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Er sah Julius von der Seite her an, und für einen Moment schien es ihm, als wäre auch der Kaisersohn von diesem Saal beeindruckt, in dem einige der besten Maler Europas gearbeitet hatten. Denn Wilhelm von Rosenberg war nicht nur ein hoch angesehener Alchimist, sondern auch ein Mäzen und Kunstfreund von weithin leuchtendem Glanz gewesen, berühmt überdies als großzügiger, ja als großartiger Zahler.

Doch Julius sah sich nur flüchtig nach all den Wundern um, dann entzog er dem Maître seinen Arm. Er machte einen Schritt in den Saal hinein und fuhr herum, dass sein Umhang wallte. »Vorspiegelungen, mon cher maître«, sagte er, »Trug und Täuschung, alles schön und gut! Haben wir nicht bis zum Überdruss drüber debattiert? Derlei Gleisnerei verändert diese Welt so wenig wie Traumgefasel, sie verzerrt sie nur und äfft sie auf närrische Weise nach. Die geheime Wissenschaft der Alchemie dagegen .«

Seine Augen nahmen abermals jenen unguten Glanz an, und d’Alembert beeilte sich, seinem Schützling mit weicher Stimme ins Wort zu fallen: »Alles zu seiner Zeit, Euer Liebden, ich bitte Euch, lasst uns erst einmal Euren Einzug und den neuen Akt im Theater des Lebens feiern, der für Euch und für uns alle, Eure ergebenen Diener, an diesem Tag beginnt. - Musik!«, befahl er, und ehe Julius etwas einwenden konnte, traten in der Tiefe des Saals ein Dutzend verschlafener Musikanten hinter einem Vorhang hervor.

Die Lauten- und Harfenspieler waren ebenso jung und kunstvoll entkleidet wie ihre Vorbilder auf dem Wandgemälde, und als sie vor und zwischen den gemalten Musikanten Aufstellung nahmen, hätte tatsächlich niemand sagen können, welche dieser singenden Nymphen und musizierenden Satyrn nun aus Öl und Leinwand erschaffen waren und welche aus Fleisch und Blut.

Weiterhin behielt d’Alembert seinen Schützling scharf im Auge. Wie sehr hatte er seit Monaten darauf gedrängt, dass sie die Prager Burg hinter sich ließen, nun endlich waren sie am Ziel, wenn auch möglicherweise zu spät. Der Hradschin war nichts anderes als ein riesenhaftes Narrenhaus, sagte sich der Maître, das durch die kaiserlichen Verderbt- und Verschrobenheiten mehr und mehr verzaubert wurde. In hellen Mondnächten konnte es dort geschehen, dass Ihre Majestät höchstderoselbst im silbern gesäumten Nachtgewand durch Flure und Kammern tappte, die Augen zu rot marmorierten Schneekugeln verdreht, während Schreie von hündischer Verzweiflung oder auch von wölfischer Begierde aus der kaiserlichen Kehle drangen. Immer offener wurde in den Prager Antekameras gemunkelt, dass der viel beschriene Habsburger Wahnsinn auch den Geist Rudolfs II. zu verdunkeln beginne, und Don Julius war sein ältester Nachkomme, der zumindest auf dieses Erbteil unabweisbare Ansprüche erhob. Während ihm alle glanzvollen Facetten der väterlichen Hinterlassenschaft auf alle Zeiten verwehrt waren, das Zepter des Kaiserreichs ohnehin und die böhmische Wenzelskrone ebenso; schon dass Rudolf seinem Bastardsohn die ausgezehrte Rosenberger Herrschaft zugeschlagen hatte, war mit heller Empörung aufgenommen worden, in der Krumauer Bürgerschaft und an den Höfen des halben Abendlandes.

Aber ich werde Julius aus jeder Bedrängnis retten, schwor sich d’Alembert wie nahezu täglich, dabei hinter dem jungen Burgherrn hereilend, der nun mit raschen Schritten auf die Musikanten zustrebte, alles werde ich tun, um ihn vor Schmerz und Schande zu bewahren. Und uns beide vor dem Sturz.

Hinter ihnen segelte jetzt auch die gräfliche Gefolgschaft in den ehemaligen Wappensaal der Rosenberger: der hoch aufragende Oberstkämmerer von Hasslach und der rundliche Oberststallmeister Skraliçek, fünf Kammerherren und dreimal so viele Edelknaben, Maler und Bildhauer, Schauspieler und sonstige junge Leute von allenfalls halbgewisser Herkunft, die sich als Künstler ausgaben, obwohl jeder wusste, dass sie hauptsächlich das Schmarotzertum und die Schamlosigkeit zur Kunst entwickelt hatten. Ein Glück nur, dachte d’Alembert, dass Johanna von Waldstein vorerst in Prag zurückgeblieben war, Julius’ gottfromme Verlobte, deren Nähe den Kaisersohn noch ärger verdross als eitel Sonnenschein.

