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Hezilow! Wenn er den Namen nur dachte, fuhr er zusammen. Du hast mich gefangen gehalten, dachte er; damals, du Lumpenteufel, Jurij Hezilow. In deiner Halle war ich gefangen, nackt in schwarzer Nacht. Aber warum nur, warum? Und weshalb kamen der Puppenmacher und seine schwarzen Gesellen, die Halle und der grauenvolle Drache - warum kam all das in allen Geschichten der Steinerin niemals vor?

Weil sie gelogen hat, mich immer nur angelogen hat, dachte Flor, indem er sich frierend in Markétas Himmelbett hin und her warf. Weil Herr Veit nicht mein Vater und Frau Hilda nicht meine Mutter ist. Weil ich keine, gar keine Eltern hab! Weil ich von keiner Mutter geboren bin, sondern aus Dampf und Dreck und Nacht gekrochen wie er aus jener Nebelpfütze!

Und hat es kaum gedacht, da ist er wieder dort, in der schwarzen Halle, ein Knäblein von drei Jahren vielleicht, mit einem Lumpenhemdchen angetan. So tappt er barfüßig auf dem kalten Steinboden umher, und wie er friert, wie fürchterlich ihn friert! Das Lederband um seinen Hals, daran die Kette, die kalt vor seinem Rücken herabhängt, klirrend hinter ihm am Boden schleift. So weiß Hezilow immer, wo er sich gerade herumtreibt, denn wie sachte er sich auch bewegt, wie er die Kette mit seinen Händen zu dämpfen versucht, ganz kann er das Klirren nie ersticken.

Über ihm im Finstern gleitet der Drache umher. Wenn du ihn siehst, seine glühenden Augen, wenn du ihn hörst, das Rauschen seiner Flügel, ist es schon zu spät.

Unablässig lauscht er nach droben, immer auf den furchtbaren Angriff gefasst. Hundertmal am Tag wirft er sich zu Boden -aber es gibt keine Tage, nur Nächte, nur eine einzige, nie endende Nacht. Hundertmal kriecht er unter einen Tisch, zwängt sich hinter einen Schrank, weil er in seinem Innern ein Ziehen und Reißen gespürt hat, die schreckliche Gewissheit: Da kommt er, aus schwärzester Höhe, und stößt mit feurigem Rachen auf ihn herab.

Und dann lacht der Lumpenteufel, lacht heulend und pfeifend:

»Hat der kläjne Rolfie wieder’s Rauschen geheert?«

Fackellicht, das immer nur einen winzigen Umkreis erhellt, ringsum und darüber die trügerischen Tücher der Nacht. Die Angst macht ihn rastlos, zwingt ihn, in der riesigen Halle umherzutappen, von einem Ende zum andern, durch die Nebengewölbe, immer die Wände entlang, immer krampfhaft nach droben lauschend.

Der Lumpenteufel und seine Gesellen, die sich an großen Tischen, glühenden Öfen zu schaffen machen. Den Blasebalg treten, Pulver in Tiegel geben, leuchtende Tinkturen dazuschütten, und dann steigen bunte Schwaden auf: Fratzen aus Qualm, Pratzen aus Nebel, die nach dem Knäblein im Lumpenhemdchen greifen.

Wieder rennt er weg, klirrend und stolpernd. Und dabei immer frierend, selbst wenn er neben einem der glühenden Öfen steht. Die Hitze versengt ihm Haut und Haare, aber unter der Glut bleibt es felsenkalt. Er geht um eine Säule in der schwarzen Halle herum, und auf einmal ist er in einem Nebengewölbe, in dem er niemals vorher war.

Riesenhafte Glasballons, von heißer Nässe beschlagen, sodass er nicht sehen kann, was drin sein mag. Ein Gewirr von Röhren, das die Ballons verbindet, und in der Luft ein Schmorgeruch, der in der Kehle würgt, ein Gurgeln und Blubbern wie von zäh kochendem Brei. Und weiter hinten, ganz leise und doch deutlich wie niemals: jenes Fiepen, wie von ängstlichen Welpen, dem er schon so lange hinterherspürt.

Der Geruch nimmt ihm fast den Atem. Dennoch tappt er weiter hinein ins Gewölbe, seine Kette mit beiden Händen dämpfend.

Es sind drei Ballons aus Kristallglas, jeder so groß wie der Schädel eines Riesen, an armdicken Ketten von der Decke hängend und durch gläserne Röhren verbunden. Auf dem Boden unter den Kugeln stehen gewaltige Kupferbecken, gefüllt mit glühender Kohle, deren Hitze den Inhalt der Kristallballons brodeln macht.

Als er näher herantappt, wird das Fiepen lauter, doch es dringt nicht aus den beschlagenen Ballons, wie er im ersten Entsetzen geglaubt hat. Die Welpen müssen hinter den kochenden Glasbehältern sein, aber wie dorthin gelangen: Der ganze Boden ist ja mit glühender Kohle bedeckt. Hastig schaut er hin und her, auf der Suche nach einem Pfad hinter die Kristallkugeln, dabei horcht er unverwandt nach droben, zur Gewölbedecke, wo jederzeit der Vogel der Nacht erscheinen kann.

