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Und wenn’s nach Euch geht, sollen wir es künftig auch so treiben, dachte er: Johanna nach Prag verbannt, während ich mit Euch hier in Krumau hause? Nichts lieber als das, Madame. Wenn Ihr wüsstest, wie oft ich’s mir selbst schon ausgemalt habe: Markéta da Ludanice, gräfliche Mätresse, die liebste, hübscheste, listigste Weibsperson, die mir je begegnet ist! Aber offenbar ahnte sie nicht im Entferntesten, wie heikel diese Fragen waren, wie viele Aspekte es zu erwägen galt, welche Fallstricke drohten.

»Nun sagt schon, Julius, warum nicht auch wir - getreulich nach dem Bild Eurer Eltern?«

»Da ist ... vieles zu bedenken«, presste er hervor und versuchte abermals, sie zu sich heranzuziehen, aber sie stemmte ihm eine Hand gegen die Brust.

Ah, zum Satan, warum musste sie ausgerechnet jetzt drauf beharren, gerade jetzt, da er ihr fast alles verspräche, wenn sie sich nur nicht länger wie ein totes Stück Holz betrug!

»Meine Mutter stammt immerhin aus einem angesehenen Adelsgeschlecht, während Ihr, Markéta .«

Er unterbrach sich, erschrocken, da sie mit einem Mal ganz schlaff geworden war, so als ob alles Leben aus ihr gewichen wäre. Im Halbdunkel sah er, wie sie die Augen aufriss, zwei riesige schwarze Seen.

»Aber das Bildnis«, stammelte sie. »Und das Dokument, das d’Alembert aufgetrieben hat - es beweist doch, dass meine Mutter aus dem Geschlecht der Ludanices stammt!«

»Markéta.« Er sprach so zärtlich, wie er niemals vorher zu irgendwem geredet hatte. »Maître d’Alembert ist ein Fuchs«, fuhr er fort und versuchte abermals, sie an sich zu ziehen, doch da hatte sie sich schon wieder steif gemacht und lag wie eine Eissäule in seinen Armen. »Und wie es aussieht, verstand sich auch Eure Frau Mutter darauf, mit lebenden Figuren Schach zu spielen. Aber bisher beweisen das Bild aus der Rosenberger Galerie und d’Alemberts Dokumente nur eines.«

Wieder unterbrach er sich, er wollte ihr ja nicht wehtun, im Gegenteil. Doch noch sehr viel weniger wollte er durch einen falschen Schachzug seine Hoffnungen auf die väterliche Thronfolge untergraben, gerade jetzt nicht, da er dank Hezilows magischen Künsten seinem Ziel so nahe war wie nie.

»Was spannt Ihr mich auf die Folter, Julius!« Ihre Stimme klang gequält, in ihren Augen glitzerten Tränen. »Was beweist es denn - so redet doch weiter!«

»Schscht«, machte Julius, »ruhig, ma chère. Niemand hofft ja inständiger als ich, dass alles sich so verhält, wie der Maître es darstellt.

Aber deine Mutter scheint damals, vor zwanzig Jahren, ziemlich überraschend bei den Rosenbergern aufgetaucht zu sein. Und falls sich herausstellen sollte, dass sie sich zu Unrecht als angeheiratete Verwandte ausgegeben hat ...«

Wieder sprach er seinen Satz nicht zu Ende, und diesmal drängte Markéta ihn nicht zum Weiterreden. Wortlos sahen sie einander an, im selben Bett liegend und doch mit einem Mal weit voneinander entfernt.

D’Alembert kam’s nur zu gelegen, wenn ich niemals mehr hoffen dürfte, die Krone Böhmens oder gar den Kaiserthron zu erstreiten, dachte Julius. Verbandelt mit einer Bürgerlichen, der Tochter einer Hochstaplerin gar, könnt ich nie und nimmer sukzedieren. Stumm sah er Markéta an, spürte ihren Körper in seinem Arm und dachte an den Mann, den er ausgesandt hatte, das Geheimnis um ihre Herkunft rasch und lautlos aufzuklären.

Gott gebe, dass ich niemals wählen muss, Markéta, an deinen Augen seh ich ja, dass auch du es weißt: Und wenn es mir das Herz zerrisse, Geliebte, ich würd dich opfern für meines Vaters kleinstes Königreich.

