Выбрать главу

11

Der Tokaier schwappte ihm unter der Schädeldecke, und die gläsernen Klänge des Klavichord gellten ihm noch in den Ohren. Von d’Alembert in den Audienzsaal geführt, blieb Julius vor dem Marmorsockel mit dem alten Rosenberger Thronsessel stehen. Auf einmal war er sich gar nicht mehr so sicher, ob er das Horoskop und seinen Traum richtig gedeutet hatte. Und wenn Mariandls Sternengucker doch bloß ein Scharlatan war?

»Die Leute aus der Stadt«, sagte er, »sind denn welche gekommen?«

In die Hölle mit allen Betrügern, auch die väterliche Majestät hatte er mehr als einmal über hinterlistige Sternengaukler wettern hören. Doch auch der Kaiser machte seit langem keinen Schritt mehr, ohne zuvor seine Astrologen zu befragen.

»Alles, wie Ihr befohlen habt, Excellence.« Der Maître bedachte ihn mit dem starren, kalkweißen Lächeln, das Julius früher bis in seine Träume verfolgt hatte, Schreckensträume von Steinmasken, die sich unversehens verzerrten, und von Gesichtern, die sich als steinkalt erwiesen, wenn er mit dem Finger darüberfuhr. »Doch gestattet mir, Euch erst noch mit den gräflichen Insignien zu versehen.« Vom herbeieilenden Oberstkämmerer nahm er einen scharlachroten Prunkmantel entgegen, den er Julius mit einer schwungvollen Bewegung überwarf. »Nun seid so gütig und nehmt Platz.«

Fügsam erklomm Julius die drei Sockelstufen und ließ sich in den Sessel sinken. Soweit er zurückdenken konnte, hatte d’Alembert ihn immer gegängelt und dirigiert, gelockt und belogen, bedroht und umschmeichelt, und weder er noch seine Mutter Katharina hatten sich jemals drum geschert, ob er selbst in die Richtung gehen wollte, in die sie ihn so gebieterisch drängten. Schließlich war er nur ein Bastard des Kaisers, da musste er sich doch glücklich schätzen, dass die väterliche Majestät ihm ein paar Häppchen ihrer allerhöchsten Gunst zukommen ließ! Und wem verdankte er diese Gnadenbrocken -natürlich nur der mütterlichen Mätresse und dem unermüdlichen d’Alembert. Aber damit würde es bald vorbei sein, sagte sich Julius. Künftig würde er bestimmen, wo es entlangging - nicht auf hinterwäldlerische Grafenburgen, sondern im Triumph zurück nach Prag! Ich hab dem Mariandl das Licht nicht ausgeblasen, dachte er wieder. Jemand muss mir das tote Hürchen untergeschoben haben - aber wer nur und zu welchem hinterfotzigen Zweck?

Der Audienzsaal war ein Labyrinth aus Spiegelwänden, die sein dürftiges Gefolge zur häupterstarken Schar anschwellen ließen. Auch die Musikanten waren aus dem Großen Saal herübergekommen. Zwischen Satyrn und Nymphen stand der hünenhafte Medikus von Rosert, sein haarloser Kopf leuchtend wie ein Lampion. Auf gelben Schnabelschuhen glitt Gabriele da Biondo herbei, d’Alemberts venezianischer Lieblingsmaler, unter dem Arm seine Staffelei, die er zwei Schritte neben dem Thron aufstellte. Obwohl die Fenster immer noch geöffnet waren, hing ein leichter Modergeruch im Saal. Mit einem Mal wurde Julius bewusst, dass seine Finger vor Anspannung zitterten.

Aus von Breuners Händen nahm d’Alembert nun eine achteckige Krone aus getriebenem Silber entgegen, klomm zwischen den Syrakusern, die wie Sphingen auf dem Sockel hockten, die Stufen empor und setzte die Haube auf Julius’ Schopf. Wie geschmacklos, dachte der Gekrönte. Tatsächlich hatte d’Alembert die Ottonenhaube nachbilden lassen, ein Krönungsinsignium des Heiligen Römischen Reichs. Doch als er um sich blickte und sich in Prunkmantel und Krone dutzendfach gespiegelt sah, war er gegen seinen Willen beeindruckt. Auch wenn’s nur ein Vorschein ist, dachte er rasch, bloß eine Theaterprobe.

»Euer Herrlichkeit, Graf von Krumau«, sprach Maître d’Alembert, »als Euer ergebenster Diener flehe ich Euch an: Regiert weise und nachsichtig, seid Euren Untertanen ein milder und gerechter Herr.«

Ehe Julius etwas erwidern konnte, wandte sich d’Alembert dem Oberststallmeister zu, nahm das mächtige Rosenberger Schwert, das Skraliçek ihm auf vorgestreckten Händen darbot, und legte es mit einer feierlichen Bewegung in Julius’ Arm.

