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»Nicht jetzt, Berti!«, rief Julius undeutlich, wobei der Marzipanstab zwischen ihren Mündern bedenklich zuckte.

»Der Maître!«, hörte Markéta den Kammerdiener antworten, »er besteht drauf, mit Euch zu sprechen, Exzellenz - wegen des Puppenmachers!«

»Hezilow!« Julius schrie den ihr verhassten Namen heraus, so schallend, dass Markéta zurückfuhr und der süße Stab ins rot verfleckte Laken zwischen ihren Knien fiel. »Worum geht’s, mon cher maître?«, fragte Julius in verändertem Tonfall.

»Um die Männer Eures Magisters, Excellence.« Charles d’Alembert stand bereits auf der Schwelle, von verkniffener Eleganz wie stets.

»Jetzt nicht«, brummte Julius wieder, Lippen und Kinn mit Schokolade verschmiert; offenbar traut er sich kaum, auch nur die Stimme gegen seinen Maître zu erheben, dachte Markéta erstaunt.

D’Alembert wandte sich nun direkt an sie, die sich mit hastiger Hand den süßen Schmelz vom Mund wischte. »Lasst uns einen Augenblick allein - s’il vous plaît, madame.«

»Madame Markéta bleibt.« Mit trotziger Miene sah Julius zum Maître hinüber. »Ich hab keine Geheimnisse vor ihr - im Gegenteil.«

Wie sollte sie sich jetzt nur verhalten? Unsicher blickte Markéta von Don Julius zu d’Alembert, der im Türrahmen erstarrt schien. Julius macht sich lustig über mich, dachte sie, anders kann’s ja nicht sein! Keine Geheimnisse - vor mir?

Auf einmal wurde ihr bewusst, dass sie noch immer in seinem Himmelbett kauerte, und das Blut schoss ihr ins Gesicht. Rasch schwang sie ihre Beine seitlich heraus; da erst dämmerte ihr, warum der Maître anscheinend so beunruhigt war. »Die Männer des Magisters?«, wiederholte sie, barfüßig auf den Teppich springend. »Wen meint Ihr damit, Monsieur d’Alembert?«

»Hezilows Gehilfen, ein halbes Dutzend.« Der Maître ließ Julius keinen Moment lang aus den Augen. »Sie sind heute früh eingetroffen und auf Befehl des Grafen eingelassen worden.«

Ein Schauer lief Markéta zwischen den Schulterblättern hinab. Vor ihrem geistigen Auge sah sie die wirrbärtigen Gesellen in dunklen Lumpen, die seit Wochen in der Stadt herumlungerten und den kleinen Puppenmacher wie Fliegen umschwärmten.

»Und seitdem schleichen sie überall in der Burg umher«, fuhr d’Alembert fort, »auf der Suche nach dem Nabellosen. Offenbar hat ihr Meister ihnen befohlen, den Knaben ins Alchimistengewölbe zu schaffen.«

Markéta wandte sich wieder Julius zu. »Aber Ihr habt mir versprochen, dass ihm kein Leid geschehen soll!« Das Herz zog sich ihr zusammen. Ob er Hezilows Kerlen schon in die Hände gefallen war? Hatte sie Flor deshalb vorhin vergeblich gesucht?

Julius gab ein verdrießliches Brummen von sich, doch ehe er antworten konnte, hob d’Alembert sein Stöckchen. Mit energischen Schritten trat er ins Zimmer und schloss hinter sich die Tür. »Der Nabellose ist im Moment das geringste unserer Probleme, Excellence.« Er warf Markéta einen ab schätzenden Blick zu. »Ihr wisst, was sich vor drei Tagen in Prag ereignet hat, Madame - im Schlafgemach von Don Julius?«

»Woher soll sie’s wissen, da ich’s ja selbst nicht weiß!«, rief Julius dazwischen. »Niemand weiß es - außer den Mördern und Verschwörern, die mir ...«

Wieder hob d’Alembert sein Stöckchen, und Julius verstummte.

»Kein Wort mehr, Excellence, ich bitte Euch.«

Da stieg eine wilde Wut in Markéta auf, Mitgefühl mit Julius, doch mehr noch Zorn auf d’Alembert, der seinen Schützling dirigierte wie eine Marionette. »Warum kein Wort«, fuhr sie den Maître an, »Don Julius hat ja grad gesagt ...« Vor Schreck biss sie sich auf die Unterlippe, doch dann bemerkte sie, dass Julius sie mit strahlender Miene ansah. »Gar nichts weiß ich«, fuhr sie leiser fort, nun direkt an Julius gewandt, »nur dass Ihr in Prag anscheinend irgendwem im Weg wart. Aber Euer Herr Vater, der Kaiser, wird doch den Verleumdern nicht glauben?« Neuerlich stieg ihr das Blut in die Wangen, während Julius’ Lächeln immer breiter wurde.

