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»Wo er haust, weiß ich nicht«, sagte sie rasch. Tatsächlich wusste sie überhaupt nichts mehr, zumindest nicht in diesem Augenblick, so schwindlig machten sie Julius’ Nähe und die ganz und gar fremde Welt, in die sie geraten war. Hezilow ein erleuchteter Magister? Und der Nabellose seine Kreatur, von dem verrückten kleinen Russen erschaffen aus Sonnenlicht und Dreck? Und jetzt legte Julius auch noch seine Hände um ihre Mitte und zog sie mit einer raschen Bewegung an sich heran. »Nach meiner Erfahrung, Exzellenz«, fuhr sie atemlos fort und versuchte ihn zum Gitter hin wegzuschieben, »taucht der Kerl immer dann auf, wenn man ihn am wenigsten gebrauchen kann.«

»Dann zwingen wir ihn so unfehlbar herbei.« Er zog sie noch enger an sich, und sein heißer Atem strich ihr übers Gesicht. »Denn im Moment, ich gesteh’s, wünsch ich den Puppenmacher wahrhaftig zum Teufel.« Er presste sie an sich.

»Lasst mich los, Don Julius - oder ich schrei!«

Die Drohung schien ihn zu erheitern, jedenfalls ließ er ein leises Glucksen hören, während seine Hände sich wie Klammern um ihre Mitte schlossen. Markéta wurde angehoben und verlor buchstäblich den Boden unter den Füßen. Zugleich näherten sich Julius’ Lippen energisch ihrem Mund. Für einen Moment wurde ihr so schwindlig, dass sie nur noch tanzende Schatten vor Augen hatte. Irgendwo hinter ihnen stieß der Nabellose kurze, hohe Schreie aus, die wie die Laute eines verstörten Vogels klangen. Wenn Flor wirklich von Hezilow erschaffen wurde, dachte sie benommen, muss er doch aus jener Nebelwelt kommen? Aber dann müsste er ja wahrhaftig wissen, worunter Mutter Bianca dort so sehr leidet und wie ich ihre Qualen lindern kann.

Sie selbst fühlte sich wie im Nebel. Endlich wurde ihr Blick wieder klarer, und da fand sie sich in Julius’ Armen eher liegend als stehend, seine Lippen zwei Zoll vor ihrem Mund. Was bildet er sich ein?, dachte sie erschrocken. Ich bin doch nicht seine Hur!

»Euer eigner Vater hat Euch verbannt?«, stieß sie hervor, in dem verzweifelten Versuch, seine Leidenschaft abzukühlen. »Aber warum denn?« Kaum hatte sie es in gepresstem Ton gefragt, als seine Gestalt schlaff wie eine Lumpenpuppe wurde. Seine Hände sanken herab, und er wich zurück von ihr. »Eine Intrige«, murmelte er. »Ich soll ein . eine Maid gemeuchelt haben - das Mariandl. Aber es ist nicht wahr!«

Eben schien Julius zu weiteren Eröffnungen anzuheben, als von der Treppe her schnelle Schritte erklangen. Drei hastige Herzschläge später stand ein Soldat der gräflichen Salvaguardia vor ihnen.

»Melde gehorsamst, Euer Gnaden - am untern Burgtor wartet ein Subjekt, das Euch dringend zu sprechen begehrt.«

»Wie heißt der Mann?«, fragte Julius, dessen Schultern sich bei diesen Worten bereits wieder strafften.

»Er nennt sich Jurij Hezilow, Exzellenz, und gibt vor, ein kaiserlicher Puppenmacher zu sein.«

Julius warf Markéta einen strahlenden Blick zu. »Ausgezeichnet«, sagte er. »Geleite Madame zurück in die Frauengemächer - deine Herrin. Ich selbst werde den Magister am Tor empfangen.«

»Aber ich will nicht in die Frauengemächer«, protestierte Markéta, »Ihr könnt mich nicht einfach .«

Julius’ helles Lachen brachte sie zum Verstummen. »Warte nur, Badersmaid.« Er beugte sich zu ihr hinab und führte seine Lippen dicht vor ihr linkes Ohr. »Du wirst staunen, was ich alles kann!«

Immer noch lachend, richtete er sich wieder auf, zwinkerte ihr jungenhaft zu und lief schon die Treppe hinab, so rasch, dass seine Schritte den Turm mit polternden Echos füllten.

Dreister Aufschneider, dachte Markéta, doch das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Im Grunde fand sie es lächerlich, wenn Männer sich so imposant betrugen wie die Hirsche im Wald. Bisher hatte sie erst ein einziges Mal die Küsse und Umarmungen eines Burschen geduldet, zwei Jahre war das her. Und damals war sie es gewesen, die den jungen Freier draußen am Moldauaufer überrumpelt hatte: Auf geht’s, Brodner Franz, leg dich her zu mir und küss mich! Bei Don Julius aber verhielt es sich anders. Wenn er sich so herrisch betrug, spürte sie immer den Schmerz und die Bitterkeit, seine Scheu und Einsamkeit, die er hinter anmaßenden Gebärden verbarg.