Er winkte von Hasslach zu sich. »Eine heikle Mission, mon ami«, sagte er mit gedämpfter Stimme, »Don Julius wünscht die Oberen von Krumau im Audienzsaal zu sehen - jetzt gleich.«

Der hagere Oberstkämmerer riss die Augen unter grauen Brauenbüscheln auf. »Davon rat ich schlankweg ab, Maître. Die Ratsherren werden sich weigern, das lässt sich leicht voraussehen. Ein Affront, wird’s gleich wieder heißen - und warum auch just heut und in Herrgottsfrühe? Bald zwei Jahre sind vergangen, seit Ihre Majestät ihm die Grafschaft zugeschlagen hat. Nicht ein einziges Mal ist Don Julius seither hier in Krumau gewesen - und da sollen sie gerade jetzt herbeieilen und ihm die Hände küssen?«

»Ich weiß, ich weiß, mon ami.« D’Alembert sah mit einem dünnen Lächeln zu ihm auf. »Aber nun ist Don Julius eben hier, und die stolzen Bürger von Krumau werden wohl oder übel das Knie vor ihm neigen müssen.« Im Hintergrund bemerkte er einen Gardisten in blauer Uniform, der offenbar versuchte, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. »Also sendet jemanden zum Rat von Krumau oder begebt Euch am besten selbst zum Rathaus hinunter.« Er nickte von Hasslach zu und winkte zugleich den Soldaten herbei.

»Gardist Jan Mular!« Inmitten des ganzen Wirrwarrs aus Musikanten, schwatzenden Künstlern und umherschwirrenden Höflingen knallte er die Hacken zusammen.

»Was gibt es?« Zu seinem Ärger bemerkte d’Alembert vier blutige Zickzacklinien auf der Wange des dicklichen Gardisten. Vor einem halben Jahr hatte er vier Hundertschaften junger Männer aus der Grafschaft ausheben lassen, um sie in einer Kaserne am Stadtrand von Prag zu Wachsoldaten auszubilden, und noch am gestrigen Sonntag hatte er die gesamte gräfliche Salvaguardia nach Krumau abkommandiert. Aber dieser zerkratzte Bauerntölpel schien den sechsmonatigen Drill im Schweinekoben verschlafen zu haben.

»Melde gehorsamst, Herr Obersthofmeister - am untern Burgtor stehen Krumauer Bürger und begehren den Herrn Grafen zu sprechen.«

»Ah bon?«, machte d’Alembert, verblüfft über die Promptheit, mit der sich Julius’ Voraussage zu bewahrheiten schien. »Und um wen handelt es sich?«

»Um einen gewissen Pichler, Bader von Krumau, Herr Obersthofmeister, sowie seine Tochter und ein ... Subjekt. Der Bader will was zurückgeben, das dem Herrn Grafen gehört, wie er angibt.«

D’Alembert wechselte einen Blick mit von Hasslach. »Lasst sie ein«, befahl er Mular, »sie müssen allerdings noch in der Kammer neben dem Thronsaal warten. Sag ihnen, die Audienz beginnt um Schlag neun.«

Eigentlich hatte er dem Soldaten noch einen Rüffel erteilen wollen: Wusste dieser Mular denn nicht, dass den gräflichen Gardisten Raufereien untersagt waren? Doch der Maître beließ es bei einer knappen Handbewegung, die den Gardisten aus dem Saal scheuchte, in diesem Moment nämlich spazierte das syrakusische Zwillingspaar Arm in Arm an ihm vorbei. Vor drei Wochen waren die beiden, Fabrio und Helena, mit einer fahrenden Theatertruppe nach Prag gekommen, und Don Julius hatte sich in die bronzehäutige Hübschheit der halbwüchsigen Geschwister vergafft und sie für ein paar Silbermünzen freigekauft. Seither hatte Fabrios Brombeerlächeln auch d’Alembert manche schlaflose Nacht bereitet - im Moment allerdings gab es Wichtigeres zu bedenken, rief er sich selbst zur Ordnung und wandte seinen Blick von dem jungen Syrakuser ab.

Unterdessen hatte Julius an der Tafel Platz genommen, umgeben von Nymphchen und Satyrn. D’Alembert machte Freiherr von Breuner ein Zeichen; sein ältlicher Haushofmeister stand am anderen Ende des Saals, neben der geschlossenen Doppeltür, hinter der zweifellos schon die Kuchelmägde mit Silbertabletts voll hastig zubereiteter Speisen warteten: kalter Kapaun und Schwanenpastete, dazu weißes Brot und Tokaier. Als von Breuner die Geste des Maître bemerkte, nestelte er den Silberschlegel aus seinem Gürtel und schlug auf den mondgesichtigen Gong, den d’Alemberts Gesandte für ein Spottgeld im Hafen von Amsterdam erstanden hatten.