Mit unbewegter Miene sah d’Alembert ihr ins Gesicht. »Verübelt mir das offene Wort nicht, Madame: Ich hege allergrößte Zweifel, dass Euer bisheriger Lebensweg Euch befähigt, die in Frage stehenden Ereignisse zu beurteilen.«

Der Maître war eine Handbreit kleiner als sie, und seinem Schützling reichte er eben bis zur Schulter. Und doch ging von diesem sehnigen kleinen Mann eine so kalte Kraft aus, dass Markéta sich zwingen musste, nicht den Kopf zu senken, wie sie’s eben bei Julius gesehen hatte. »Dann sagt mir, wie Ihr sie beurteilt - ich bitt Euch, Monsieur«, fügte sie hinzu, ohne ihren Blick von d’Alembert abzuwenden.

In seinem Lächeln schimmerte etwas wie Respekt auf; aber das hatte sie sich wohl nur eingebildet. Der Maître klemmte sein Stöckchen unter den Arm und wandte sich an Julius. » Vollkommene Ruhe in Krumau«, sagte er, »ich bin sicher, Ihr wisst, Excellence, wer mir diese beschwörenden Worte gesandt hat. Auch im Namen dieser so selbstlos um Euch besorgten Dame flehe ich Euch an: Unterlasst alles, was den kaiserlichen Zorn noch weiter schüren könnte. Sorgt im Moment vor allem dafür, dass der russische Magister sich peinlichst an die Gesetze von Kaiser und Kirche hält.«

Julius hockte noch immer im Himmelbett, das fleckige Nachthemd bis über die Knie emporgerutscht. »Hezilow, maître?«., brummte er. »Was hat der denn mit der Prager Kabale zu tun?«

Der Maître ließ einen melodischen Seufzer erklingen. »Ihr versteht mich schon recht, Excellence: Der Magister mag drunten in den Alchimistengewölben werkeln, wie er will, solange . « Er unterbrach sich und lauschte nach draußen, wo in diesem Moment ein keckernder Schrei ertönte. »Solange«, setzte er aufs Neue an, »durch Hezilows Experimente nur keine Menschenseele zu Schaden kommt. Hört Ihr, Euer Liebden: niemand!«

»Und hört Ihr das, Maître«, sagte Markéta hastig, ehe d’Alembert weitere Beschwörungen hinzufügen konnte, »diese Schreie - das ist Flor!«

»Der Nabellose?«

D’Alembert und Julius riefen es wie aus einem Mund, doch Markéta nickte ihnen nur zu, dabei mit gespannter Aufmerksamkeit zum Fenster hin lauschend.

»Ké-kéta, hilf!«, meinte sie zu verstehen. »Hi-hilf, Ké-kéta, hilf!«

»Er ruft nach mir«, sagte sie, »Hezilows Lumpenkerle sind wahrhaftig hinter ihm her.«

D’Alembert deutete eine Verbeugung in Richtung der gräflichen Bettstatt an. »Wenn Ihr gestattet, sprechen wir später weiter, Excellence. Sicher ist es in Eurem Sinn, wenn ich Madame begleite.«

Noch während er sprach, eilte Markéta zur Tür. Auf der Schwelle wandte sie sich noch einmal um zu Julius, der unter seinem Samthimmel saß und ihr mit verlorenem Lächeln hinterhersah.

Abermals erklang von den Fenstern her der keckernde Schrei. »Kékéta, hi-hilf!«

Erst als sie draußen durchs Vorzimmer hastete, vorbei an Robert, der ihr mit weit aufgerissenen Augen entgegenschaute, wurde ihr bewusst, dass sie sich von Don Julius nicht einmal verabschiedet hatte, geschweige denn sich für das delikate Frühstück bedankt. Ich hoff auf baldige Wiederholung, Exzellenz, dachte sie, wie schade, dass wir gestört wurden, ehe unsere Zungenspitzen sich in der Mitte des Marzipanstabs trafen. - Heda, Mädchen, was soll Hochwürden Hasek zu solchen Ferkeleien sagen?, stellte sie sich selbst zur Rede; währenddessen lief sie schon durch den Flur und die Treppe hinab, barfuß neben dem Maître, der in seinen weißen Schnabelschuhen dahinglitt wie in venezianischen Gondeln.

Seite an Seite traten Markéta und d’Alembert unten aus der Tür, in den Schein der Mittagssonne, der die antikischen Wandgemälde erstrahlen ließ.