»Bitte folgt mir, Madame, Ihr habt gehört, was der Herr Graf befohlen hat.«

Die seltsam vertraute Stimme riss Markéta aus ihren Grübeleien. Als sie aufblickte, stand vor ihr just der Bursche aus verliebten Jugendtagen, an den sie eben gedacht hatte: mit denselben semmelblonden Haaren und wasserhellen Augen wie vor zwei Jahren, nur dass seine Gestalt ungemein kräftig geworden und vom moldaublauen Drillich der gräflichen Gardistenuniform umschlossen war.

»Franz?«, sagte sie. »Bist du’s wirklich?« Sein Grinsen, halb erfreut und halb verlegen, bewies, dass er’s tatsächlich war.

»Der Brodner Franz?«, rief Markéta aus. »Mikesch hat mir ja schon erzählt, dass du auch zu Don Julius’ Garde gehörst. Aber wie du dich verändert hast, Kerl! Und redest mich hier an mit >Befehl< und >Madame<, ohne ein Zeichen, dass du mich erkennst? Heda, Franz, hat dir jemand’s Maul zugenäht?«

»Klar hab ich dich erkannt«, sagte der Gardist und wagte anscheinend nicht die Stimme zu heben. Auch blieb er starr vor ihr stehen wie eine Ritterrüstung, nur seine Augen huschten unruhig hin und her. »Aber mir als Soldat steht’s ja nicht zu, mit dir zu reden - mit Euch, Madame«, fügte er hinzu und richtete auch die Augen wieder starr geradeaus.

»Ach, Franz«, sagte Markéta mit einem Seufzen, denn auf einmal war ihr alles wieder eingefallen: wie langweilig der Brodner Franz sein konnte, ergeben, gewissenhaft und von einschläfernder Einfallslosigkeit. »Na, dann bring mich halt in die Frauengemächer«, sagte sie, »Befehl ist Befehl, oder?«

Gardist Brodner schlug die Hacken zusammen. »So ist es, Madame!«

20

Maître d’Alembert lief auf den dritten Burghof hinaus und vergaß für Momente sein Unbehagen, versunken in den Anblick der wundervollen Wandgemälde, für die Wilhelm von Rosenberg den legendären Gabriele gewonnen hatte. Andere Fürsten des letzten Jahrhunderts, dachte er, ließen ihre Burgen niederreißen und antikische Säulenhallen mit Plastiken, Reliefs und Fresken nach neuem Geschmack errichten. Der große Wilhelm aber, Ritter vom Goldenen Vlies, ließ sich, weit kühner und genialischer, Kapitelle und Skulpturen auf die alten Mauern malen.

Don Julius, durchfuhr es ihn gleich darauf, er musste seinem Schützling ins Gewissen reden, unverzüglich. Katharina da Stradas Brief bedrückte ihn immer stärker, je länger er über ihn nachdachte:

»Vollkommene Ruhe in Krumau, oder der kaiserliche Zorn wird uns alle verderben.« Er würde offen mit seinem Schützling reden, dachte er, so offen jedenfalls, wie es irgend ratsam schien. Don Julius einschüchtern, das hatte bisher immer noch gewirkt, selbst wenn alle anderen Mittel versagten. Er muss mir schwören, sagte sich der Maître, dass er sich an Recht und Gesetz halten wird, zumindest bis das Jahr sich neigt. Schaudernd sah er die Umrisse eines mährischen Bauerngehöfts vor sich, Julius und er selbst zwischen windschiefen Scheunen und schlammverkrusteten Ochsenkarren. Das ist Verbannung, mon ami! Aber so weit würde er es nicht kommen lassen, dafür hatte er nicht bald zwei Jahrzehnte lang an der Bändigung des Bastardsohns gearbeitet: um sich auf seine alten Tage mit mährischen Ochsen und Knechten herumzuschlagen!

Mit einem Seufzer wandte sich d’Alembert nach rechts, zum vierten Hof hinauf, hinter dem sich die gewaltige Mantelbrücke hoch über der Moldau ausspannte. Dahinter begann schon die Allee, die steil bergan zum Schlosspark führte. Julius’ Kammerdiener Robert hatte ihm zugerufen, dass der Herr mit der Baderstochter hinauf in den Garten wollte, zum künstlich angelegten Teich, auf dem paarweise schwarze Schwäne schwammen, oder in den ausgedehnten Irrgarten, den gleichfalls der alte Wilhelm hatte anlegen lassen.