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»Wir wollten nur einmal rasch vorbeischauen, Herr Astrolog«, sagte Markéta in munterem Tonfall. »Jetzt müssen wir schon weiter, nicht wahr, Julius? - Du zuerst, Franz«, fügte sie leiser hinzu.

Julius warf einen raschen Blick über seine Schulter, dann wandte er sich hastig wieder nach vorn, um das Bildnis nicht aus den Augen zu verlieren. »Wir sind der König, Madame«, sagte er in einem Ton, der Unruhe verriet. »Auf welche Weise wünscht Ihr uns zu dienen?«

»Auf jede erdenkliche Weise, Majestät.«

Sie hatte die Floskel wohl schon tausendmal gebraucht, doch diesmal blieb die besänftigende Wirkung aus. Franz Brodner hatte sich umgewandt, um sich wieder aus der winzigen Stube hinauszuschieben, wie Markéta es angeordnet hatte, damit aber geriet das Bildnis aus Julius’ Blick.

»Dreh er sich um, Arschgardist!«, kreischte der Graf. »Herum mit ihm, aber hoppsa, oder wir schneiden ihm die Schwarte runter und kochen seinen Schinken auf dem Athanor!«

»Mach schon, Franz«, sagte Markéta leise. »Und jetzt rückwärts - ganz langsam, ja?«

Der Gardist tat wie geheißen, das Bildnis, das er an einer Schnur um den Hals gebunden trug, bebte auf seinem Rücken wie eine Vogelscheuche im Herbstwind. Behutsam legte Markéta ihre Hände auf Julius’ Schultern und zog ihn rückwärts aus der Turmstube. Franz Brodner folgte ihnen, gleichfalls rückwärts wandelnd, wobei er mit dem klobigen Bilderrahmen erst an das Bett zu seiner Rechten, dann ans Stehpult und schließlich ans Fernrohr stieß, das wie ein metallener Frosch auf seinem Schemel hockte.

»So viele Seelen, so viele Lichterfäden, Madame«, hörte Markéta den Astrologen murmeln. Währenddessen presste sich der Gardist vor der Sternguckerstube an Don Julius vorbei, mit der Nase buchstäblich über die Wand schleifend, und stolperte endlich die Stufen hinunter, gefolgt von Julius, der in seine würdevolle Haltung zurückgeglitten war.

In Flors Fuchsstiefeln stapfte Markéta hinter den beiden her, der Schrecken saß ihr noch in den Gliedern, und doch musste sie sich ein Lächeln verbeißen. Die unflätigen Flüche, die manchmal aus Julius hervorbrachen, das war bloß der Lumpenteufel, der seine Seele gefangen hielt. Aber daneben wohnte auch ein Kind in diesem Körper eines kraftvollen jungen Mannes, ein Knabe von träumerischer Sanftheit, der immer mehr ihrem lieben kleinen Flor zu ähneln schien.

87

»Der Kaiser hat entschieden: Julius bleibt bis auf weiteres hier in der Burg, protegiert von Oberst Hoyos und hundert Mann der kaiserlichen Garde.«

Bewacht, dachte Markéta, wär wohl das ehrlichere Wort. »Und ich, Madame - wie hat die väterliche Majestät über mich entschieden?«

»Über Euch?«, echote die Stradovä mit einem milden Lächeln.

»Alors, ma chère ...« Von Kopf bis Fuß in blendendes Weiß gekleidet, glich sie mehr denn je einer Winterwolke, die mit eleganter Leichtigkeit über den Himmel gleitet. »Johanna von Waldstein jedenfalls hat beschlossen, den Schleier zu nehmen, nachdem Julius ...«

»Sie geht ins Kloster?«, fiel ihr Markéta ins Wort. Aber das ist ja wunderbar!, wollte sie hinzufügen, verbiss sich den Jubelruf indes im letzten Moment.

Die Stradovä nickte mit einem Lächeln, das Markéta fast verständnisinnig schien, dann schweifte ihr Blick zu Julius hinüber, und ihre Miene gefror.

»Und Ihr, Madame«, wagte sie endlich zu fragen, »Ihr verlasst Don Julius auch?«

Die mütterliche Mätresse ließ ihrem Mund einen melodischen Seufzer entgleiten. »Was gäb ich drum, wenn ich noch länger bleiben könnte«, sprach sie. »Aber der Kaiser bedarf meiner, und Ihr wisst ja, ma chère - oder nicht?« In gespielter Verwirrung sah sie zur Mätresse ihres Bastardsohns hinüber, die ihr vor dem gräflichen Kamin gegenübersaß, in demselben Herbstzeitlosenkleid, das sie bei ihrer ersten Begegnung getragen hatte, im Burghof vor Hezilows Unterwelt. »Nun, wahrscheinlich kennt Ihr die Redensart nicht«, sagte sie in abschließendem Ton. »Im Hradschin würdet Ihr sie von morgens bis abends hören: Wenn der Kaiser ruft, hat das Herz zu schweigen.«

