»Gut meeglich, dass Ihr davon geheert habt, Exzellenz, aber wett ich, Ihr gebt wenig auf solches Gewäsch. Hatten mich sintemalen die Ratsherren zu Basel als ihren Stadtarzt gedungen, ward Hezilow aber bald schon verleumdet und unter Geschräj aus der Stadt gejagt.« Mit der Spitze seines Stabes stieß er heftig in den Käfig hinein, auf Flor zu, der im Stroh hockte und mit weit aufgerissenen Augen auf Hezilow starrte. »Den Herren Scholaren gefiel’s gar sehr«, fuhr der Puppenmacher fort, »dass ich an der Universität in deutscher Sprach’ aus meiner Künstlichen Medicina las, nur die Pfaffen lamentierten, dass sich die Gelehrtheit latäjnisch sprechen misst oder andernfalls des Teufels wär. Ist sich Hezilow aber stur wie ein Baseler Holzkopf« - mit der Faust pochte sich der Russe auf den Schädel - »und daher beschlossen die Ratsherren, mich wieder aus der Stadt zu wäjsen. Von Basel ist sich Hezilow nach St. Gallen .«
»Verzeiht, wenn ich Euch ins Wort falle«, unterbrach ihn d’Alembert, dem Katharina da Strada regelmäßig die neuesten Nachrichten von Magiern und Quacksalbern sandte. »Da Euer Gedächtnis Euch im Stich zu lassen droht, Magister Hezilow, gebietet mir schiere Höflichkeit, Euch ein wenig zu Hilfe zu kommen.« Er holte sein Stöcklein unter dem Arm hervor und deutete auf den Puppenmacher, der seinerseits noch immer auf den Nabellosen wies. »Verhielt es sich nicht eher so, dass Ihr aus der Stadt Basel zu fliehen vorzogt, da der Rat beschlossen hatte, Euch in den Kerker zu werfen?« Er glaubte ein Zucken im verstrüppten Frätzlein wahrzunehmen. Unsicherheit, Angst gar? Es war an der Zeit zu zeigen, beschloss er, dass zumindest er das Spiel des Alchimisten durchschaute. »Und solltet Ihr nicht aus einem ganz anderen Grund verhaftet werden«, fuhr er fort, »als Eure Erinnerung Euch nun vorzuspiegeln scheint - weil Ihr nämlich den Henker von Basel bestochen hattet, damit der Euch die zum Strang Verdammten heimlich überließ?«
Zu seiner Verblüffung machte der Russe nicht einmal den Versuch, die abscheuliche Verstrickung zu leugnen. Vielmehr schien er regelrecht geschmeichelt, ähnlich einem Künstler, der unverhofft jemanden seine Bildwerke rühmen hört. Wieder schnappten die fiebrig roten Lippen ein paarmal auf und zu, die dunklen Knopfaugen flitzten zu Don Julius und zurück zu d’Alembert, der sich unterdessen vollends entsann: Zufolge der Stradovä hatte Hezilow den Scharfrichter durch Handsalbung -drei Kupfermünzen für jeden noch atmenden Körper - bewogen, die Delinquenten lebendig vom Galgen zu schneiden, und die Unseligen dann in seinem Laboratorium sehr langwierig zu Tode gebracht.
»Verleumdung, Überträjbung«, sagte der Puppenmacher endlich, mit einer Hand abwinkend. »Lässt sich Kreatura aber nur erschaffen, wenn man paar hibsche Leffelchen lebendige Essentia hat.« Damit wandte er sich zu Flors Zelle um, d’Alembert und Don Julius ohne weiteres den Rücken kehrend.
Noch während sich der Maître von seiner Verblüffung zu erholen versuchte, vernahm er aufs Neue die pfeifende Stimme des Puppenmachers, der nun absonderliche Verse rezitierte:
»Das Ei der Natur man mich heißt, bekannt den Weisen allermeist. Quecksilber oder Mercurius fein werd ich genannt im Allgemein’. Ein’ dunklen Greif, ein’ alten Herrn, bin allenthalben, nah und fern.«
Während Hezilow murmelte, ging mit Flor eine seltsame Veränderung vor. Der Bursche rappelte sich aus dem Stroh auf, ohne seinen Blick vom Puppenmacher zu wenden. Mit hölzernen Gebärden, einer Fadenpuppe ähnlicher als einem lebendigen Menschen, näherte er sich Hezilow, wobei er leise, mit wehmütigem Tonfall in den Singsang des Russen einstimmte:
»Ich flieg hinweg, es sei denn, dass man mich anbind gar wohl mit Maß. Ich hab viel Form, Farb und Gestalt, führ in mir Manns und Weibs Gewalt. Wer also bin ich, schweb unterm Dach - kein andrer als Ourob, der alte Drach’.«
Nach diesem letzten Vers riss Flor die Augen auf und brach unvermittelt in Tränen aus. »Der alte Dra-drach’«, wiederholte er ein ums andere Mal unter Sturzbächen von Tränen, »unterm Da-dach, der alte Drach’.«
Da hob Hezilow sein Stöckchen und schlug links und rechts sachte gegen die Gitterstäbe. Die elfenhafte Kreatur verstummte. Wieder richtete sich Flors Blick auf den buckligen Magister, und in seinen Augen glänzten noch immer Tränen, eines bernsteingelb, eines dunkelgrün wie Moos.
