Выбрать главу

Tatsächlich schritt der junge Graf in so stolzer Haltung neben ihr durch den Burghof, als ob zu seiner Rechten sämtliche Reichsfürsten knieten und zu seiner Linken alle Potentaten des Morgenlandes. Wie immer in den letzten Wochen trug er seinen scharlachroten Krönungsmantel und die achteckige Silberkrone, allerdings war es nicht ganz leicht gewesen, ihn auch zu Hemd, Wams und Hosen zu bereden. In seinen Gemächern duldete Julius keine Kleidung mehr an seinem Körper, ausgenommen den gräflichen Habit.

Huldvoll neigte er nun sein Haupt in Richtung der Schweineställe, die Kuchelmaiden kicherten in ihrem Rücken, und doch fühlte Markéta zum ersten Mal nach Wochen voller Kummer wieder etwas Zuversicht. Die Sonne schien vom wolkenlosen Himmel, und obwohl die Moldau immer noch zugefroren war, lag bereits ein Hauch von Frühling in der Luft. Man schrieb den 11. Februar 1608, und was sie insgeheim befürchtet hatte, war tatsächlich eingetreten: Die mütterliche Mätresse übte einen üblen Einfluss auf Julius’ Befinden aus.

Aber die Stradovä würde es sowieso nicht mehr lange hier in Krumau aushalten, sagte sich Markéta, immer schmerzlicher schien sie den Glanz der Prager Burg zu vermissen, die Nähe der kaiserlichen Majestät.

Tatsächlich war es seit Neujahr immer schwieriger mit Julius geworden, sogar sie selbst hatte sich zuweilen bei dem Gedanken ertappt, dass sein Geist womöglich für immer verdunkelt bleiben würde. Den ganzen Januar über hatte sie die verschiedensten Finten erprobt, um Julius zumindest stundenweise aus seinem Gemach zu locken, hinüber in den großen Saal oder hinaus in die klare Winterluft. Sie hatte ihm vorgeschlagen, Sargenfalt in seiner Turmstube zu besuchen oder nach den Bären im Graben zu schauen, in d’Alemberts Wundersammlung zu stöbern oder das Schauspiel anzusehen, das die wenigen Künstler, die noch auf der Burg geblieben waren, zur Monatsmitte aufführen wollten. Doch jeder dieser Versuche, ihn aus dem Bannkreis des unseligen Porträts zu locken, hatte Julius nur in fürchterlichen Zorn, ja in schiere Raserei versetzt.

Heute Morgen aber war Markéta auf eine Lösung verfallen, so nahe liegend, dass sie kaum mehr begriff, warum sie nicht längst schon daran gedacht hatte. Wenn Julius drauf bestand, das Bildnis ständig vor Augen zu haben, dann würden sie es eben vor ihm hertragen, durch Säle und Gänge, über Treppen und Höfe, wohin auch immer er lustwandeln würde.

Und so geschah es nun, zur Belustigung der Dienerschaft, die hinter Tür- und Fensterspalten kaum an sich halten konnte vor boshafter Freude über den Narren im Grafenhabit. Wie an Schnüren gezogen trabte der junge Herr hinter dem Bildnis her, das auf dem Rücken des Gardisten Brodner schaukelte. Anstelle seines Gesichtes wies es nur ein leeres Oval auf, gleichwohl behielt Don Julius das Gemälde scharf im Blick, so als ob er jeden Moment damit rechnete, dass der ölige Spiegel endlich seine eignen Züge zeigen würde. Und um die närrische Szene komplett zu machen, hing an seinem Arm die einstige Baderstochter, die sich nun Markéta da Ludanice nannte und von ihrem Kaiserbastard offenbar nicht lassen wollte, auch wenn dessen Seele vom Teufelsmagister entführt worden und das Lichtlein seines Geistes darob erloschen war.

Ah, sie kannte all die Spottreden, die man sich hinter ihrem Rücken zuraunte! Aber heute war es ihr wahrhaftig und von Herzen gleich: Eine Ahnung von Frühlingsmilde streichelte ihre Wangen, und so wie es in der Natur mit jedem Tag ein wenig heller und wärmer wurde, so würde es auch mit Julius’ Gesundheit nun Schritt für Schritt aufwärts gehen.

Von weitem winkte sie Lisetta zu, die kleine Zofe trat eben aus der Tür zum einstigen gräflichen Hospiz. Ihre Bewegungen wirkten emsig und abwesend zugleich, sie war ein wenig wunderlich geworden, seit sie in Hezilows Hölle hinabgesprungen und, vor allem, seit ihr geliebter Flor entschwunden war. In jeder freien Stunde tappte Lisetta treppauf, treppab, durch leere Gemächer, modrige Säle, verwaiste Gänge, auf rastloser Suche nach dem Nabellosen - »er hält sich versteckt, zu Tode verschreckt, Madame, hier irgendwo in der Burg«, wie sie immer wieder beteuerte.