Sie erhob sich, knisternd und gleißend, lieblich und kalt wie ein überfrorener Kirschblütenbaum. »Ah, nicht dass ich’s vergesse und Ihr die Kinder noch vermisst, ma chère. Johanna und ich sind übereingekommen, alle Waisen, die der selige Maître um sich geschart hatte, kirchlicher Obhut anzuvertrauen.«

»Waisen, Madame?«

»Na, die halbwüchsigen Bengel und Mädelchen, die zu seinem Künstlervolk gehörten. Die Künstler selbst werden allesamt weiterziehen - einige kommen nach Prag, andere versuchen ihr Glück in Wien oder München. Die Kinder aber, die syrakusischen Zwillinge und was es da noch so alles geben mag, bringen Johannas Nonnen ins Waisenhaus.«

»Die syrakusischen Zwillinge?« Markéta selbst kam sich täppisch vor, wie sie vor der blendend eleganten Stradovä saß, mit aufgerissenen Augen lauschte und nur ab und an ein paar ihrer Worte wiederholte, stumpf wie ein Waldecho. »Lenka und Fabrio lasst bei mir, ich bitt Euch«, fügte sie hinzu, »Julius hat sie immer so gern um sich gesehen. Außerdem bin ich’s dem Maître schuldig.«

Die Stradovä hob strichdünne Augenbrauen. »Trop tard, ma chère, zu spät, die Kutsche mit den Kindern ist heute früh nach Budweis abgefahren.«

»Aber Julius hat’s nicht ...«

Katharina trat auf sie zu, winkte Markéta empor und schloss sie in eine schneeflockenzarte Umarmung. »Den Bedauernswerten zu fragen hätte keinen Sinn mehr, ma chère«, raunte sie, »machen wir uns nichts vor. Ihr habt doch sicher von der so genannten Habsburger Umnachtung gehört?« Sie löste sich von ihr und schaute unternehmungslustig in Richtung Tür.

»Nun, er ist nicht der Erste dieses großartigen Herrscherhauses«, sagte sie, »auf den sich das dunkle Tuch hinabsenkt. Den meisten seiner Ahnen waren allerdings - und sind, d’ailleurs -lange Jahrzehnte ungetrübter Geistesklarheit vergönnt, mehr oder weniger ungetrübter, um genau zu sein.«

Flüchtig sah sie noch einmal zu Don Julius hinüber, der auf seinem Prunksessel saß, im scharlachroten Umhang, die Krone auf dem Haupt, und mit gesammelter Miene das Porträt betrachtete. »Aber mir ist kein einziger Fall von Heilung bekannt«, fuhr die Stradovä fort, »kein Onkel oder sonstiger Ahn des armen Julius, der, einmal vom Familienwahn betroffen, die Umnachtung wieder abgeworfen hätte - kein einziger«, wiederholte sie, und ein schmerzlicher Ausdruck trat in ihr Gesicht. »Seid vorsichtig, ma chère, Ihr liebt ihn, seid dennoch auf der Hut! Schon seit Jahren mehren sich die Zeichen, und erst im letzten Frühjahr, wenige Tage bevor d’Alembert ihn hierhergebracht hat ...«

»Das war nicht er!«, fiel Markéta ihr wieder ins Wort. Sie stemmte die Hände in die Hüften. »Glaubt Ihr wirklich, Madame, dass Euer Sohn ein Mörder wär?«

»Mörder?«, wiederholte Julius von der anderen Seite des Salons her.

»Wir sind der König: Wie wünscht Ihr uns zu dienen, Mörder?«

»Ich jedenfalls glaub’s nicht«, fuhr Markéta leiser fort, »Julius hat mir von der armen Maid erzählt, von diesem Mariandl, das tot in seinen Armen lag, wie er damals aufgewacht ist in Prag.«

Einen Moment lang sah die Stradovä sie wortlos an, und nur ein schwaches Flattern ihrer Lider verriet, dass ihre Fassung erschüttert war. »Aber neben ihm lag ja das blutverschmierte Beil!«, rief sie aus.

»Und es war ja auch nicht der erste ... Zwischenfall, hat Julius Euch auch das gebeichtet?«

»Madame? Wir sind der König: Wie wünscht Ihr uns zu dienen, Madame?«

»Auf jede erdenkliche Weise, Majestät!« Markéta rief es zu Julius hinüber und nickte der Stradovä zur gleichen Zeit zu. »In jener Nacht im letzten Mai«, sagte sie, »als das Mariandl bei ihm im Hradschin war, da ist Johanna vor seiner Tür herumgeschlichen - wusstet Ihr das, Madame? Einmal hat er was poltern gehört, auf dem Flur vor seinem Gemach, da ist er rasch nach draußen, und vor ihm stand die Waldstein.«