»Rölflein, kleines Wölflein, bin ich ja bei dir, dein Papuschka«, murmelte Hezilow, indem er mit seinem Stöckchen verschlungene Bewegungen vor Flors Gesicht vollführte, »Komm jetzt heraus zu Mäjster Hezilow.«
Und der Nabellose machte eine schlangengleiche Bewegung, wallend wie Nebel zwischen den Stäben, und stand einen Herzschlag später vor dem Gitter, neben dem Puppenmacher, der ihm seinen Arm um den mageren Rumpf schlang.
»So ist’s recht, Rolfenko. Nu’ gehn wir beide hibsch mit der Exzellenz ins alchymische Labor.«
23
»Bringt ihn in die erste Etage - links der weiße Saal - und ab in den Käfig mit dem Kerl!«
Schon auf der Wendeltreppe nach unten hielt Markéta inne, doch weitere Rufe waren nicht zu hören. Hatte sie richtig verstanden? Ihr Herz klopfte, rasch lief sie weiter. Wieso hatten sie Flor vom Kerkerturm hier heraufgebracht? Und, seltsamer noch, weshalb gab es hier, im herrschaftlichen Teil der Burg, einen Käfig, in den man Gefangene sperren konnte?
Auf der Plattform vor der nächsttieferen Etage verharrte sie abermals. Ihr Blick glitt in die Fensternische, unwirklich tief lag das Städtchen unter ihr, von der Moldau umschlungen und fast ersaufend im Wolkengrau. Wehmut wehte sie an, so als ob sie nie mehr nach Hause zurückfinden könnte. Da vernahm sie ein vielfüßiges Trappeln vom linken Gang her, der von der Plattform abzweigte, eilende Schritte, dazu ein Wispern und metallisches Klirren.
Kurz entschlossen schlüpfte Markéta aus ihren Chopinen, nahm die Stelzen in die Hände und eilte nacktfüßig den Flüsterern nach. Wandlampen erfüllten den Gang mit blakenden Schatten. Sie hielt sich im Düstern, suchte Deckung in Mauernischen, hinter halb geöffneten Türen. Zwanzig, fünfundzwanzig Gestalten zählte sie, mehlfarbene Perücken, bunte, glänzende Gewänder ein Dutzend Schritte voraus. Inmitten der vorandrängenden Menge auf einmal das Funkeln goldener Locken, wie ein Sonnenfleck im Nebel, und ihr Herz machte einen Satz - vor Sorge, vor Glück, ihn wiederzusehen.
Solange ich hier bin, soll dir nichts Arges geschehen, kleiner Flor.
Der Gang endete vor einer breiten Tür. Ein Schlüsselbund klirrte, schon flog die Tür auf, und die Menge schob sich hindurch. Markéta huschte hinterdrein, just ehe die Flügel sich wieder schlossen.
Drinnen strahlten kristallene Lampen von Decke und Wänden, so gleißend, dass ihre Lider sich senkten. Als sie die Augen wieder öffnete, hatte sich die bunte Menge bis zum Ende des Saals vorangeschoben. Dort stand der Käfig, klobige Eisenstangen, selbst aus dieser Entfernung vor Rost und Scharten strotzend. Und dahinter die goldenen Locken Flors.
Erneut setzte sie sich in Bewegung, ihre Füße tappend auf kunstvoll komponierten Mosaiken, deren Kälte ihr in die Beine kroch.
Vor dem Käfig eine schmale Gestalt mit wirren schwarzen Haaren, den Rücken ihr zugekehrt, in schwarzem Lumpenmantel - Hezilow?
Erst in diesem Moment bemerkte sie Giacomo da Biondo. Der ältliche Maler hatte seine Staffelei linkerhand neben dem Käfig aufgebaut. Will er den armen Flor etwa malen, dachte Markéta, aber warum nur?
Ohne es recht zu bemerken, ließ sie die Chopinen fallen und schob sich durch die Menge auf den Käfig zu, ihre Blicke auf den Häftling gerichtet, der im Stroh hockte, halb abgewandt und den Kopf auf die Brust gesenkt.
»Werter Herr Puppenmacher, würdet Ihr uns nun gütigst demonstrieren, wie Ihr die güldne Kreatura erschuft?«