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Wieder brach sie ab. Ihrer Sache sicher war sie nun wirklich nicht, im Gegenteil. Hezilow steckt dahinter, durchfuhr es sie; nein, dachte sie aber gleich darauf, das ergab ja keinen Sinn: Auch wenn sie dem Puppenmacher so ziemlich jede Schandtat zutraute, was hatte er davon, wenn dem Bader Pichler das Wasser abgegraben wurde?

Sie sah auf seine Hände, die immer schneller den Becher drehten. Einige Tropfen honiggelben Weins spritzten heraus, und da hörte er auf, den Becher zu drehen, hob ihn mit zitternder Hand an seine Lippen und goss den Wein in seine Kehle.

»Du hast eben gesagt: Der Pichler hat seine Schuldigkeit getan.«

Markéta beugte sich vor und sah ihm scharf ins Gesicht. »Was hast du gemeint damit?«

»Na, ich ...« Der Bader setzte den Becher ab, und gleich begannen seine Hände wieder das schmucklose Zinngefäß zu drehen. »Gar nichts hab ich .«

»Lass uns offen reden, bitte«, fiel sie ihm ins Wort. »Wir beide wissen, dass Mutter Bianca ein halbes Jahr droben auf der Burg gelebt hat, bevor sie auf einmal hier heruntergekommen ist und deine Gemahlin wurde.«

Der Bader glotzte sie an, seine Lippen bewegten sich, glänzend vom Wein.

»Ich weiß es seit wenigen Wochen«, fuhr Markéta entschlossen fort, obwohl ihr das Herz schon wieder wie rasend klopfte. »Aber du musst es doch damals schon gewusst haben, nicht wahr, Vater Sigmund?«

Wieder starrte der Bader stumm an ihr vorbei. Der Zinnbecher sprang zwischen seinen zuckenden Händen hervor, rollte über den Tisch und fiel scheppernd zu Boden.

»Sie war erst droben, das stimmt«, brummte er endlich. »Da hab ich sie ja auch zum ersten Mal gesehen, im Winter vor .« Er fuhr sich mit der flachen Hand über den Schädel. »Das war vor zwanzig Jahren, ich weiß es noch genau«, fuhr er lebhafter fort, »ich war droben, um mit dem Burgvogt zu sprechen, weil ich doch endlich das Badehaus aufmachen wollt. Ein sonniger Tag, aber so kalt, dass der Atem in der Nase gefror. Und ich bin kaum durchs Burgtor marschiert, da steht sie vor mir im Hof, schön wie eine Fee.«

Auch seine Miene war heller geworden, doch sein Blick ging immer noch an Markéta vorbei.

Ich bin deine Tochter nicht.

Er habe sich gleich in sie vergafft, fuhr der Bader fort. Mit dem Badehaus wurde es an jenem Tag wieder einmal nichts - zu wenig Geld und noch weniger Fürsprecher, wie der damalige Burgvogt ihm auseinander setzte. Aber er fühlte sich trotzdem nicht niedergedrückt, im Gegenteil. Noch am selben Tag brachte er ihren Namen in Erfahrung, zumindest ihren Rufnamen: Madame Bianca. Was Herkunft und Stand betraf, gingen die Meinungen auseinander, aber das interessierte ihn wenig: Er war ein junger, mittelloser Bader, und ob Madame Bianca nun Voscaja oder Ludanice hieß, ob sie eine Wohlgeborene war oder nur eine vornehme Bürgerin, machte für ihn keinen Unterschied.

»Ich betete sie an wie ein Hund, der sich in eins der Gestirne droben am Himmel vergafft hat«, murmelte der Bader, »was kümmert’s den Hund, ob er die Sonne, die Venus oder einen geringeren Stern anschmachtet? Für ihn sind sie alle unerreichbar fern.«

»Aber nicht lange darauf«, sagte Markéta, »ist der Stern vom Himmel gefallen, genau in deinen Schoß.«

Er tastete nach dem Krug, ohne hinzusehen, goss Wein in einen der Becher, die noch auf dem Tisch standen, und trank mit gierigen Zügen. Als er den Becher wieder absetzte, war sein rundes Gesicht gerötet, seine Augen glasig. »Jawohl«, murmelte er, »in den Schoß.«

Er versuchte sich an einem Grinsen, das kläglich missriet. Jetzt erst erkannte Markéta, wie betrunken der Bader war. Offenbar hatte es nur dieser wenigen Schlucke bedurft, um seinen Geist aufs Neue zu benebeln.

»Sie wurde mit dir vermählt, Hals über Kopf«, sagte sie, »dabei hatte sie noch kurz vorher von einem ganz anderen, tausendmal glanzvolleren Leben geträumt.«

»Und hat nie mehr aufgehört, davon zu träumen«, murmelte der Bader, »niemals, keinen Tag lang bis zu ihrem Tod.« Wieder schenkte er sich aus dem Krug ein, Wein schwappte auf den Tisch.

