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Schon wieder ein Toter, dachte er, und da durchfuhr’s ihn: Aber sie beide sollen nicht umsonst dahingegangen sein! Das Mariandl nicht, das mich zum Sternengucker brachte, und hier der Alte nicht, der mich an das Horoskop erinnert hat: Die Sterne wollen’s so, drum musste ich hier heraus nach Krumau. Hier werd ich auf den Erleuchteten treffen, hier wird er Gold und künstliche Kreaturen erschaffen mit seiner alchymischen Magie. Und dann fahr ich im Triumph zurück nach Prag!

»Lasst mich los, ich bitt Euch«, sagte die Baderstochter, »Ihr zerquetscht mir ja die Hand.«

Da schrak er zusammen und ließ ihre Finger fahren; seine Unterlippe begann zu zucken, wie so oft, wenn ihn starke Erregung befiel.

»Der Mann soll in allen Ehren bestattet werden«, rief er so laut, dass die Gaffer ihn im weiten Umkreis hörten. »Ich, Don Julius, will’s so und komm für alles auf.«

»Das wird trotzdem nicht ganz leicht werden, Exzellenz«, gab die junge Frau zurück. Ihre grünen Augen blitzten, ungewiss, ob spöttisch oder im Zorn. »Melchior Kurusch war unser Totengräber.«

3

Im Morgendämmer des 5. Mai 1607 riss eine ältliche Männerstimme Markéta Pichlerovâ aus dem Schlaf. Zu verstehen war gar nichts, zumal fünf Schritte unterm Badehaus die Moldau vorübergurgelte. Vor Markétas innerem Auge bebte noch das Bildnis ihrer Mutter, die ihr wieder im Traum erschienen war, wie so häufig in den vier Jahren seit Mutter Biancas unbegreiflichem Tod.

Sie schlüpfte in ihre Holzpantinen und lief im Nachtgewand die knarrenden Stiegen hinab. Unten klapperte sie durch die Badestube und durchs morgengraue Durchhaus, wo sie leise fluchend das Guckfenster aufzog. Dahinter kamen zwei kugelrunde Glatzköpfe zum Vorschein, die nahezu halslos auf den Stehkragen ihrer moldaublauen Uniformen aufzuliegen schienen.

»Was in aller Welt .« Die Verwünschung zerfiel Markéta auf der Zunge. Zwischen den beiden Bütteln, nachlässig bei den Achseln untergefasst, hing eine Lumpengestalt, tropfnass und schlaff wie ein Bündel Binsen.

Die Wächter sahen die Verwunderung der schlaftrunkenen Maid und beeilten sich zu erklären: In der ersten Morgendämmerung hätten sie den jungen Fremdling aufgefunden, am Flussufer unter der Burg. Reglos habe er auf der Böschung gelegen, pudelnass zwischen Uferkraut und Kieseln, die Augen geschlossen wie in tiefem Schlaf. Und sei auch nicht aus seiner Ohnmacht aufgewacht, als sie ihn geschüttelt hätten und mit Backpfeifen traktiert, dabei sei er offenbar am Leben. Denn das Herz des Fremden schlage, auch wenn niemand wisse, für welchen Gott und welche Majestät.

Markéta hörte kaum auf ihre einfältigen Reden, gebannt sah sie den Jüngling an, der etwa in ihrem Alter sein mochte, zwanzig oder ein wenig drunter. Ein Fremder, kein Zweifel, jedenfalls sah hier in Krumau niemand aus wie er: von so zarter Gestalt, das Gesicht fein geschnitten und blass zwischen Haaren wie Goldgefädel.

Derweil schwadronierten die Büttel noch immer, dass ihnen der Kinnspeck in den Stehkragen bebte: Wenn der Teufel es wolle und das Bürschlein ihnen unter den Händen wegstürbe, stünden am Ende noch sie als Übeltäter da. Also hätten sie beschlossen, den Ohnmächtigen kurzerhand über die Brücke zu schleppen, da der Vater der löblichen Maid, Sigmund Pichler, ein Heiler von respektablem Ruf sei.

Der Ältere der beiden packte den Burschen beim Goldschopf und zog seinen Kopf empor. Da hoben sich die Lider des Fremden, und er sah Markéta an, aus zweierlei Augen.

»Bringt ihn herein. Aber Obacht!« Sie schob Riegel zurück, zog einen Torflügel auf und scheuchte die Büttel hindurch. Der Fremde hatte Augen in zwei verschiedenen Farben, das linke bernsteingelb, das rechte dunkelgrün wie Moos.

Was, wenn er ein Bote aus dem Jenseits ist, durchfuhr’s Markéta, von Mutter Bianca ausgesandt? Im Traum versuchte die Mutter immer wieder, ihr eine Botschaft zuzuschreien, aber wie sie sich auch mühte, Markéta vernahm stets nur ein Rauschen und Raunen, als ob Bianca durch ein dickes Vlies aus Nebel spräche. Unsinn, dachte sie gleich darauf, wie sollte der Bursche denn aus ihrer Geisterwelt herüberkrauchen, in der allem Anschein nach nur Seelen in einem Meer aus Nebel trieben?

