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Das Herz zog sich ihr zusammen. Flor, dachte sie, wie mochte es dem Fremdling in seinem Turmverlies ergehen? Wie oft hatte sie damals, als niederste Hilfsmagd der gräflichen Kuchelpartei, zu den Fensterluken emporgespäht und sich schaudernd vorgestellt, in einer dieser Zellen gefangen zu sein. Wilhelm von Rosenberg hatte die Turmfassade prachtvoll bemalen lassen, doch die unteren Etagen, so hatte sie damals die Kuchelmägde munkeln gehört, dienten noch immer als Kerker, hinter dessen Mauern manch ein Unglücklicher lebendig begraben war.

Sie stieg eine Wendeltreppe empor, Stockwerk um Stockwerk hinter Bronja und Lisetta, die in Holzpantinen voranklapperten, und gelangte endlich in einen breiten Gang. Ausgeblichene Teppiche bedeckten den Boden, altersdunkle Ölgemälde jede Handbreit freier Wand. Wohlgeborene Herren blickten unwirsch auf die Baderstochter herab, die meisten von ihnen machten den Eindruck, als ob sie sich in ihren engen Gewändern, kinnhohen Stehkragen, aufgetürmten Perücken unbehaglich fühlten.

Markéta selbst hatte das schwere, burgunderrote Kleid mit dem eckigen Dekollete, das die Zofen im Ankleideraum bereitgelegt hatten, nicht einmal anprobiert, wie sehr Lisetta auch geschmollt und Bronja sie beschworen hatte. Stattdessen war sie die vier Dutzend Kleider durchgegangen, die sich in den Schränken neben dem Badegelass bauschten, und hatte sich rasch für ein hellbraunes, streng geschnittenes Exemplar entschieden, das an gewissen Stellen zwar ein wenig eng saß, jedoch die beiden entgegengesetzten Übertreibungen der restlichen Modelle vermied: Weder reichte sein Kragen bis zu den Ohren hinauf, noch entblößte sein Dekollete den Busen bis knapp über dem Nabel. Anstelle der bequemen Pantinen, die sie zu Hause zu tragen pflegte, wenn sie nicht gleich barfüßig umherlief, hatte sie allerdings ein Paar türkisfarbener Chopinen wählen müssen, sieben Zoll hohe Stelzschuhe, die als Einzige ihren Füßen genügend Raum boten.

Unsicher schwankte sie auf den Chopinen voran, und bei jedem Schritt kniff das Kleid sie in der Taille. Von ihrem Kampf gegen Stehkragen und Dekolletes ermattet, hatte sie unter halbherzigen Protesten geduldet, dass Bronja ihr die Haarspitzen bleichte und Lisetta ihr rosa Schminkpuder auf die Wangen tupfte. Und mit jedem Duftspritzer, jedem Pinselstrich hatte sie sich ängstlicher gefragt, ob sie nicht wahrhaftig zu jenem Zweck gedungen worden war, den sie vorhin in den Gesichtern der beiden Zofen entziffert hatte: als gräfliche Liebesdienerin oder allenfalls als seine Mätresse, falls es ihr gelänge, die Zuneigung des jungen Herrn zu erringen, über erste Glut und Brunst hinaus.

Die Hitze stieg Markéta in die Schläfen, vor Empörung und Scham, aus keinem anderen Grund, auch wenn sie nun aufs Neue jene ziehende, keineswegs geheure Erwartung in ihrem Innern spürte. Der Blick seiner braunen Augen, dachte sie wieder, das leise Zucken seiner Lippen, das darum zu flehen schien, durch einen Kuss gestillt zu werden, die Moschussüße seiner Haut ...

Bronja und Lisetta blieben so unvermittelt stehen, dass Markéta beinahe gegen sie lief. Die blonde Zofe klopfte an eine Tür, beide lauschten, dann drückte Bronja die Klinke und sank, noch während die Tür aufging, zu einem Knicks zusammen.

»Euer Gnaden - Madame Markéta!«

17

»Hier bin ich, Exzellenz«, sagte die Baderstochter mit ihrer klaren, ein wenig spröde klingenden Stimme und trat ohne weiteres an der knicksenden Zofe vorbei ein.

Julius war aus seinen Grübeleien aufgeschreckt und sah ihr entgegen, wie sie mit störrischer Miene auf ihn zukam, Rücken und Hals hoch aufgerichtet, obwohl sie ihm geradewegs ins Antlitz sah, ihm, Don Julius Caesar, Graf von Krumau, ihrem durchlauchtigsten Herrn. Auch Giacomo da Biondo hatte sich halb zur Baderstochter umgewendet, mit verdrießlicher Miene, doch Markéta nickte ihm nur zu und ging langsam weiter ins Zimmer, dabei ihren Blick aufs Fenster heftend.

