»Euer Mitgefühl ehrt Euch, Madame«, sagte er in gelassenem Tonfall, »aber glaubt mir, Ihr sorgt Euch grundlos: Kasimir von Rosert persönlich, der Medikus des Grafen, kümmert sich im Spital um Euren Schützling. Und im Übrigen hat Don Julius soeben angeordnet, schon morgen früh nach Krumau zurückzufahren.«
»Morgen schon?«, fragte Markéta mit einer Miene, in der Freude und Erstaunen um die Vorherrschaft rangen. »Wollte er nicht bis Mitte der Woche hier bleiben und jeden Tag jagen gehen?«
»Er hat seine Pläne geändert.« D’Alembert tippte mit seinem Stäbchen auf ihren Ellenbogen. »Das geschieht recht häufig«, vertraute er ihr an.
»Sicherlich hat er gute Gründe für seine Entscheidung.«
Charles hätte am liebsten aufgelacht, so sehr erheiterte ihn die Empörung, mit der sich Markéta für Don Julius in die Bresche warf.
»Seine Gründe sind immer unwiderlegbar«, stimmte er ihr mit undurchdringlicher Miene zu. »Und diesmal ist sogar besondere Eile geboten.«
»Warum denn das?«
Es war sicherlich nicht gerecht, wie sich d’Alembert sagte, denn Markéta hatte ihm nichts zuleide getan, im Gegenteil, und in der Kunst der Selbstbeherrschung war sie gewiss keine gleichwertige Gegnerin. Aber Charles gönnte sich dennoch die kleine Schwäche: Das Stöckchen unter seinen Arm geklemmt, den Kopf in den Nacken gelegt, stand er vor ihr und weidete sich im Voraus an der Bestürzung, die gleich ihre Züge verzerren würde.
»Damit die Körper nicht verderben, die Don Julius auszuweiden und zu präparieren wünscht.«
Sie lächelte auf ihn herab, arglos - oder funkelte in ihren Augen gar leiser Spott? »Ah, der Hirsch«, sagte sie, »die majestätische Familie, wie Julius es nannte. Er fiebert ihrer Auferstehung schon entgegen.«
Charles verbeugte sich, murmelte einen Gruß und eilte in sein Schlafgemach hinauf. Hatte er den Fehler gemacht, Markéta da Ludanice zu unterschätzen? Wieder einmal kam ihm eine goldene Maxime Bandinellos in den Sinn: »Wenn du den Löwen fürchtest, beißt er dir den Hals durch; missachte ihn, und er verschlingt dich mit Haut und Haar.«
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Diesmal wird’s gelingen, dachte er, majestätisch würde der weiße Hirsch unter seinen Händen auferstehen. Haut und Gebeine von allen Fleischresten befreien, dann mit Salpeter und Spiritus abreiben, wieder und wieder, memorierte er im Geiste, während sein Blick auf Markéta haftete, die ihm gegenüber in der schaukelnden Kutsche saß, mit geschlossenen Augen neben dem ebenso schläfrigen d’Alembert.
Erbarmungslos hatte Julius angeordnet, um drei Uhr in der Nacht die Kutschen zu beladen, die Pferde anzuschirren, mochte Skraliçek auch zetern oder von Breuner husten und winseln, wies beliebte.
Draußen begann der Himmel eben erst fahl zu werden: die Stunde vor Sonnenaufgang, für ihn seit jeher eine der liebsten Zeiten des Tages. Diesmal werden mir die Bilderwerke nicht wieder unter der Hand verfaulen, dachte er, Hezilow würde ihm eine wirkungsvolle Essenz destillieren: Mondtinktur, Goldwasser oder was immer er gegen die Fäulnis aufbieten könnte. Malum ac putridum corpus esse - böse und faulig ist der Leib. Und apropos Gold, dachte er dann: Der Puppenmacher hatte angekündigt, binnen sieben Tagen vor aller Augen die Goldprobe abzulegen.
Gold, mein allergnädigster Herr! Truhen, Kutschen, Kammern voller Gold, Ströme gesponnenen, gemünzten, getriebenen Goldes - für Euch, nur für Euch, väterliche Majestät! Julius seufzte vor Behagen. Und gleich danach würde sich der Russe ans größte aller alchimistischen Werke machen, das sperma mundi, die Zeugung des Homunkel.
