Sie versuchte es noch einmal. »Dann seid Ihr also Oblion?«, wandte sie sich an den Ersten, der ihr so geflissentlich den falschen Täkie angepriesen hatte.
Er schüttelte den Kopf. »Fondor, Madame. Oblion ist mit Baschek noch im Jagdkastell.«
Fondor?, dachte sie. Und wieso waren zwei der Lumpenkerle im Kastell geblieben? Oder tischte der Geselle ihr Lügen auf? Aber vielleicht war es auch gar nicht der, mit dem sie als Erstes gesprochen hatte.
Verwirrt sah sie von einem zum andern. Immer wieder wechselten sie die Plätze, hin und her huschend wie Schatten. Wer von ihnen also war Täkie?
Alle drei Gesellen bleckten nun die Zähne im schwarzen Bartgewirr, genau wie vorhin Unçerek. Markéta verspürte den Drang, aufzuschreien oder ihnen mit der flachen Hand in die abscheulich gleichförmigen Fratzen zu schlagen. Aber sie zwang sich ruhig ein- und auszuatmen und überlegte, wie d’Alembert auf derlei dreistes Gebaren antworten würde.
Schließlich wandte sie sich um und ging langsam zurück, über den abschüssigen Hof, zwischen den aufgemalten Säulen, Nymphen und Satyrn. In ihrem Rücken spürte sie die Blicke der drei Lumpenkerle; niemals mehr, schwor sich Markéta, würde sie Leuten wie ihnen gestatten, Zeuge ihrer Verwirrung, Angst oder Ohnmacht zu sein.
Mit gleichmäßigen Schritten ging sie weiter und durchquerte aufs Neue das grabesschwarze Durchhaus. Diesmal lag der untere Burghof still in der brennend heißen Mittagssonne. Markéta ging weiter und weiter, und mit jedem Schritt wuchsen in ihr Unruhe und Unbehagen. Und doch musste sie weitergehen.
»Öffnet mir«, befahl sie den Gardisten am unteren Burgtor.
Sie schüttelte die Stelzschuhe von ihren Füßen, ließ sie im Innern der Burgmauern stehen und ging die Gasse hinunter, der schimmernden Moldau entgegen.
Lange, allzu lange hatte sie es vor sich hergeschoben, nun endlich würde sie mit ihm reden. Aus irgendeinem Grund schien es ihr, als ob diese Begegnung, vor der sie sich seit Wochen fürchtete, auch für den armen Flor heilsam sein müsste, sehr viel mehr jedenfalls, als wenn sie sich rat- und hilflos zu ihm ins Frauengemach hockte. Aber das bildete sie sich vielleicht auch nur ein, dachte sie dann, um sich nicht schon wieder schuldig zu fühlen, erst vor Mutter Bianca, dann vor dem Bader, nun auch noch gegenüber Flor.
Sie bog um die Kurve, und die Knie wurden ihr weich. Sie hatte geglaubt, dass ihr das Baderhaus kleiner erscheinen würde, ins Zwergenhafte eingedampft, nun, da sie die großartigen Ausmaße der Burg gewöhnt war, doch das Gegenteil traf zu.
Gewaltig ragte die Fachwerkfassade mit den dunklen Holzläden vor ihr auf, und als Markéta ins elterliche Durchhaus trat, schien es ihr für einen Augenblick glückseliger Verwirrung, als ob sie niemals weggewesen wäre.
46
»Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen.« In dumpfer Ergebung starrte Sigmund Pichler vor sich auf den Tisch. »Dein feiner Herr Graf, Markéta, den mein ich - nicht etwa unsern gütigen Gott!«
Der Atem des Baders roch nach Wein, dabei war es noch helllichter Tag. Unten die Badestube allerdings lag so still und verwaist wie in allertiefster Nacht. Markéta wusste nicht, was sie ihm antworten sollte. Sie vermochte nicht einmal, seine Hand in die ihre zu nehmen, zum Trost oder um die alte Vertrautheit wiederzubeleben, die sie all die Jahre empfunden hatte, das Band zwischen Vater und Tochter.
Du bist mein Vater nicht.
»Kaum hatte er dich in seine Dienste genommen« -schamlose, frevlerische Dienste, schien er im Stillen hinzuzufügen, sie las es von seinem Gesicht ab - »da fing das Gemunkel an: Der neue Graf wird dem Pichler das Privilegium entziehen.«
Seine Rede verebbte zu einem Murmeln. Markéta beugte sich über den Tisch, um besser zu hören, das Herz schlug ihr bis in die Schläfen hinauf. Traf sie eine Schuld an dem Unglück, das den Bader befallen hatte? Oder hatte er selbst mit seinem Glück gebrochen, als er sie wie ein nicht länger erwünschtes Pfandstück an den neuen Grafen zurückerstattet hatte?