38

Der Maître hatte einen Auszug aus dem Tauf- und Sterbebuch von Prescov aufgetrieben, einem ungarisch-siebenbürgischen Sprengel, der im Jahr ‘66 ebenso viele Seelen umfasste - »nicht eingerechnet die Pferde-, Hunde- und Schweineseelen, Madame, wenn Ihr mir die antikische Abschweifung nachseht«. Vor zehn Tagen schon hatte d’Alembert ihr die schwer leserliche Kopie vorgelegt, aber Markéta hätte den Wortlaut noch immer auswendig hersagen können: »Bianca von Ludanice, geboren am 6. Junius 1566 A.D. als Tochter des Edelmanns Anselm von Ludanice und seiner Gemahlin Margareta, geborene da Voscaja, getauft in der St.-Josefs-Kirche zu Prescov am Tag des Herrn, dem 12. Junius selbigen Jahres.«

Margareta - Markéta, dachte sie, aufs Neue erfüllt von zärtlichen Gefühlen für die ferne Vorfahrin. Mutter Bianca hatte an ihre Tochter den Namen ihrer eigenen Mutter weitergegeben. Dieser Großmutter Margareta war während Markétas Kinderjahren wohl gelegentlich gedacht worden, doch stets nur mit wenigen, im Grunde nichtssagenden Worten.

Ein Trompetenstoß riss Markéta aus ihren Gedanken. Sie sprang aus ihrem Bett und wollte hastig in das bereitgelegte Jagdkleid fahren, ohne auf Bronja zu warten, dann allerdings verfing sie sich in Schnüren und Ösen und musste mit kläglicher Stimme nach der Zofe rufen. Vor dem Fenster, durch Ritzen im Holz beinahe nur zu erahnen, ging eben die Sonne auf.

Bronja stürzte ins Zimmer, ihrerseits noch im Nachtgewand, in der Hand eine flackernde Kerze. Unten im Burghof versammelten sich schon die Jäger und ihre Gehilfen, Treiber zu Fuß und zu Pferde, dazu die Meute der Schweißhunde, deren Gebell von den Mauern widerhallte, dass es wie ein Heulen aus dem Schlund der Hölle klang.

»Die Luft anhalten, Madame.« Bronja war dicht hinter sie getreten und schnürte mit eisernen Händen das Korsett. In den letzten Wochen hatte Markéta jeden Widerstand gegen den atemberaubenden Aberwitz der höfischen Mode aufgegeben, doch im Stillen haderte sie noch immer mit einer Kleiderordnung, die Adelsdamen die Kontur eines doppelten Kegels aufzwang.

»Jetzt könnt Ihr wieder atmen, Madame.«

Oder auch nicht, dachte Markéta und schnaufte behutsam aus und ein. Es fühlte sich an, als wäre ihr Oberkörper in eine Weinpresse geraten. Dafür hätte fast der gesamte siebenbürgische Sprengel von Großmutter Margareta unter ihren gewaltigen waldgrünen Reifrock gepasst.

Sie unterdrückte ein Kichern. Bronja machte sich bereits an den Haaren ihrer Herrin zu schaffen, einem Berg aus Locken, Netzen, Haft- und Färbemitteln, neben dem sich selbst der Hungerturm von Burg Krumau kümmerlich ausnahm.

Vom Kastellhof drang ein Gebrodel aus Menschen- und Hundestimmen empor, es klang so erregt, dass auch Markéta mit einem Mal ein Kribbeln im Magen spürte. Noch gestern Abend hatte sie gedacht, dass sie niemals Gefallen an der Jagd finden könnte, dem methodischen Abschlachten wehrloser Kreaturen.

Neuerlich erschallte ein lang gezogener Trompetenton, untermalt von Rufen, Belfern, klappernden Pferdehufen.

»Hoffen wir, dass heut alles gut ausgeht.« Sie lächelte Bronja zum Abschied zu, stutzte einen Augenblick, als die Zofe sich mit düsterer Miene bekreuzigte, und eilte aus dem Zimmer, barfuß, ihre Chopinen in den Händen.

Als sie unten in den Hof trat, waren Jäger und Meute schon aus dem Tor. Neben dem Schutthaufen wartete eine offene Kalesche, auf dem Kutschbock Mikesch Slatava, Bronjas Bruder. Als er Markéta im Türbogen sah, sprang der Schlacks gleich hinab und bot ihr den Arm.

»Lass den Unfug, Mikesch«, sagte sie lachend, bestieg die Kutsche und ließ sich in die Polster fallen, ohne seinen Arm anzurühren. »Hast du vergessen, dass ihr mich früher Eichkätzchen genannt habt - weil ich auf Mauern und Bäume schneller hinauf bin als die geschwindesten Buben?«

»Vor Euch steht ein Soldat der gräflichen Salvaguardia, Madame.«

Mikesch kniff die Lippen zusammen. »Mir wurde befohlen, der Jagdgesellschaft in gewissem Abstand zu folgen - zu Eurer Sicherheit.« Er schwang sich auf den Kutschbock und ergriff die Zügel des Rappen, der mit einem Schnauben den Kopf emporwarf. »Die Person, die Ihr eben erwähnt habt, existiert nicht mehr.«

Diesen letzten Satz hatte Mikesch gesagt, ohne sich noch einmal zu ihr umzuwenden. Während sie darüber nachdachte, ob er sie oder sich selbst gemeint hatte, rollte ihre Kalesche bereits aus dem Burgtor, der Jagdgesellschaft folgend, die in gestrecktem Galopp auf den Waldrand zuhielt.