Behutsam lenkte Markéta Julius’ Schritte dem Hungerturm entgegen, dessen Fassadenpracht von den Schrecknissen in seinem Innern so wenig erahnen ließ. Aber es war kaum nötig, Julius zu steuern, da er wie ein Schlafwandler hinter dem Bildnis herlief.

In stiller Prozession stiegen sie die Wendeltreppe hinauf, vorbei an dem dunklen Flur zur Kerkerzelle, in der einst der kaiserliche Bote mit dem Ritterbrief gesessen hatte, nach ihm der Medikus nebst Mular und vor ihnen allen Flor.

Wann immer ihre Gedanken zu Flor abirrten, machte ihr Herz einen holpernden Satz. Im Grunde erging es ihr wie Lisetta, noch immer, nach so vielen Wochen, mochte auch sie selbst kaum glauben, dass Flor nicht mehr bei ihr war. Aber er ist noch am Leben, dachte sie, ich spür’s ja genau. Im Übrigen hatten Oberst Hoyos’ Suchtrupps nirgendwo Trümmer eines abgestürzten Drachenapparats gefunden, weder auf der zugefrorenen Moldau noch draußen am Rabenacker, keine Trümmerstücke und auch keine Leichname, weder von Flor noch von Hezilow.

Der Puppenmacher und der Nabellose blieben spurlos verschwunden und gerade dadurch in die Erinnerung der Leute von Krumau eingebrannt. Nach wie vor wurden in Burg und Stadt haarsträubende Geschichten über jenen Tag erzählt, an dem der Teufelsmagister und seine Kreatur auf dem Drachen davongeflogen waren.

Oben vor der Turmstube verbreiterte sich die Treppe zu einer kleinen Plattform. Franz Brodner blieb stehen und wandte sich zu Markéta um.

»Dreh er seinen Arsch wieder her, Soldat«, hob Julius zu schreien an, »sonst lass ich ihm den Schwanz als Jausenwurst servieren!«

Markéta erhaschte einen entgeisterten Blick des flachsblonden Wirtssohns, dann fuhr Brodner wieder herum, seine Kehrseite nebst Porträt präsentierend.

»Klopf halt an, Franz«, sagte Markéta. Es erstaunte sie jedes Mal aufs Neue, wenn die Leute vor Julius’ Flüchen und Drohungen erschraken. Es sind Zeichen seiner Krankheit, dachte sie, nicht er selbst stößt diese Verwünschungen aus, sondern der Lumpenteufel, der seine Seele gefangen hält.

Der Gardist pochte an die Tür und stieß sie im gleichen Moment auf. Offenbar hatte er es eilig, den Abstand zwischen Don Julius und sich selbst wieder zu vergrößern.

Die Sternguckerstube war hierfür indessen nicht der rechte Ort:    Franz Brodner machte einen Schritt ins winzige Rundgemach, zwängte sich zwischen Bett und Pult hindurch und verharrte wie eine Steinsäule, seine Nase zwei Zoll vor der Wand. Julius folgte ihm eilends, wobei er noch immer teuflische Verwünschungen murmelte.

Notgedrungen blieb Markéta auf der Türschwelle stehen. »Gott und dem Kaiser zum Gruß, Herr Astrolog«, rief sie mit erhobener Stimme zum Bett hinüber, wo Sargenfalt auf seiner Sternendecke saß. Sie hatte seit langem vorgehabt, den unglücklichen Alten einmal zu besuchen, aber wie sie sich nun sagte, hätte sie wohl besser dran getan, allein zu kommen. »Wie geht es denn immer so, werter Herr?«

Sie beugte sich zur Seite, um an Julius vorbei zum Astrologen zu spähen.

Von Sargenfalts furchiges Gesicht hatte einen fragenden Ausdruck angenommen. Sein klapperdürrer Greisenleib war in einen schwarzen Mantel gehüllt, die dünnen weißen Haare standen wie Strahlen von seinem Schädel ab. »Ludovica da Ludanice, gewiss«, nuschelte er und starrte auf die Decke, über die seine Hände unentwegt strichen, als schiebe er ein Gewimmel winziger Tiere zu sich her. »Tag und Nacht such ich Eure Anverwandte, so viele Seelen im Nebelmeer, Madame.«

»Wir sind der König«, sagte Julius, »auf welche Weise wünscht Ihr uns zu dienen?«

Der Astrolog fuhr zusammen, doch sein Blick blieb auf die gestickten Sterne gerichtet. »Der König«, wiederholte er in einem Tonfall, als ob das Wort eine fast vergessene Melodie in ihm erklingen ließe. Unablässig waren seine Hände in Bewegung, immer wieder bog er seinen Oberkörper mit verblüffender Geschmeidigkeit zur Seite, um unsichtbare Glühwürmchen von den entferntesten Gegenden seines Bettes herbeizuziehen.