Just da wurde an die Tür gepoltert, deren Flügel im gleichen Augenblick aufflogen, und auf der Schwelle erschien eine Person, die Julius in diesem Moment am wenigstens erwartet hätte. Dabei hatte er seit vorgestern mehr als einmal an sie gedacht und sie just so vor sich gesehen, wie sie nun in der Tür stand:    barfüßig,    im    hellen    Leinenkleid,    die    rossbraune Haarmähne im Nacken gebändigt. Über zwei Dutzend wirkliche und zweihundert gespiegelte Glatz- und Perückenköpfe blickte sie zu ihm herüber, mit einem warmen Glanz in den Augen und glühenden Wangen, die auch ihm die Hitze unter Krone und Gürtel trieben. Hinter Markéta - denn so hieß sie, Markéta Pichlerovâ, jetzt fiel’s ihm wieder ein - stand ein glatzköpfiger Mann in fortgeschrittenen Jahren, mit ausladendem Bauch und ebenso gewaltigem Schnauzbart. An ihrer Seite aber ein schmaler Jüngling, der aus einer gewaltigen Kapuze wie aus einer Fuchshöhle hervorlugte.

Julius spürte, dass seine Unterlippe zu zucken begann, wie beinahe immer bei starker Erregung, und wie vor zwei Tagen erst, dachte er, als ich ihre warmen, schlanken Finger in meiner Hand hielt. Markéta!

»Gnädiger Herr Graf«, sprach der dicke Mann, »mein Name ist Sigmund Pichler, ich bin der Bader von Krumau und gekommen, um dem Herrn sein Besitztum zurückzubringen.« Unter diesen Worten, die er mit dröhnender Bassstimme, wenngleich einigermaßen kurzatmig hervorstieß, schritt er langsam in den Saal, Markéta und den Jüngling vor sich herschiebend. »Dieser künstliche Knabe wurde mir von den Bütteln übergeben«, sprach er weiter, »und ich nehm doch an, dass er Euch entlaufen ist, durchlauchtigste Gnaden?«

Julius sprang von seinem Sessel auf, scheppernd fiel das Rosenberger Schwert zu Boden. »Künstlicher Knabe?«, wiederholte er, nun am ganzen Leib heftig zitternd. Vor seinem geistigen Auge sah er wieder den tönernen Kerl aus seinem Traum, unter den Knotenstern geduckt, während Mariandls Sternengucker in seinem Innern krächzte: »Ein Erleuchteter wird zu Euch kommen, mit einer künstlichen Figur, aber nicht in Prag!«

»Sehr wohl, Herr Graf«, brummte der Bader und brachte das Mädchen und den Burschen vor dem Grafenthron zum Stehen.

12

Markéta spürte die Anspannung in Flors Körper, der sich zitternd an ihre rechte Seite drückte. Aber sie war entschlossen, sich den Verstand nicht verwirren zu lassen, auch wenn die fremdartige Umgebung all ihre Sinne überreizte. Gerüche, die ihre Nasenflügel erbeben ließen - indische Moschussüße, dachte sie, sich an einen Liedvers erinnernd -, ein Tuscheln und Wispern in fremden Zungen - spanisch und französisch, wie sie annahm, jedenfalls verstand sie kaum eine Silbe -, dazu das Rascheln von Seide, die schreiend bunte Kleidung der Damen und Herren und, greller noch, die bronzene Nacktheit der beiden Schwarzgelockten, Knabe und Mädchen, die zu Füßen des Grafen hingekauert saßen.

Don Julius war auf seinen Sessel zurückgesunken, das riesenhafte Schwert lag unbeachtet neben ihm am Boden. Er sieht traurig aus, dachte Markéta, gefährlich, aber mehr noch trübselig wie ein gefangener Wolf. Freimütig erwiderte sie seinen Blick, wie vorgestern früh auf der Brücke. Aber warum nur schaute er sie unablässig an, während der Vater doch die ganze Zeit von Flor sprach?

». wurde mir dieser Bursche heute früh von den städtischen Bütteln ausgehändigt, durchlauchtigster Herr«, rapportierte der Bader, »da sie ihn ohne Bewusstsein aufgefunden hatten und annahmen, dass er verletzt sei.« Seine heilkünstlerische Untersuchung, fuhr er fort, habe keine Wunde zutage gefördert, sondern - wie solle er sagen - das blanke Gegenteil. Seine Linke krampfte sich in Markétas Schulter, jählings beugte er sich nach vorn, packte Flors Umhang und riss ihn bis zum Hals des Überrumpelten empor.