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Nach diesen Worten wurde es im Rosenberg’schen Wappensaal so still, dass man einen Homunkel von zwei Zoll Körperlange hätte mit dem Füßchen aufstampfen hören können.

Markéta war in ihrem Leben noch niemals in Ohnmacht gefallen, und sie blieb auch an diesem Dienstagabend im Mai des Jahres 1607 bei Bewusstsein, während sie mit zusammengekniffenen Augen zur Bühne hinunterspähte und tatsächlich ihre Mutter erblickte, die sich in edler Haltung, wenn auch zwergenhaft verkleinert, über ein Schachbrett beugte.

VIER - CALCINATIO

»Die Pulverisierung durch Feuer lockert den Sulfur und setzt den Mercurius frei.«

35

In der Kutsche des Grafen von Krumau jagten sie dahin, einem offenen Zweisitzer mit vergoldeten Beschlägen, in dem schon Wilhelm von Rosenberg zu sommerlichen Landpartien ausgefahren war. Hoch über ihren Köpfen webte die Junisonne Glitzerfäden in die Eichenwipfel, zu ihrer Rechten schlängelte sich die Moldau durch ihr steiniges Bett, zehn Schritte unterhalb der Uferstraße. Kähne trieben auf der blauen Flut, Angler warfen ihre Ruten aus oder blinzelten träg in die Sonne, Kinder hockten im Uferkraut und winkten ihnen jauchzend zu. Und Markéta winkte zurück, mit ausgelassenem Lachen, während der Sommerwind ihre Haare zerzauste und die Kutschpferde schnaubend die Steigung erklommen, links der Schimmel, rechts der Rappe nach dem Willen d’Alemberts.

Meinetwegen auch Fuchs und Schecke, dachte Markéta, Hauptsache, neben mir sitzt er! Graf Julius, mein Geliebter. Manchmal klang es noch immer wie ein süßer Fieberwahn, aber es war kein Gaukeltraum, es war die blanke Wirklichkeit! Als kleines Mädchen war sie einmal mit den Eltern hier draußen durch den Wald gewandert, als die Kutsche mit dem gräflichen Wappen an ihnen vorübergejagt war, von zwei riesigen Rappen gezogen und von einem ganzen Tross weiterer Droschken gefolgt. Und heute saß sie selbst in den moldaublauen Samtpolstern, die Geliebte des Grafen von Krumau!

Gut zwei Wochen waren vergangen, seit der listenreiche Maître jenes Bildnis hatte auf der Bühne enthüllen lassen, Wochen, in denen ihr Leben ganz und gar umgewälzt worden war. Markéta von Ludanice. D’Alembert hatte ihr Dokumente vorgelegt, die über jeden Zweifel hinaus bewiesen, dass ihre Mutter vor zwanzig Jahren, ehe sie Sigmund Pichler ehelichte, den Namen Bianca da Ludanice trug.

Sie rasten die Anhöhe hinauf, durch Schlaglöcher holpernd, über Baumwurzeln rumpelnd, und auf der anderen Seite ebenso ungestüm wieder hinab. Der Gardist auf dem Kutschbock ließ die Peitsche tanzen, eine gedrungene Gestalt in moldaublauer Uniform, doch glücklicherweise war es nicht Jan Mular. Noch immer verfolgte der Soldat sie mit versteckten Drohungen und offener Harne. Markéta war sich sicher, dass Julius ihn aus der Salvaguardia entfernen würde, wenn sie ihn darum bäte. Aber bisher hatte sie sich nicht dazu durchringen können, auch wenn sie ahnte, dass es womöglich ein Fehler war.

Vor ihnen rollte die Kutsche mit dem gräflichen Herold, der in ungewissen Abständen die Fanfare erschallen ließ; hinter ihnen wälzte sich ein ganzer Tross aus Kutschen und Reitern zu Tale. Wie gern wäre sie jetzt mit Julius nach Prag gefahren, der junge Herr Graf und seine Geliebte, Edelfrau Markéta von Ludanice, auf dem Hradschin zu Prag empfangen von Ihrer Majestät! Sie schloss die Augen und erblickte sich selbst und Julius, wie sie Arm in Arm, in einem Wirbel gleißender Lichter, durch einen unendlichen Audienzsaal schritten, in einer Gasse buckelnder Höflinge auf den kaiserlichen Thron zu. Ihr wurde schwindlig, rasch hob sie wieder die Lider und lächelte Julius an.