Doch wie er auch umherspäht, er findet keinen Pfad durchs Meer der glühenden Kohlen. Enttäuscht versucht er, die Schwaden, die von den Glasballons aufsteigen, zumindest mit seinen Blicken zu durchdringen. Ein goldenes Funkeln glaubt er zu erkennen, die bleichen Scheiben kleiner Gesichter, den Glanz hin und her huschender Augenpaare. Solche wie ich!, durchfährt’s ihn, da spürt er das Reißen und Zucken in seinem Innern: der Drach’, der Drach’, und wirft sich schreiend zu Boden, Bauch und Brust auf die kalten Kacheln pressend, die Beine an den Leib gezogen, seinen Kopf unter den Armen bergend.

»Na, Rolfie, wollt’st deine Briederchen besuchen gehn?«

53

»Madame?« Bronja trat von einem Fuß auf den anderen, und ihre rechte Hand krampfte sich in den Saum ihrer Schürze.

»Was gibt’s denn?«, fragte Markéta, die gerade erst in einen der lachsfarbenen Fauteuils gesunken war. Ihr Kopf schmerzte, noch immer fühlte sie sich elend und aufgewühlt. Erst die Entdeckung des toten Nico in der Quelle, und dann auch noch der schreckliche Zwischenfall mit der kleinen Clarissa und dem Bären - es war einfach zu viel für sie, zumal Julius’ Gemütsverfassung ihr zusätzlich Sorgen machte. Seit der Goldprobe ging eine seltsame, schleichende Veränderung mit ihm vor. Seine Augen glänzten beinah ständig auf eine Weise, die sie ebenso beunruhigte wie seine Laune, die binnen eines Herzschlags von greller Heiterkeit in Höllenschwarz umschlagen konnte - und im nächsten Moment wieder zurück!

Die Zofe gab sich sichtlich einen Ruck. »Madame Johanna ... sie wünscht Euch zu sprechen - Madame«, fügte sie stammelnd hinzu.

Die Waldstein! Wie viel Verhängnis denn noch am gleichen Tag, dachte Markéta und setzte ein eisernes Lächeln auf, wie sie es bei d’Alembert hundertmal gesehen hatte. »Johanna?« Suchend sah sie sich um, und für einen Moment glaubte sie tatsächlich, dass die fromme Freifrau gleich hinter einer Tapetentür hervorkäme. »Ich lasse bitten.«

»Na ja, Madame ...« Bronja zerknüllte nun beidhändig ihren Schürzensaum. »Johanna von Waldstein wünscht, dass Ihr zu ihr kommt - Madame«, fügte sie wieder hinzu und verdrehte die Augen, als ob sie Prügel fürchtete.

»Oh, natürlich.« Wie hatte sie nur annehmen können, dass die Edle sich höchstderoselbst zu ihr bemühen würde? »Wo ist sie denn?«, fragte Markéta und rappelte sich schon wieder aus ihrem Sessel auf.

»In der Kapelle der Herrin. Wenn Ihr mir folgen wollt -Madame?«

Unangenehme Aufgaben erledigt man am besten sofort, sagte sich Markéta, eine Spruchweisheit von Pater Hasek. Während sie hinter Bronja dreintrottete, durch die labyrinthische Flucht pfirsich- und aprikosenfarbener Säle, fühlte sie auf einmal einen Lachreiz in der Kehle, ein Anflug finsterer Heiterkeit, wie sie Don Julius immer häufiger befiel.

Alles in ihr sträubte sich gegen dieses Zusammentreffen, für das sie sich innerlich zu wappnen versuchte, seit sie vom Jagdkastell zurückgekehrt waren. Würde die edle Johanna sie als Badershur verhöhnen? Oder als Hochstaplerin verspotten, die ihre nichtswürdige Herkunft hinter fragwürdigen Adelsbriefen verbarg? Wieder fühlte sich Markéta schrecklich dumm und hilflos, wie vor Wochen, als sie zum ersten Mal diese Frauengemächer betreten hatte. Aber etwas hat sich verändert, dachte sie dann: Julius liebt mich, und ich lieb ihn wie mein eignes Leben.

Ihre Knie fühlten sich weich an, und ihr Herz flatterte wie eine aufgestörte Nachtigall. Dennoch fühlte sie sich ein wenig gekräftigt, als sie Bronja weiter durch Zimmer und Kammern folgte, tiefer hinein in das Labyrinth der Frauengemächer, als sie bisher jemals vorgedrungen war. Raum fügte sich an Raum, alle so ineinander verschachtelt, dass man sich wie in einem endlosen Tunnel fühlte - einem mit Damast und Seide verkleideten, mit Kissen und Teppichen ausgepolsterten Stollen zwar, aber doch wie in einer abgeschlossenen Röhre, die von schweren Aromen erfüllt war. Immer drückender wurde der Geruch, süßlich wie Weihrauch, dachte Markéta, vermischt mit exotischeren Düften, die sie nicht einmal dem Namen nach kannte.