Fügte sich das lederhäutige Mumienbündel nicht auf unheimliche Weise zum Gestammel des Nabellosen, der nicht müde wurde, einen auf Lederschwingen herbeischwebenden »Drachen der Nacht« zu beschwören? Glücklicherweise war auch Flor auf Burg Krumau zurückgeblieben, behütet von der Zofe Lisetta, die sich in den Goldgelockten wie in ein atmendes Spielwerk vergafft zu haben schien. Und glücklicherweise schien auch niemandem die Analogie in den Sinn zu kommen, ausgenommen d’Alembert, der sich hütete, den heiklen Punkt zu berühren. Es gab schon genug, übergenug, worum man sich sorgen musste.
Von der Dorfkirche läuteten bereits zehn dünne Glockenschläge herauf, als von Breuner endlich im Rittersaal zu Tisch bitten ließ. Der dürre Haushofmeister hustete zum Erbarmen, mit Leidensmiene schlug er den Gong, den sie, in Leinen gewickelt, ebenso auf die Reise mitgenommen hatten wie fünfzig Gedecke, Porzellan und Bestecke, jeder Teller, jede Tasse einzeln in Seidenpapier gehüllt. An den Höfen Prags oder Wiens mochte es üppiger zugehen, der Graf von Krumau jedoch konnte sich kein Reiseservice für Herrschaft und Gefolge leisten, und hier droben im Kastell hatten sie keinen einzigen rostigen Topf vorgefunden, geschweige denn Kristallgläser, Porzellanschalen oder Goldbestecke.
Zur Linken des Grafen sank der Maître auf seinen Platz, und die Tafel mit allen Höflingen und Huren, Künstlern und Schellennarren drehte sich ihm vor Augen. Als Sitzgelegenheiten dienten schlichte Holzbänke, einige sogar ohne Rückenlehne, die Tafel selbst bestand aus zusammengewürfelten Tischen, Brettern, rasch gezimmerten Holzböcken unterschiedlicher Höhe - eine Möblierung wie in der Räuberhöhle, dachte Charles. Da durfte man fast froh sein, dass die Kerzen in den rostigen Wandhaltern nur dürftiges Licht spendeten und die Fenster zur Stromseite hin teils mit Brettern verrammelt, teils mit rissigem Ölpapier verschlossen waren. An der langen Wand gegenüber standen Ritterrüstungen in gedrängter Reihe, starr glotzten die eisernen Heroen über die Schultern der Sitzenden hinweg, als ob sie denen das karge Mahl neideten.
Charles beugte sich ein wenig vor und spähte an Don Julius vorbei, um sich zu vergewissern, dass auch Markéta in den Speisesaal gefunden hatte; Markéta von Ludanice, dachte der Maître, Edelfrau von meinen Gnaden. Mit strahlender Miene saß sie zur Rechten des Grafen, in ein türkisfarbenes Kleid von erstaunlicher Eleganz gewandet, und als sie seinen Blick bemerkte, nickte sie ihm lächelnd zu. Nun, zumindest die Mätresse des Herrn Grafen schien entschlossen, sich die Laune nicht trüben zu lassen, wie übrigens auch Don Julius selbst, den Charles kaum jemals so heiter erlebt hatte wie in den drei Wochen, seit sie nach Krumau umgesiedelt waren.
Nur hübsch die Ruhe bewahren, mahnte sich der Maître, während von Breuner ihm kalten Fasan, Trüffelpastete und weißes Brot vorlegte, wobei er mit geblähten Wangen und zusammengepresstem Kiefer seinen Husten verbiss. Im Grunde war ja alles auf allerbestem Wege, wenn sie nur diese etwas geschmacklose Episode hinter sich brachten, ohne dass ein Mitglied der Jagdgesellschaft versehentlich erschossen oder von herabfallenden Kastelltrümmern erschlagen würde. Und wenn Katharina nur zur gleichen Zeit die Waldstein von ihrem Plan abbrachte, nach Krumau zu reisen und die unwürdige Rivalin aus Julius’ Bett und Herzen zu verjagen - zwei Orte allerdings, die Johanna niemals erobert hatte. Julius verabscheute die frömmlerische Freifrau, mit der er kurz nach seinem achten Geburtstag verlobt worden war.
Alles würde sich schon in die rechten Bahnen lenken lassen, beschloss d’Alembert. Spätestens in drei Tagen würden sie nach Krumau zurückkehren, und mit jedem Tag, jeder Woche, die sie ohne gröbere Zwischenfälle überstünden, würde Rudolfs Groll auf seinen ungestümen Sohn ein wenig mehr schwinden, und damit auch die Gefahr, dass der kaiserliche Zorn sie alle, wie sie hier saßen und schmausten, ins Verderben stürzte.