Na meinethalben, dachte Julius, vor sich selbst konnte er’s ja eingestehen: Was ihm an dieser Bürgersmaid gefiel, war nicht nur ihre Verwendbarkeit in dem flauen Spiel, das er seit Jahr und Tag gegen seinen Maître spielte. Er brauchte sie nur anzusehen, da begann sich sein Gemüt wie durch einen Zauber aufzuheitern. So etwas war ihm noch nie geschehen, schon gar nicht bei einem einfachen Mädchen aus dem Volk oder bei einem der Hürchen in den Schänken, die sich unterm Hradschin duckten. Mariandl!, durchfuhr’s ihn. Gewaltsam riss er seine Gedanken von ihr los.

»Das berühmte Moldau-Panorama der Rosenberger«, sagte er stattdessen, da Markéta immer noch zum Fenster schaute, »nur dem Pinselknecht zuliebe sind die Vorhänge aufgeblieben.« Mit dem ebenso berühmten Habsburger-Kinn deutete er auf da Biondo, ohne die Baderstochter aus dem Blick zu lassen. »Wenn du mich erst besser kennst, wirst du wissen, dass ich schöne Aussichten genauso hasse wie Sonnenschein, ob nun vom Himmel brennend oder in Öl gebannt.«

»Ich glaub, das ahnte ich schon, als ich Euch vorgestern das erste Mal zu sehen bekam«, antwortete sie mit einem kleinen Lächeln, das jedoch gleich darauf erstarb: Ihr Blick war von seinem Antlitz abwärts geglitten, an der schillernden Fläche des Prunkmantels hinunter bis zum Boden, wo die schamlosen Zwillinge ineinander verklammert lagen.

In seinem Gefolge, dachte Julius, wurden seit Wochen immer waghalsigere Wetten veranstaltet, wer die kleine Helena als Erstes schwängern würde, und die höchsten Einsätze galten ihrem Bruder Fabrio. Voller Verblüffung musterte er die Baderstochter, in deren Wangen wahrhaftig Röte aufstieg, wie in einem Kelch, den der Mundschenk mit Tokaier füllte. Sein Erstaunen wich der Rührung. Sie ist tatsächlich so unschuldig, wie ich’s vermutet hatte.

Noch immer ohne seinen Blick von ihrem Gesicht zu lösen, das nun bis zur Stirn hinauf entflammt war, stieß er mit beiden Füßen blindlings nach den Syrakusern: »Lenka, Fabrio - ab mit euch, ihr belästigt Madame durch eure Lutscherei.«

Die Zwillinge rappelten sich auf und waren im Nu durch eine Tapetentür verschwunden. Auf Julius’ Wink hin ließ auch da Biondo den Pinsel sinken, klemmte seine Staffelei unter den Arm und machte sich rückwärts buckelnd auf zitrusgelben Schnabel schuhen davon. Schon waren sie allein im Fürstensalon, dessen prachtvolle Einrichtung - scharlachrote Seidentapeten und schwere Sofas von der gleichen Farbe - die Baderstochter nun erst wahrzunehmen schien. Ihr Blick schweifte umher, doch die plötzliche Stille und ihre Zweisamkeit mochten ihr Unbehagen bereiten - ihre Wangen, eben noch von feuriger Röte, wurden mit einem Mal fahl.

»Ich hatte befohlen, dir das venezianische Kleid mit dem eckigen Dekollete umzuschnüren«, sagte Julius. Er beugte sich vor und machte Anstalten, mit der Rechten nach ihrem Kleid zu haschen. Markéta wich zurück und geriet auf ihren Stelzschuhen ins Schwanken. »Nimm Platz, wo du willst«, fuhr er in gleichmütigem Ton fort, »oder bleib auf diesen albernen Schuhen stehen, wenn’s dir lieber ist. Du machst sowieso, was du willst, das hab ich gleich gespürt, als du auf der Brücke vor mir standest. Und was mich betrifft: Momentan hab ich andres im Sinn als dein Kleid und was es vorläufig vor mir verbirgt.«

Er unterbrach sich und krauste die Stirn, seine Unterlippe zuckte.

»Was wisst Ihr von dem Nabellosen, den Ihr mir heute gebracht habt - von diesem Flor? Lasst hören, Madame.«

»Mit Vergnügen, Exzellenz«, gab sie zurück, »wenn Ihr mir gelobt, dass ihm in Eurer Burg kein Leid geschieht.«