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»Und an der heißen Quelle fandet Ihr und Flor dann den Flößersohn?«

Markéta nickte, die Augen zu Schlitzen verengt. Es war ein schrecklicher Anblick, berichtete sie, und ihre Stimme klang auf einmal brüchig. Zuerst hatte sie Nico überhaupt nicht erkannt; durch den Wasserdampf, der von der Quelle aufstieg, hatte sie nur einen Schemen wahrgenommen, die Umrisse eines Menschen, der sich verzweifelt bemühte, aus dem Felsloch voll kochenden Wassers zu klettern. Flor hatte sich an sie geklammert und zu schreien begonnen, erst nach einigen Augenblicken, als sie den Nabellosen ein wenig beruhigt hatte, konnte sie ihn über die kleine Lichtung bis zur Quelle ziehen. Am Rand des Felslochs ging sie in die Knie und wollte schon die rettende Hand ausstrecken, als sie mit einem Mal zweierlei bemerkte: Der Mensch in der heißen Quelle war Nico, und er war über und über blutig rot, sein Gesicht, Schultern und Arme, sein ganzer Körper, soweit er im Wasserdampf zu erkennen war. Seine Ellbogen waren auf den Felsrand der Quelle gestemmt, als ob er bis zuletzt versucht hätte, sich aus dem tödlichen Schlund zu ziehen, sein Kopf war zur Seite gesunken und auf einen Arm gebettet, als ob er schliefe. Aber er war tot, berichtete Markéta mit gepresster Stimme, der Leichnam verbrüht und aufgedunsen, die Haut am ganzen Leib wellig und wundrot.

»Er trug keinen Fetzen am Leib«, sagte sie endlich, »und auf der Lichtung war von seinen Kleidern keine Spur zu sehen. Und das Entsetzen in seinem Gesicht, Monsieur ...« Sie verstummte und sah an d’Alembert vorbei, dann schloss sie mit festerer Stimme: »Was immer Eure Untersuchung ergeben wird, Maître: Ich bin überzeugt davon, dass Nicodemus Kudaçek nicht da unten im Wald umgekommen ist, durch einen versehentlichen Sturz in die Quelle, sondern hier oben, in Hezilows Labor.«

Ich bewundere Eure Klugheit und Euren Mut, Madame, dachte d’Alembert, schlug ein Bein übers andere und wippte zierlich mit seinem Schnabel schuh. »Die Wahrheit ist wie ein starkes Gewürz«, deklamierte er. »Es liegt an uns selbst, ob wir die Speisen unseres Lebens verfeinern oder verwürzen.«

Ihr Gesicht wurde finster. »Ihr zieht also die schmackhafte Lüge vor, wenn ich recht versteh?«

»Eine anfechtbare    Auslegung, chère madame. Ein unbeteiligter Zuhörer könnte die Sentenz auch auf Euch beziehen.«

»Auf mich?«, echote Markéta und sah ihn mit so aufrichtiger Ratlosigkeit an, dass der Maître beinahe aufgelacht hätte, ein bitteres Lachen, günstigstenfalls.

»On verra, madame«, sagte er. »Ihr wart doch wohl so umsichtig, Euren Verdacht für Euch zu behalten?«

Wieder funkelte sie ihn an. »Ich hab die Büttel gerufen, damit sie den Leichnam aus dem Wasser ziehn«, sagte sie. »Aber ich wollt mich als Erstes mit Euch besprechen, Monsieur, weil ich annahm, dass auch Ihr ...« Unvermittelt brach sie ab, ihr Blick wurde unstet.

Weil Ihr annahmt, dass auch ich Hezilow zu vernichten versuche, dachte der Maître, wolltet Ihr das andeuten, Madame? Im Grunde hatte sie auch damit vollkommen Recht, nur in diesem speziellen Fall lagen die Dinge eben ein wenig anders. »Das war sehr weise von Euch«, sagte er. »Fünf Tage vor dem Besuch des Kaisers kann und darf es hier in Krumau keine Mordaffäre geben, allenfalls einen bedauerlichen Unglücksfall. Danach aber ...« Er ließ sein Stöckchen durch die Luft wirbeln. »Dann werden wir den Dingen energisch auf den Grund gehen, Madame, das verspreche ich Euch.«

Markétas Blick ging noch immer an ihm vorbei, doch ihr Gesichtsausdruck hatte sich gänzlich verändert. »Am Samstag«, sagte sie in hoffnungsvollem Ton, »wenn die väterliche Majestät uns besucht, könnt Julius ihm ja seine künftige Gemahlin vorstellen.«

Das hat mir gerade noch gefehlt, dachte d’Alembert. »Ein recht hübscher Plan«, lobte er, »den Ihr nur vorderhand nicht weiterverfolgen solltet.« Er lächelte sie voll ehrlicher Zuneigung an. »Ich bitte Euch, Madame, Ihr glaubt doch nicht ernsthaft, dass Johanna von Waldstein sich so einfach aus dem Feld schlagen ließe?«

