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Melchisedek, der König vom Salem, setzte sich an jenem Nachmittag auf einen Mauervorsprung der Festung und fühlte den Levante Wind auf seinem Gesicht. Die Schafe an seiner Seite schlugen aus, aus Angst vor dem neuen Herrn, und weil sie in Unruhe waren durch all die Veränderungen. Alles, was sie wollten, war Wasser und Nahrung.

Melchisedek schaute dem kleinen Dampfer nach, der gerade aus dem Hafen auslief. Er würde den Jüngling nie mehr zu Gesicht bekommen, ebenso wie er Abraham nie mehr gesehen hatte, nachdem er auch bei ihm den Zehnten abkassiert hatte.

Und dennoch hatte er gewirkt.

Die Götter sollten keinerlei Wünsche haben, zumal sie keinen persönlichen Lebensplan haben. Trotzdem hoffte der König von Salem im stillen, daß der Jüngling erfolgreich sein würde.

›Schade, daß er meinen Namen so schnell vergessen wird, dachte er.›Ich hätte ihn öfter wiederholen sollen. So würde er von mir erzählen, von

Melchisedek, dem König von Salem.‹Dann blickte er etwas zerknirscht gen Himmeclass="underline" »Es ist alles ganz eitel, aber auch ein alter König muß manchmal stolz auf sich sein dürfen.«

14

›Wie eigenartig Afrika ist‹, dachte der Jüngling. Er saß in einer Art Bar, welche vielen anderen Bars glich, die er in den schmalen Gassen der Stadt vorgefunden hatte. Einige Männer rauchten eine riesige Pfeife, die von Mund zu Mund gereicht wurde. In den wenigen Stunden seit seiner Ankunft hatte er schon eine Menge gesehen: Männer, die Hand in Hand gingen, Frauen mit verhüllten Gesichtern und Priester, die auf hohe Türme stiegen, um zu singen, während alle um sie herum sich niederknieten und mit der Stirn gegen den Boden schlugen.›Heidnische Bräuche, sagte er sich. Als Kind hatte er sich in der Kirche seines Heimatortes immer das Standbild vom heiligen Santiago von Compostela auf seinem Schimmel betrachtet, der mit gezogenem Schwert über Leute wie diese hier hinwegritt. Der Jüngling fühlte sich äußerst unbehaglich und schrecklich einsam. Die Ungläubigen sahen bedrohlich aus.

Und überhaupt hatte er, in der Eile des Aufbruchs, eine Tatsache außer acht gelassen, ein einziges Detail, das ihn noch lange von seinem Schatz fernhalten könnte: In diesem Land sprachen alle Arabisch.

Als der Barbesitzer sich näherte, deutete der Jüngling auf ein Getränk, welches an einem anderen Tisch serviert worden war.

Es handelte sich um einen bitteren Tee, und viel lieber hätte er ein Glas Wein getrunken. Aber damit wollte er sich jetzt nicht belasten. Er sollte nur an seinen Schatz denken und an Mittel und Wege, ihn zu erreichen. Der Verkauf der Schafe hatte ihm eine Menge Geld eingebracht, und der Jüngling wußte, daß Geld etwas Magisches an sich hat: Mit ihm ist man nie allein. Bald, womöglich schon in wenigen Tagen, würde er bei den Pyramiden sein. Ein Alter mit so viel Gold auf der Brust hatte es bestimmt nicht nötig, ihn wegen sechs Schafen zu belügen.

Der Alte hatte von Zeichen gesprochen. Beim Überqueren des Meeres hatte er über diese Zeichen nachgedacht. Ja, er wußte, wovon die Rede war: Während jener Zeit, die er auf den Weiden Andalusiens verbracht hatte, hatte er es sich zur Gewohnheit gemacht, sowohl auf der Erde als auch am Himmel nach Hinweisen zu suchen, welche Richtung er einschlagen sollte. Er hatte gelernt, daß ein bestimmter Vogel die Nähe einer Schlange signalisierte, und daß ein bestimmter Busch auf Wasser in der näheren Umgebung schließen ließ. Die Schafe hatten ihn das alles gelehrt.

›Wenn Gott die Schafe so gut führt, dann wird er auch den Menschen führen, überlegte er und beruhigte sich. Der Tee schmeckte schon weniger bitter.

»Wer bist du?« hörte er eine Stimme neben sich auf spanisch fragen.

Der Jüngling fühlte sich erleichtert. Er hatte an Zeichen gedacht, und schon war jemand aufgetaucht.

»Woher kannst du Spanisch?« fragte er.