Die Wächter trugen den Fremdling in die Badestube und setzten ihn auf die Bank vorm Kachelofen, wo er wie ein Lumpensack hocken blieb, den Goldschopf auf die Brust gesenkt.

»Ich ruf den Bader, Ihr passt auf ihn auf.« Das Nachtgewand überm Busen raffend, eilte Markéta mit polternden Pantinen die Stiege wieder hinauf und zur Schlafkammer der Eltern, wo der Vater seit vier Jahren allein im viel zu breiten Ehebett schlief.

»Du hast geträumt, Kind«, knurrte Sigmund Pichler, indem er sich mit flacher Hand über den Trommelbauch rieb, »und wegen solcher Hirngespinste weckst du mich auf?«

Keine fünf Minuten hatte es gedauert, bis Markéta wieder in der Badestube war, den brummigen Bader im Schlepptau. Doch die Wächter hatten die Frist genutzt, um sich davonzumachen, und auch von dem elfenhaften Fremden war nichts mehr zu sehen.

»Geträumt hab ich auch - aber von Mutter Bianca.« Sie lief von Zuber zu Zuber, die gedrängt auf dem stumpf gescheuerten Kachelboden standen, dazwischen Pfützen und Schatten, aber nicht der matteste Schimmer Gold. »Du weißt schon, Vater -wieder der alte Traum, in dem sie mir was zurufen will, aber ich versteh kein Wort. - Ah, da ist der Bursche ja.« Sie deutete auf die Nische neben dem Ofen, aus der es golden hervorglänzte wie ein Bündel Sonnenstrahlen.

Der Bader, plötzlich hellwach, befahl dem Fremden, hinterm Ofen hervorzukommen. »Wie heißt du, Kerl?«

Zögernd kroch der Goldhaarige aus seinem Winkel heraus. Tropfen fielen aus seinen Haaren und rollten ihm übers Gesicht. »Ha-heiße ... Flor.«

Eine Stimme, rau und schwankend wie ein Nebelhauch. Und ein Name wie für Uferkraut, dachte Markéta, der ein Schauer über den Rücken lief. Mitleid, Grauen, Anziehung - all das fühlte sie für den seltsamen Fremden und begriff sich selber kaum: Sie kannte ihn ja gar nicht, und mit seinen schmalen Schultern, den bunten Lumpen, dem wirren Haar, dem zweifarbigen Augenpaar sah er alles andere als anheimelnd aus. Ganz im Gegensatz zu dem hochgewachsenen jungen Herrn, der vor zwei Tagen ihre Hand gedrückt hatte, als ob er sie nie wieder loslassen wollte.

Wo er herkomme? Was er in Krumau verloren habe? Warum er so tropfnass sei? Durch ganze Salven von Fragen versuchte Sigmund Pichler den Fremden zum Sprechen zu bringen. Ob er sich erinnere, was ihm vor seiner Ohnmacht geschehen sei? »Du bist wohl mit einem Boot gekentert und in den Fluss gefallen?«

»Im Wa-wasser, ja ...«, stimmte Flor mit heiserem Flüstern zu, seine Augen zu Schlitzen verengt, einer bernsteingelb, einer grün wie dunkles Moos. Markéta konnte den Blick nicht von ihm wenden, und auch Flor schaute immer wieder verstohlen zu ihr her.

»Lass dich ansehen. Ob du dir auch nichts getan hast.« Der Bader machte einen Schritt nach vorn und packte ihn am Arm. »Keine Sorge, ich bin Heiler«, wollte er beschwichtigen, als Flor sich seinem Griff zu entwinden suchte. »So nimm doch Vernunft an«, keuchte der Vater, der in seinen Witwerjahren immer beleibter geworden war.

»Wir müssen dich verwahren, bis der Rat von Krumau beschlossen hat, was mit dir geschehen soll!«

Flor stieß kleine Schreie aus, presste sich plötzlich eine Hand vor den Bauch und sackte zu Boden.

»Was hast du gemacht, Vater?«, rief Markéta aus, über sich selbst kaum weniger erschrocken als über den zarten Fremdling, der schon wieder reglos vor ihr lag. Gewöhnlich galt sie als die Besonnenheit in Person. Mehr als einen Tumult in der Schwitzstube, bei dem die nackten Streithähne schon mit Fäusten und Holzprügeln aufeinander losgehen wollten, hatte sie durch kaltblütiges Eingreifen erstickt. Heute aber wurde sie sich selbst mit jedem Augenblick fremder.

Sie kauerte sich neben Flor auf den Boden, dann jedoch wagte sie kaum, auch nur seine Schulter zu berühren. Vater Sigmund, im Schlafgewand wie sie selbst, hatte sich unterdessen zu Flors linker Seite auf ein Knie niedergelassen und streifte dem Fremden, wie verbissen der sich auch wehrte, das Lumpenhemd vom mageren Leib.