»Johanna?« Markéta schob das Kinn vor. »Bisher hab ich keine Haarspitze von der Holden zu sehen bekommen. Bronja und Lisetta sagen, dass sie von morgens bis abends mit ihren heiligen Weibern in der Damenkapelle hockt - bei Gesang und Gebeten. Aber was schert das Julius und mich? Wir lieben uns, Monsieur, und wenn der Kaiser das erkennt, wird er unsrer Vermählung .«

Da hob d’Alembert abermals sein Stöckchen empor und schnitt Markéta mit einer sägenden Bewegung das Wort ab. »Hört mich an, Madame, und dann entscheidet.« Über die finanziellen Verpflichtungen, die Rudolf II. gegenüber dem Hause von Waldstein eingegangen war, würde er gewiss kein Wort verlieren, beschloss der Maître; schon bei dem bloßen Gedanken an die kaiserlichen Pfandbriefe, die sich angeblich in Baron von Waldsteins mährischem Schloss stapelten, befiel ihn leiser Schwindel. Aber auch abseits dieses heiklen Punktes ließen sich hundert unwiderlegbare Gründe anführen, die gegen einen überstürzten Damentausch in dieser Schachpartie des Herzens sprachen.

»Ihr haltet den Kaiser für den gewaltigsten Herrn der Welt«, sagte er, »fast jeder macht diesen Fehler, zuweilen sogar ich. In gewisser Weise ist der Kaiser tatsächlich ein mächtiger Mann, zugleich aber von so vielen Kräften abhängig, so vielen Einflüssen unterworfen, dass Ihr weinen würdet vor Mitleid, wenn ich Euch all diese hemmenden Kräfte nennen, ihre kleinlichen, boshaften, eigensüchtigen Beweggründe aufschlüsseln würde. Aber dafür fehlt mir - glücklicherweise -die Zeit.« D’Alembert sprach nun rasch und konzentriert, in seinem Sessel vorgebeugt, an unvorhersehbaren Stellen seiner Rede mit dem Stöckchen auf Markéta deutend. »Also nur so viel, Madame: Wie Ihr vielleicht wisst, vielleicht aber auch nicht - erstaunlich viele Persönlichkeiten, auch aus den hohen und höchsten Ständen, haben den Überblick in politischen Dingen längst verloren; jedenfalls und kurz gesagt: Unter den sieben Kurfürsten des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation ist Rudolf als König von Böhmen zwar sicher der enormste Potentat, aber doch auch nur einer dieser sieben hochgemuten Herren. Hält der Kaiser die alleinige Regierungsgewalt in Händen, oder üben die Kurfürsten von Rechts wegen eine Nebenregierung aus? Um diese Frage wird gerungen, nicht erst seit Rudolf die Ottonenkrone auf dem Haupt trägt, sondern schon unter seinem Vater Maximilian und bereits vor dieser Zeit, als der ehrwürdige Kaiser Karl V. auf dem Reichsthron saß. Und dann erst der Reichstag, Madame! Habt Ihr jemals gewagt, dieser buntscheckigen, traditionell zerstrittenen, nach geheimnisvollen Grundsätzen hierarchisch gegliederten Vertretung der sieben Dutzend Stände Eure Aufmerksamkeit zu schenken? Ihr schüttelt den Kopf? Nun, das war klug von Euch, Markéta, denn manch einem hat dieser hochwohllöbliche Reichstag schon den Schlaf geraubt und, mehr noch, den Verstand dazu, und zwar vorzüglich jenen Kurfürsten, die sich die Kaiserkrone aufsetzen ließen.«

Markéta blickte nun recht betreten drein, doch der Maître war mit seinem Sermon noch lange nicht am Ende. »Aber Ihr wendet ein, dass dem Kaiser mit dem Reichskammergericht und dem Reichshofrat doch mächtige Instrumente zur Verfügung stünden, um seinen Willen durchzusetzen? Nun, Madame, dann könnt Ihr mir vielleicht erklären, nach welchen mysteriösen Grundsätzen und Regeln die Ratsmitglieder des Kammergerichts gewählt werden? Ich jedenfalls vermag diese Regeln nicht zu durchschauen!« Er deutete auf sein Gegenüber. »Die Mitglieder des Hofrats, da gebe ich Euch Recht, kann Seine Kaiserliche Majestät schlichtweg selbst ernennen, was die Dinge allerdings nur dem äußersten Anschein nach vereinfacht. Denn hier wirkt sich wiederum aus, dass Seine allerherrlichste Herrlichkeit eben nicht nur zum Kaiser des Reichs, sondern zugleich zum König des mächtigen Böhmen gekrönt worden ist, zu schweigen übrigens von Ungarn und Kroatien, über die Rudolf gleichfalls herrscht. Wundert es Euch da, wenn die Reichshofräte argwöhnen, dass er zwar stets als Kaiser befiehlt, aber keineswegs immer die Interessen des ganzen Reichs im Auge hat, sondern vor allem die seiner eigenen Königreiche?«