Der Neuankömmling war ein junger Mann, nach westlicher Art gekleidet, obwohl die Hautfarbe eher auf einen Einheimischen schließen ließ. Er war ungefähr so groß und so alt wie er selbst »Hier spricht beinahe jedermann Spanisch. Wir sind nur knapp zwei Stunden von Spanien entfernt.«

»Setz dich und bestell dir was auf meine Rechnung«, forderte ihn der Jüngling auf. »Und für mich bestelle einen Wein. Ich hasse diesen Tee.«

»Hier gibt es keinen Wein«, sagte der Neuankömmling. »Die Religion erlaubt es nicht.«

Der Jüngling erzählte dann, daß er zu den Pyramiden gelangen mußte. Beinahe hätte er auch vom Schatz erzählt, aber er beschloß zu schweigen, sonst würde der Araber sicher einen Anteil haben wollen, um ihn dort hinzubringen. Er erinnerte sich an die Warnung des Alten bezüglich solcher Angebote.

»Ich möchte dich bitten, mich dorthin zu begleiten, wenn es dir möglich ist. Natürlich zahle ich dich als Reiseführer.«

»Hast du denn überhaupt eine Vorstellung, wie man dort hinkommt?« Der Jüngling bemerkte, daß der Barbesitzer in der Nähe stand und dem Gespräch lauschte. Er fühlte sich gestört durch seine Anwesenheit. Aber jetzt, wo er einen Führer gefunden hatte, wollte er sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen.

»Du mußt die ganze Sahara durchqueren, und dafür brauchst du viel Geld. Ich möchte mal sehen, ob du überhaupt genug Geld bei dir hast.«

Der Jüngling fand die Frage etwas befremdend. Aber er vertraute dem Alten, der behauptet hatte, daß uns das gesamte Universum unterstützt, wenn wir etwas ganz fest wollen. Also holte er sein Geld aus der Tasche und zeigte es dem Neuankömmling. Der Besitzer der Bar näherte sich, um es auch sehen zu können. Die beiden wechselten ein paar heftige Worte auf arabisch. Der Barbesitzer machte einen aufgebrachten Eindruck.

»Laß uns gehen«, meinte der Neuankömmling. »Er will uns hier nicht haben.«

Der Jüngling war erleichtert. Er stand auf, um die Rechnung zu begleichen, aber der Barinhaber packte ihn beim Arm und redete wild auf ihn ein. Der Jüngling war zwar kräftig, doch er befand sich in der Fremde, und so war es sein neuer Freund, der ihm aus der Patsche half, den Barkeeper beiseite stieß und ihn mit ins Freie zog.

»Er wollte dein Geld«, sagte er. »Tanger ist nicht wie das übrige Afrika. Wir sind hier in einer Hafenstadt, und in Häfen wimmelt es bekanntlich von Dieben.«

Seinem neuen Freund konnte er wirklich trauen. Schließlich hatte er ihm aus einer kritischen Lage herausgeholfen. Er nahm das Geld aus der Tasche und zählte es.

»Wir können schon morgen bei den Pyramiden sein«, sagte der andere und nahm das Geld. »Aber vorher muß ich noch zwei Kamele kaufen.«

Nun schlenderten sie gemeinsam durch die engen Gassen von Tanger. Überall lagen Waren aus. Endlich kamen sie an einen großen Platz, auf dem Markt war. Es gab Tausende von diskutierenden Menschen, die kauften und verkauften, Gemüse, daneben Schwerter, Teppiche zusammen mit jeder Art von Pfeifen. Aber der Jüngling ließ seinen neuen Freund nicht aus den Augen. Der hatte ja sein ganzes Geld eingesteckt. Am liebsten hätte er es zurückverlangt, aber irgendwie erschien es ihm doch unhöflich. Immerhin kannte er noch nicht die Sitten in diesem fremden Land.

›Ich brauche ihn nur zu beobachten‹, beruhigte er sich, und außerdem war er kräftiger als der andere.

Da bemerkte er mit einemmal, zwischen all dem Gemüse, das herrlichste Schwert, das er je gesehen hatte. Die Scheide war silbern und der Griff schwarz, bespickt mit bunten Steinen. Der Jüngling schwor sich, dieses Schwert bei seiner Rückkehr aus Ägypten zu kaufen.

»Frag mal den Händler, was es kosten soll«, wollte er sich an seinen Freund wenden, da wurde ihm bewußt, daß er jenen für zwei Sekunden aus den Augen gelassen hatte, als er das Schwert betrachtete. Sein Herz zog sich zusammen. Er hatte Angst, zur Seite zu schauen, denn instinktiv wußte er, was passiert war.

Sein Blick blieb noch für einige Augenblicke an dem schönen Schwert haften, bis er Mut gefaßt hatte und sich umwandte. Um ihn herum war der Markt mit den vielen schreienden und verhandelnden Menschen, die Teppiche neben den Haselnüssen, die Salate zwischen den Silbertabletts, die Männer, die sich an den Händen hielten, die verschleierten Frauen, der Duft exotischer Speisen, aber nirgends, wirklich nirgends eine Spur seines Freundes.