In tannengrünem Wams saß Julius zu ihrer Linken, und als er ihren Blick bemerkte, schnitt er ihr eine so bübisch übermütige Grimasse, dass sie ihn am liebsten gleich wieder geküsst hätte. Wie heute Morgen, als sie in seinem Bett zusammen gefrühstückt hatten, ein Ritual, an das sie niemals denken konnte, ohne ein höchst angenehmes Prickeln in der Bauchgegend zu spüren.

Bald schon würden sie nach Prag reisen, Don Julius Caesar, Graf von Krumau, und seine künftige Gemahlin, dachte Markéta; nichts schien ihr mehr unmöglich, seit ein gnädiges Schicksal sie so jählings emporgerissen hatte, in den glanzvollen Stand einer Edelfrau und gräflichen Geliebten. Gemeinsam würden sie die schändlichen Verschwörer entlarven, die Julius in jene Mordintrige verwickelt hatten, und dann würden sie Seite an Seite vor dem Kaiser niederknien und seinen väterlichen Segen erbitten. Vorerst allerdings galt es, eine Jagdpartie zu überstehen. Ihr graute vor dem Pulverdampf und dem heiseren Hecheln der Jagdhunde, vor dem Blutgeruch und den aufgehäuften Kadavern, mit denen die Hatz unweigerlich enden würde.

Vor drei Tagen hatte Julius befohlen, eine große Jagd zu organisieren: »Ich liebe die Hatz, und auch Ihr, Madame, werdet diese hohe Kunst zu schätzen lernen.« Noch immer wunderte es Markéta, wie leichthin er sich auf einmal von Hezilow loszureißen schien, nachdem er zwei Wochen lang bald jeden Tag und nicht selten die halbe Nacht im Keller des Alchimisten verbracht hatte. Aber offenbar ging es dort unten mit den geheimen Experimenten nicht ganz so glatt voran, wie Hezilow vorausgesagt hatte. Jedenfalls war Julius immer düsterer geworden, und an manchen Tagen hatte seine Unterlippe schon am Morgen schmerzlich gezuckt. Doch seit er die große Hatz befohlen hatte, war seine heitere Laune zurückgekehrt.

Maître d’Alembert hatte alles Erforderliche bewerkstelligt, ohne sonderliche Begeisterung, doch mit der ihm eigenen Eleganz und Effizienz. Die alte Burg Rosenberg war über Nacht notdürftig hergerichtet worden, eine trutzige Feste zwanzig Meilen stromabwärts, umgeben von unwegsamen Wäldern, in denen es von Hirschen und Wildsauen wimmelte. »Das Kastell der Rosenberger steht seit vielen Jahren leer«, hatte der Maître zu bedenken gegeben, »als Jagdschloss für eine anspruchsvolle Herrschaft ist das Gemäuer kaum mehr zu gebrauchen, Exzellenz, auch wenn fünf Dutzend Diener seit vorgestern gefeudelt und gelüftet, Spinnennetze entfernt und fuderweise Ratten erschlagen haben ...«

Aber Julius hatte alle Einwände vom Tisch gewischt. »Morgen früh brechen wir auf, ich befehl’s.«

Auf der anderen Stromseite war bereits die Silhouette der alten Feste zu erkennen, eine halbe Meile voraus. Hoch über dem Moldaubogen hockte die Burg auf einem gewaltigen Felsblock, mit geschwärztem Wehrturm und dem lang gestreckten Haupthaus, dessen Dachstuhl so schadhaft schien wie die hohläugig glotzenden Fensterhöhlen. Eher eine Ruine als ein Palast, dachte Markéta, doch selbst dieser Anblick vermochte ihre Stimmung nicht einzutrüben.

Hinter der Kutsche des Herolds, der wieder die Fanfare erschallen ließ, rollten sie über die Steinbrücke in den Flecken Rosenberg hinüber, wo die Hühner gackernd das Weite suchten, während Bauern und Knechte herbeigestürzt kamen, die Mützen noch im Rennen von ihren Köpfen reißend. Mit Getöse fuhr der Tross die Burgstraße hinauf, die sich in löchrigen Serpentinen zur Trutze hinaufdrehte.

Die Stammburg der Rosenberger, dachte Markéta, und ein Schauer überlief sie: Durch Mutter Bianca waren es ein wenig auch ihre, Markétas Stammväter geworden, die von dieser Burg ausgezogen waren, um bis in die glanzvollsten Höhen Böhmens emporzusteigen. Nun ja, so ganz stimmte das möglicherweise nicht, doch nach d’Alemberts Dokumenten war Mutter Bianca zumindest eine entfernte Nichte der Katharina von Ludanice gewesen, der letzten Gemahlin des letzten Nachkommens der Rosenberger, Peter Vok, der im vergangenen Winter auf seinem mährischen Landschloss verschieden war.