»Sie hat das Badehaus verabscheut«, sagte Markéta. »Immer hab ich mich gefragt, was ihr daran so sehr missfallen hat. Dabei ist die Antwort so einfach: Sie hat sich nie damit abgefunden, dass sie auf einmal nur noch eine Badersfrau war.«

»Aber sie war ... in Ungnade ...« Aus Pichlers Mund drang nur noch nasses Gebrabbel. »Und Bianca . ohne mich . ja verloren!«

»Sie haben einen Handel mit dir abgeschlossen, die Herren droben von der Burg.« Abrupt stand Markéta auf und verschränkte die Arme vor der Brust. »Das Bader-Privileg«, fuhr sie fort, »und eine Mitgift, üppig genug, dass du dieses Haus kaufen konntest - als Entgelt dafür, dass du dich mit ihr vermählen ließest.«

Am liebsten hätte sie ihn angeschrien, bei den Schultern gepackt und gerüttelt, aber sie zwang sich, weiter mit ruhiger Stimme zu sprechen. »Kein schlechter Handel - für dich; aber nun sag mir eins, Vater Sigmund: Hast du dich - oder sie, Mutter Bianca - damals auch gefragt, was sie von diesem Handel hielt?«

Pichler glotzte zu ihr empor, mit stumpfer Miene, als ob er sich kaum entsänne, wer da vor ihm stand. »Liebe Frau«, sagte er mit schwerer Zunge, »immer Treue und ... Vertrauen.«

Du bist mein Vater nicht.

Aber sie würde die Frage nicht über die Lippen bringen, sie wusste es längst. Die Frage, wegen der sie heute endlich zu ihm gekommen war, oder vielmehr: um deretwegen sie diese Begegnung immer wieder hinausgezögert hatte.

Am 23. Januar 1588 A.D. wurde Bianca Voscaja mit dem Bader Sigmund Pichler vermählt in der St.-Jost-Kirche zu Krumau. Am 1. Februar desselben Jahres erhielt Sigmund Pichler das Bader-Privilegium. Am 16. August des nämlichen Jahres kam sie, Markéta, im Baderhaus vis-à-vis der St.-Jost-Kirche zur Welt - »ein kümmerliches Frühchen, aber Mutter Bianca hat dich hochgepäppelt«, wie der Bader immer zu sagen pflegte.

Aber ich bin deine Tochter nicht, du wusstest es, immer schon. Aber weißt du auch, aus wessen Armen sie zu dir hinabgestoßen wurde? Sie brachte die Worte nicht heraus. Am liebsten hätte sie geweint, doch selbst dafür fehlte ihr die Kraft.

Der Bader drehte den Becher zwischen den Händen und sah an ihr vorbei, mit glasigen Augen. Unter den Fenstern rauschte die Moldau, jemand fuhr im Boot vorüber, Mann und Frau, leise lachend. Eine andere Welt, dachte Markéta, so fern wie die Sonne für den Hund, mit dem der Bader sich vorhin verglichen hatte.

Und wenn ich noch Tage und Nächte lang hier stünde, ich bliebe doch so stumm und starr wie eine von da Biondos Skulpturen. Oder wie die murmeläugige Hirschkuh, deren Fell und Gerippe Julius vielleicht gerade mit Haderlumpen ausstopfte.

»Hat sie dir denn nie gesagt«, brach es endlich aus Markéta heraus, »warum sie damals in Ungnade gefallen ist? Oder zumindest, auf wessen Befehl sie die Burg verlassen musste?«

Dem Bader war der Kopf auf die Brust gesunken, aus seinem Mund sickerten unverständliche Laute.

Einen Moment lang sah Markéta noch auf ihn hinunter, dann ging sie um den Tisch herum und aus dem Zimmer, die knarrenden Stiegen hinab und durch die stille Badestube.

Du bist mein Vater nicht.

Ich bin deine Tochter nicht.

Du warst ihr Retter nicht.

Früchte für dich getragen hat das alles - die Lügen, der üble Handel - nicht.

Die unheilvollen Sätze, allesamt auf nicht endend, vermehrten sich in ihrem Kopf wie eine schwarze Brut. An Flors Vogel der Nacht musste sie mit einem Mal denken, während sie nach draußen lief, und dann plötzlich, auf der Schwelle zwischen dem dunklen Durchhaus und der Seilergasse, die in gleißendem Sonnenlicht vor ihr lag: Ergeht es mir denn nicht genauso wie dem armen Flor? Sind nicht unser beider Leben aus dem gleichen Lügengarn genäht?