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Wieder deutete er auf sie, und zu seiner Überraschung ergriff Markéta das Wort.

»Ich weiß zwar nicht recht, cher maître«, sagte sie, »warum Ihr mir diese Lektion in Reichsalchemie erteilt, und wie fast immer, wenn Ihr mit mir redet, hab ich den Eindruck, dass Ihr Euch zumindest ein bisschen über mich lustig macht. Aber das verschlägt wenig, das nehm ich in Kauf, Monsieur. Zumal es mir vorkommt, als ob ich mit Euren heutigen Belehrungen tatsächlich was anfangen könnte, als ob der Kaiser - und auch sein Sohn, Don Julius - mir jetzt klarer vor Augen stünden. Weil ich nämlich durch Euch den Boden besser seh, auf dem sie sich bewegen müssen, vorsichtig, tastend, um nicht einzubrechen.«

»Ihr beschämt mich, Madame.« Nun war es an d’Alembert, für einen Moment den Blick zu senken, doch gleich ging er wieder in die Offensive: »Ihr seid doch eine brave Katholikin? Ah, Ihr zieht es vor, zu dieser Frage zu schweigen? Meine Bewunderung steigt ins Grenzenlose. Ich komme jetzt nämlich zu jenen Kräften, die den mächtigsten Mann der Welt am ärgsten behindern und einschränken, oder um mit Eurer Metapher zu sprechen: zu den Stellen im Boden, wo er am übelsten einzubrechen droht.

Die Kaiserliche Majestät nämlich«, fuhr er nach einer Kunstpause fort, »ist durchaus Katholik, wie Ihr natürlich wisst, Katholik von Amts und Dynastie wegen, wenn auch keineswegs kraft eigener Entscheidung. Als katholische Majestät steht Rudolf aber in unserem heutigen Reich, und gar hier im hussitischen Böhmen, einer kleinen Minderheit vor, während die anderen, die Reformierten sämtlicher Schattierungen, die Hussiten, Calvinisten, Adamiten, Lutheraner und wie sie sich alle nennen mögen, hierzulande längst die Stärkeren sind, keineswegs nur der Kopfzahl nach. Und nun stellt Euch aber vor, wie viele Vertreter nichtkatholischer Stände dem Kaiser auf dem Reichstag entgegentreten! Die Städte und Grafschaften des Nordens und der Mitte des Reichs, die bürgerlichen Republiken, Festungen und Handelszentren bis hinab zu den Reichsstädtlein und Reichsrittern: Sie alle verfechten ihre Eigeninteressen, und sie alle haben tausend gute Gründe, der obersten Majestät umso argwöhnischer entgegenzutreten, je genauer sie es mit ihren Kaiserpflichten nimmt.«

D’Alembert fühlte sich auf einmal müde, so als ob er die ganzen drückenden Kaiserpflichten persönlich schultern müsste. Ein geringes Maß dieser Lasten, dachte er, schleppe allerdings seit Jahr und Tag auch ich für die väterliche Majestät. »Ohne Zustimmung der Stände«, sagte er, »kann der Kaiser keinen einzigen Gulden ausgeben, keinen Soldaten in die Schlacht schicken, keine Feldschlangen und keine Musketen kaufen. Und all das wird er überreichlich brauchen, er oder sein Nachfolger, in wenigen Jahren schon, vielleicht denkt Ihr eines Tages an meine Worte: Der Streit um die Religion wird das Reich über kurz oder lang in Stücke reißen, was die Leute auch munkeln mögen. Da sollte man meinen, dass es völlig gleich wäre, ob sie zu einem bärtigen oder glatthäutigen Gott beten, mit oder ohne Mater Maria, ob sie anerkennen, dass der Thron ihres Schöpfers von Heiligen umlagert wird oder bloß von Engeln umflattert -gleichgültig, sage ich, weil das alles doch nur tröstliche Lügenmärchen sind. Und davon, urteilt selbst, aufrichtig geschätzte Madame Markéta, kann die Menschheit auf ihrer einsamen Reise durch einen toten, durch und durch gleichgültigen Kosmos doch gar nicht genug im Gepäck haben: von tröstlichen Lügenmärchen! - Aber nun genug, Madame, ich sehe, dass das Gespräch Euch zu verwirren beginnt, und außerdem muss ich, wie gesagt, zum Burgtor hinunter: Der Bär kommt.«

Er machte Anstalten sich zu erheben. »Verzeiht mir, wenn ich Euch ermüdet haben sollte mit meiner Reichsalchemie, wie Ihr es so vortrefflich nanntet. Stellt Euch einfach vor, diese Burg wäre das Reich - mit der brodelnden Unterwelt im Keller, den ständig unzufriedenen Bauern, Handwerkern und Lakaien im Erdgeschoss und dem naschsüchtigen, schwatzhaften, intriganten Künstler- und Höflingsvölkchen in den Etagen darüber. Gesetzt, Ihr wäret die Herrscherin über ein solches Reich, Markéta: Würdet Ihr unbekümmert Entscheidungen treffen, die den Zorn der Bewohner aller Etagen auf Euch lenken müssten, oder würdet Ihr solche Veränderungen vermeiden, wie der Teufel vor dem Weihwasserwedel davonwetzt?«