Zu Julius’ Seiten saßen die syrakusischen Zwillinge, eng an ihn gedrückt, die Köpfe mit den wirren schwarzen Locken an seine Schultern gelehnt. Auf einmal fiel ihm ein, wie er letzte Nacht zwei Kitze ausgeweidet hatte, im Traum, nur im Traum; Fell und Gerippe gereinigt, mit Stroh und Lumpen gestopft, mit feinen Fäden zugenäht. Plötzlich hatten sich die Kitze unter seinen Händen aufgerappelt, ein lebhafter Glanz war in ihre Murmelaugen getreten, und wie er sie genauer ansah, waren es Lenka und Fabrio!
Labyrinthisch sind die Wege des roten Leu, dachte er, der schöpferischen Bestie der Alchemie. In den letzten Wochen hatte er mit Hezilow manche Nacht drunten im Gewölbe zugebracht, und der Puppenmacher hatte ihn in immer tiefere Mirakel der Schwarzkunst eingeweiht, bis ihm von all den Formeln und Allegorien ganz wirr im Kopfe geworden war. Das sperma mundi jedenfalls, das es aus der Materie herauszukochen galt, auch genannt Aquaster oder Spiritus mercurii, konnte sich in Hezilows wunderlich schnurrenden Reden vom fliehenden Sklaven unversehens zum flüchtigen Hirsch transformieren, kein Wunder, dass in seinem Traum die Hirschkitze zu Menschlein geworden waren.
Dennoch wurde ihm immer unbehaglicher, je länger er an den Traum zurückdachte, je genauer er sich entsann, wie er bis zum Ellenbogen in die Kadaver gefahren war, ihre Organe herausgeschnitten, endlose Darmschlingen hervorgezogen hatte, und am Schluss waren es die Leichen der Syrakuser gewesen! Oder hatten sich die Hirschkitze erst verwandelt, als die Präparation gelungen war? Zurückverwandelt, wie in den Zaubergeschichten, die d’Alembert ihm als kleinem Knaben erzählt hatte: von Bruder und Schwester, die im Wald vor der magischen Quelle standen, und als der Bruder davon trank, wurde er zum Reh? Aber kam am Ende nicht doch der Knabe wieder aus dem Zauberfell hervor?
Eine Weile lang grübelte Julius drüber nach, konnte sich aber nicht mehr entsinnen, wie die Mär ausgegangen war. Er wollte den Maître fragen, doch das Schaukeln der Kutsche, die Wärme der Zwillinge, die graue Dämmerung vor den Fenstern lullten auch ihn zurück in den Schlaf.
Wieder träumte ihm, dass er die Hirschkitze ausschabte, aber diesmal war Hezilow da und schrie ihm unablässig grässliche, nur halbwegs begreifliche Anweisungen zu. »Sein Haupt sollst du abtrennen«, schrie er und drückte ihm ein Beil in die Hand. »Verbirg es, damit niemand es findet und die Erde verwiestet, und seinen Leib zerstickle und verscharre, auf dass er faule, sich vermehre und bringe unzählige Fricht!«
Verzweifelt kämpfte Julius im Traum gegen das Beil, oder vielmehr gegen Hezilow, dessen Magie in die Schlachtwaffe gefahren schien: Die Axt hob sich in seiner Hand, wie er sie auch hinabzudrängen, seine Finger vom Stiel zu lösen versuchte, hoch schwang sie sich über seinen Kopf, und wie Julius auf das Kitz hinabsah, da lag sie vor ihm, Markéta, rücklings auf den Tisch gestreckt. Ihre Augen waren weit geöffnet, vertrauensvoll sah sie auf zu ihm, und dann sauste das Beil in seiner Hand hernieder und zerbiss mit widerlichem Schmatzlaut ihre Kehle, dass Julius mit einem Schrei aus seinem Traum hochfuhr.
Die Morgenluft war noch kühl, doch unter seinem Umhang war er nass geschwitzt. Er keuchte, das Herz schlug ihm bis zum Hals. Nur langsam löste sich der Krampf in seiner Hand, die das Traumbeil umklammert hatte.
Markéta und der Maître, Fabrio und Lenka, alle in der Kutsche starrten ihn an. Was für ein furchtbarer Alp, dachte er, werdet auch Ihr von solchen Mären heimgesucht, mein allerherrlichster Herr?
Schließlich munkeln die Leute ja, dass mir zumindest diesen Erbteil niemand streitig machen könne: den väterlichen Wahn? Er spürte ein Brennen in der Kehle, wie als ganz kleiner Knabe, wenn er ein Schluchzen zurückzudrängen versuchte, und sah starr nach draußen, auf das prachtvoll verzierte Budweiser Tor von Krumau, das eben von zwei Gardisten für sie geöffnet wurde.
»Schau, die Sonne«, wisperte Lenka und zeigte ihrem Bruder, wie die goldenen Strahlen über die Dächer krochen.