Ihr Blick irrte über den Tisch, der mit Essensresten übersät war, umgestürzten Bechern, halb geleerten Krügen. Noch immer wagte sie nicht, seine Hände zu berühren, die zwischen ihnen auf der Tischplatte lagen. Wie dämmrig es hier in der Stube war. Die Holzläden geschlossen, dabei hatte gerade der Bader das Sommerlicht immer geliebt.
In ihrem Rücken spürte sie die offene Tür zu ihrer alten Schlafkammer, aber sie brachte nicht einmal die Kraft auf, sich auf ihrem Stuhl umzudrehen. Seit sie ins Badehaus eingetreten war, das menschenleer und von Modergeruch erfüllt war, spätestens seit sie den Bader gesehen hatte, im verfleckten Nachtgewand hier am Tisch der verwahrlosten Stube hockend, kam es ihr vor, als ob all ihre Kraft aus ihr entwichen wäre.
Du bist mein Vater nicht - die Worte nisteten in ihrem Kopf wie schwarze Vögel.
Seit sie oben in der Burg hause, gingen ihm die Leute aus dem Weg, fuhr der Bader mit matter Stimme fort, ohne seinen Blick vom Tisch zu heben. Drunten in der Zuberstube sei es mit jedem Tag stiller geworden, erst seien die Zimmerleute ausgeblieben, dann die Bäckerzunft und so weiter. Er habe sich schon kaum mehr aus dem Haus getraut; die Leute tuschelten hinter seinem Rücken, wechselten die Straßenseite, wenn er näher kam, warfen im »Goldenen Fass« ihre Münze auf den Tisch und machten, dass sie wegkamen, sowie er in den Schankraum trat.
»In Ungnade gefallen«, sagte Pichler und sah endlich auf zu ihr, seine Augen verschwimmend in Tränen. »Ungnade ...« Er wiederholte es flüsternd und lauschte dem Wort mit halb geöffnetem Mund hinterher. »Und warum, frag ich dich? Weil der Pichler seine Schuldigkeit getan hat! Also ab mit ihm! So denken deine edlen Herren, Markéta!« Selbst sein Schreien klang müde, greisenhaft.
Für einige Momente saßen sie einfach da, stumm und ohne einander anzusehen.
»Aber was«, begann sie endlich und brach gleich wieder ab. Ihre Kehle war trocken und fühlte sich wund an, als sie sich räusperte.
»Was ist denn überhaupt geschehen, Va ...?«: Nein, sie brachte das Wort nicht heraus. Um ihre Verlegenheit zu überspielen, täuschte sie sogar einen plötzlichen Husten vor und hoffte, er möge auch ihre Gewissensnot überdröhnen, aber nur ein dünnes Krächzen drang aus ihrem Hals.
»Vorgestern«, sprach der Bader, »war es so weit, fast wie eine Erlösung nach all dem ungewissen Warten: Im Morgendämmer schlugen die Büttel drunten an mein Tor und verkündeten, was der neue Herr Graf in Sachen Sigmund Pichler beschlossen hat.« Tief atmete er ein, und sein mächtiger Brustkorb blähte sich, dass er das Leinenhemd zu sprengen drohte; dann begann der Bader im Tonfall eines amtlichen Ausschreiers hervorzuleiern: »Das von Seiner Herrlichkeit, Graf Wilhelm von Rosenberg, Burggraf von Prag, Kanzler und Vizekönig von Böhmen, im Jahre 1588 A.D. dem Bader Sigmund Pichler, wohnhaft zu Krumau, Witwer der Bianca Pichlerovâ, geborene Voscaja, gnädigst verliehene Privilegium, Kranke und Gebresthafte zu heilen, ihre Leiden zu lindern mit Gottes Hilfe, widerrufen Wir, Don Julius Caesar d’Austria, Graf von Krumau, mit unverzüglicher Wirkung und ordnen an, dass fortan all Unsere Untertanen, die an fiebriger Hitze oder quellenden Gallensäften, Geschwüren oder Gebresten jeglicher Beschaffenheit leiden, ins gräfliche Burgspital zu verbringen und dort der Obhut des gräflichen Medikus zu unterstellen sind .«
»Sie hieß nicht Voscaja«, sagte Markéta rasch, kaum dass der Bader geendet hatte. »Das hast du doch seit langem schon gewusst?«
Seine Hände begannen den Zinnbecher zu drehen, der vor ihm in einem Morast aus Brotkrumen und Apfelschalen stand. »Gewusst«, murmelte er. »Wieso denn gewusst?«
»Bitte hör mich an, Va ... Vater Sigmund.« Sie holte Luft und sprach hastig weiter: »Was dir angetan wurde, ist Unrecht, und ich schwör dir, dass ich alles versuchen werde, um deine Lage zu lindern. Mit Don Julius sprechen, oder besser noch mit Obersthofmeister d’Alembert, und ich bin sicher .«