Markéta schloss für einen Moment die Augen. »Aber wenn der Kaiser«, sagte sie endlich, hob die Lider und sah ihn durchdringend an, »wenn Rudolf seinen eigenen Sohn mit einer Adligen aus ehrenwertem ungarisch-siebenbürgischen Haus vermählt: Wen bei allen Heiligen sollte das empören?«

»Beispielsweise die Adelshäuser des halben Abendlandes?«, schlug d’Alembert vor. »Oder sollte Eurer Aufmerksamkeit entgangen sein, Madame, dass der Kaiser nahe daran war, seinen natürlichen Sohn auf einen mährischen Bauernhof zu verbannen, nachdem in Don Julius’ Schlafgemach eine erschlagene Hurenmaid gefunden wurde - und er selbst von Kopf bis Fuß mit ihrem Blut besudelt war? Dass seinem Bastardsohn die ehrenwerte Krumauer Grafschaft zugeschlagen wurde, haben die Edlen Europas und die Bürger Böhmens übel genug vermerkt. Und da meint Ihr, wir sollten gerade jetzt neues Öl in die Wogen gießen - durch Bruch seiner Verlobung mit der hochwohlgeborenen Johanna und Vermählung mit einer jungen Dame von nicht annähernd ebenbürtiger Herkunft?«

Sie zuckte zusammen und warf ihm einen verworrenen Blick zu, gemischt aus Zweifel und Zorn. »Habt nicht Ihr selbst mir versichert«, fragte sie zurück, »dass meine Abkunft aus dem Haus der Ludanice unzweifelhaft sei? Und war eine da Ludanice nicht edelblütig genug, um dem Bruder des hochwohlgeborenen Wilhelm von Rosenberg vermählt zu werden?«

D’Alembert begnügte sich damit, seine strichdünnen Augenbrauen zu heben, die er sich an jedem zweiten Samstag im Dampfbad sorgsam beschneiden ließ.

»Außerdem wisst Ihr so gut wie ich, dass Don Julius dieses Mariandl nicht umgebracht hat - er hat das Herz eines Kindes, Monsieur!«

Und die Kraft eines Stiers in seinen Armen, dachte d’Alembert, und jenen Dämon in seiner Seele, der in mondhellen Nächten zuweilen wispert: Schlachte sie! Aber von alledem sagte er nichts, sondern betrachtete nur angelegentlich sein Stöckchen, dessen Lacküberzug an einigen Stellen stumpf zu werden begann.

»Es mag ja sein, Monsieur«, fuhr Markéta fort, »dass Ihr Euch die Baderstochter Markéta Pichlerovâ zurückwünscht, weil Ihr die leichter dirigieren konntet - wenn auch nicht auf jene Weise, wie Ihr’s Eure Bühnenkünstler damals dreist behaupten ließet. Aber vor Euch steht nun Markéta da Ludanice, und falls Ihr insgeheim hoffen solltet, dass Ihr mich bei Bedarf aus der Burg hinauswerfen könntet, wie es meiner armen Mutter geschehn ist, so lasst Euch versichern: Das wird Euch nicht glücken, Monsieur.«

D’Alembert strahlte sie an, sein Stöckchen in der Luft wirbelnd.

»Nichts läge mir ferner, als solches auch nur zu erwägen, Madame. Eure Liebe wirkt auf Julius wie ein Balsam. Euch zu verlieren wäre das Schrecklichste, was ihm widerfahren könnte.«

Abgesehen von seinen törichten Hoffnungen aufs väterliche Zepter, dachte der Maître und bot der Mätresse des Kaiserbastards lächelnd seinen Arm.

51

Seite an Seite schritten d’Alembert und Markéta den dämmrigen Gang voll Rosenberger Ahnenbilder entlang und die breite Treppe hinab auf den Hof.

Wahrscheinlich wäret auch Ihr behutsamer, Madame, dachte d’Alembert, wenn Ihr wüsstet, dass Euer Geliebter schon einmal eine ganze Hirschkuh, mitsamt Fell und Eingeweiden, in einem Bottich gekocht hat, weil er nämlich annahm, dass sich so die Haut säuberlich vom Leib lösen ließe. Verrückt, meint Ihr? In der Tat, Madame, ich verehre Euren Scharfsinn, dachte der Maître, während sie über den sonnigen Burghof schritten, wo da Biondo, Gabriele und einige andere Maler wilde Kohlestriche auf ihre Skizzenblätter warfen. Ein halbes Dutzend junger Leute lief auf den Händen im Hof herum, schlug Räder oder Purzelbäume, am ganzen Körper mit gelben und schwarzen Strichen und Tupfern wie Tigerkatzen bemalt.