Charles lehnte sich zurück und begann sich zu entspannen. Der Tokaier mundete vorzüglich, ebenso der kalte Fasan. Noch war die Stimmung der Jagdgesellschaft etwas bedrückt, aber schließlich brauchten die Spaßmacher und die Schamlosen nicht jeden Tag auf den Tischen zu tanzen. Weiter hinten an der Tafel entdeckte er Fabrio, der seiner Schwester soeben einen Happen in den Mund schob.
Sein Blick schweifte weiter, zum goldgelockten Nicodemus, den alle nur den »falschen Homunkel« nannten, und dann erst sah er die drei wirrbärtigen Gesellen, die am hintersten Ende der Tafel hockten und, halb verborgen von einer Säule, Pasteten und Braten mit plumper Gier in ihre Schlünde schoben.
Wer bei allen Göttern hat Hezilows Kerlen erlaubt, mit uns zu fahren?, dachte d’Alembert, ließ sich jedoch nichts anmerken; die Antwort lag ja auf der Hand. Und wenn schon, sagte er sich, vom kühlen Tokaier nippend, schließlich brauchte es mehr, sehr viel mehr als ein paar Lumpenkerle, um Charles d’Alembert ins Verderben zu ziehen.
37
Er zog am Riegel, und die ganze Tür fiel ihm entgegen - na sei’s drum, sagte sich Julius, zwischen ihr und mir soll schließlich gar nichts stehen, außer meinem Zepter. Er lehnte die Türtrümmer an die Wand und trat ohne weiteres in Markétas Gemach.
»Schlaft Ihr schon, Madame?«
Stockfinster war es in ihrer Kammer, das Fensterloch auch hier mit Brettern verrammelt. Buchstäblich im Dunkeln tappte er auf den fahlen Fleck zu, den er für ihr Bett hielt, da stieß er sich die Zehen an einem klobigen Ding, das mitten im Zimmer lag. »Zur Hölle damit! Habt Ihr keine Kerze, Markéta? Nun sagt endlich was. Ich weiß doch, dass Ihr unter der Decke über mich lacht! Aber wartet nur - ojwei!«
Diesmal hatte er sich den rechten Fuß gestoßen, wieder an so einem Klotz mitten im Zimmer - sicher ihre Chopinen, wie ihm nun einfiel, die türkisfarbenen Stelzschuhe, die sie nach anfänglichem Sträuben so bereitwillig wie ihren Adelsrang trug.
Vom Bett her waren nun immerhin ein paar Laute zu vernehmen, ein Schnurren und Gähnen, als ob sie wahrhaftig jetzt erst zu sich käme.
»Ich bin der Geist dieser Burgruine«, sprach Julius, die Silben schaurig dehnend. »Zündet ein Licht an, sonst komm ich über Euch, holde Maid!«
Während er behutsam weiter aufs Bett zutappte, erklang von dort leises Lachen, gefolgt von emsigem Rascheln, dann flammte endlich ein Lichtlein auf.
»Mir ist kalt, so elend kalt, edle Frau«, sagte er, »wenn Ihr die Gnade hättet, mich ein wenig aufzuwärmen?« Doch da war er bereits bei ihrem Bett, und ehe Markéta irgendetwas erwidern konnte, hatte er ihre Decke gelupft und war neben sie geglitten, dicht an ihren warmen Leib, der allerdings gleich zur Wand hin zurückwich. »Ich hoffte so sehr, dass Ihr Euch meiner erbarmen würdet.« Er drehte sich zu ihr, sodass nun wahrhaftig nur das gräfliche Zepter noch zwischen ihnen stand.
Im dünnen Schein des Kerzleins waren ihre Augen wie zwei dunkle Höhlen, eingebettet in die mondbleichen Hügel ihres Pfuhls. »Und ich, mein Herr ...« Sie richtete sich auf und beugte sich über ihn, nach wilden Rosen duftend. »Ich hoff ebenso sehr, dass Ihr sie nicht nach Krumau kommen lasst!«
»Nach Krumau - na, wen denn?«, fragte er überrumpelt, dabei schwante ihm im selben Moment, von wem sie sprach.
»Johanna! Überall in der Burg wird ja gemunkelt, dass sie aus Prag herbeieilen will, um Euch wieder an sich zu ketten.«
»Keine Bange, sie hat Prag noch nie verlassen - was sag ich: den Hradschin!« Julius lachte leise und spürte im gleichen Moment, wie seine Stimmung sich trübte. »Kein Wort mehr von ihr, ich befehl’s.«
Er legte einen Arm um ihren Leib und versuchte, sie näher zu sich heranzuziehen, doch Markéta sträubte sich, und ihr Körper wurde unter seiner Berührung starr.
»Eure väterliche Majestät hält’s ja genauso«, flüsterte sie, und ihre Haare kitzelten ihn am Ohr. »Isabella ist am spanischen Hof, und Eure Mutter lebt bei ihm in Prag.«