch ihre Kriege und ihre Leidenschaften in sich trägt. Wir nähren die Weltenseele, und unsere Erde wird edler oder schlechter, je nachdem, ob wir edler oder schlechter werden. Hier kommt dann die Kraft der Liebe ins Spiel, denn wenn wir lieben, wollen wir stets edler werden, als wir sind.«

»Was willst du eigentlich von mir?« wollte die Sonne wissen.

»Daß du mir behilflich bist, mich in Wind zu verwandeln«, entgegnete der Jüngling.

»Die Natur erkennt mich als die weiseste aller Kreaturen an«, sagte die Sonne. »Aber wie ich dich in Wind verwandeln soll, weiß ich leider nicht.«

»Mit wem soll ich dann sprechen?«

Die Sonne überlegte einen Moment. Der Wind hatte ja gelauscht und würde bestimmt über die ganze Welt verbreiten, daß ihre Fähigkeiten beschränkt seien. Sie entkam dem jungen Mann, der die Sprache der Welt sprach, nicht so schnell.

»Unterhalte dich mit der Hand, die alles erschaffen hat«, empfahl die Sonne.

Nun schrie der Wind vor Freude auf und blies stärker denn je, die Zelte wurden aus dem Boden gerissen, und die Pferde machten sich von den Zügeln los. Die Männer auf dem Felsen klammerten sich aneinander, um nicht umgeweht zu werden.

Der Jüngling wandte sich nun an die Hand, die alles aufgezeichnet hatte. Und er spürte, daß das Universum schwieg, anstatt irgend etwas zu sagen, und so blieb auch er still. Ein Strom der Liebe entsprang seinem Herzen, und er begann zu beten. Es war ein Gebet, das er noch nie zuvor gebetet hatte, denn es war ohne Worte und ohne Bitten. Er dankte nicht, weil die Schafe eine fette Weide gefunden hatten, und er bat nicht, noch mehr Kristallwaren verkaufen zu können, oder daß die Frau seiner Träume auf seine Rückkehr warten möge. In der Stille, die nun herrschte, erkannte der Jüngling, daß die Wüste, der Wind und die Sonne ebenfalls nach den Zeichen von jener Hand suchten, um ihren Weg zu finden und das zu verstehen, was in einen einfachen Smaragd eingraviert war. Er wußte, daß diese Zeichen sowohl auf der Erde als auch im Weltraum verstreut waren, und daß sie dem Augenschein nach keinerlei Sinn ergaben, und daß weder die Wüste noch de Wind, noch die Sonne oder die Menschen wußten, warum sie erschaffen worden waren. Aber jene Hand hatte für alles einen Beweggrund, und nur sie allein konnte Wunder vollbringen, indem sie Ozeane in Wüsten verwandelte oder Männer in Wind. Denn sie allein wußte darum, daß eine höhere Bestimmung das Universum zu einem Punkt drängte wo die sechs Schöpfungstage sich in das Große Werk verwandelten.

Und der Jüngling tauchte in die Weltenseele ein und erkannte, daß diese ein Teil der göttlichen Seele und die göttliche Seele seine eigene Seele war. Und daß er somit selber Wunder vollbringen konnte.

32

An jenem Tag blies der Samum wie nie zuvor. Noch über Generationen erzählten sich die Araber die Legende des Jünglings, der sich in Wind verwandelte, beinahe ein ganze Heerlager zerstörte und die Macht des obersten Kriegsherrn der Wüste herausforderte.

Als der Sturm sich endlich beruhigt hatte, blickten alle zu dem Platz hinüber, an dem der Jüngling gewesen war, aber dieser war nicht mehr dort; er war bei einem fast völlig mit Sand bedeckten Wächter, der die andere Seite des Lager bewachte.

Die Männer waren durch diese Zauberei beunruhigt. Nur zwei Personen lächelten: der Alchimist, weil er seinen richtigen Schüler gefunden hatte, und der Anführer, weil sie die Herrlichkeit des Herrn geschaut hatten.

Am folgenden Tag verabschiedete sich der Anführer von dem Jüngling und dem Alchimisten und veranlaßte, daß sie eine Eskorte begleitete, wohin sie auch wollten.